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Wohin steuert China? Ansprüche auf eine neue Weltordnung

Lesezeit: 4 min
31.07.2023 16:04  Aktualisiert: 31.07.2023 16:04
China steht in der dritten Amtszeit von Xi Jinping vor einer umfassenden Kursänderung. Auf dem Plan steht nichts Geringeres als die Änderung der Weltordnung. Der Westen muss sich vorbereiten.
Wohin steuert China? Ansprüche auf eine neue Weltordnung
Konzentration der Macht: Xi Jinping, Chinas Staats- und Parteichef, und die anderen chinesischen Staats- und Regierungschefs nehmen im März 2023 an der Abschlusssitzung der ersten Sitzung des 14. Nationalen Ausschusses der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes teil. (Foto: dpa)
Foto: Xie Huanchi

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Xi Jinping, Herrscher über das chinesische Reich, hat im März seine dritte Amtszeit angetreten. Vormals auf dem Weg zu einer Marktwirtschaft, ist China dabei eine Kursänderung einzuschlagen. Auf dem großen Plan steht nichts Geringeres als die Weltordnung zu ändern. Per Gesetz, welches im Juni die Parteiführung erlassen hat, sollen künftig die Außenbeziehungen noch stärker der Ideologie der Kommunistischen Partei folgen. Danach folgte eine weitere Gesetzeserweiterung Anfang Juli dieses Jahres mit dem Anti-Spionagegesetz, welches nun auch über die eigenen Ländergrenzen hinweg, die nationalen Interessen stärker schützt und bei Spionageverdacht verfolgen kann.

Darüber hinaus orchestriert China durch einflussreiche Direktorenposten mit chinesischen Beamten die Belange außerhalb der eigenen Grenzen, um die Interessen der chinesischen Staatsführung durchzusetzen. Wie Recherchen von BR, MDR, rbb und SWR zeigen, geschah das beispielsweise mit der Besetzung der Generaldirektion der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) durch den Chinesen Qu Dongyu. So kritisieren die Experten, dass die FAO, Lieferungen von in der Europäischen Union verbotenen Pestizide gefördert hat, die mehrheitlich von einem staatlichen chinesischen Agrar-Chemie-Unternehmen stammen. Jörg Wuttke, ehemaliger Gründer der Europäischen und deutschen Handelskammer in China, sagte in einem Interview gegenüber dem Fokus, er sehe eine Kluft zwischen der Politik von Xi Jinping und der Globalisierung. Während das Riesenreich 2001 seine Märkte für den Westen öffnete, sind nun, 23 Jahre später, deutliche Tendenzen der Abkopplung und eine Abkehr des Liberalisierungskurses erkennbar. Doch die Abnabelung von der Welt, so Wuttke, sei die eine Seite der Medaille. Denn während China nach Unabhängigkeit strebe, versuche es gleichzeitig die Welt von ihr abhängiger zu machen.

Mittlerweile hat der Westen verstanden, dass es einer besonderen Leseart bedarf, chinesische, diplomatische Äußerungen zu interpretieren. Als eine Folge des sichtbaren politischen Kurswechsels Chinas reagiert Europa, indem die Ratifikation des 2020 ausverhandelten EU-China-Investitionsabkommens im Rat der Europäischen Union nicht stattfand. Denn, was China sagt und was China meint, ist in vielen Fällen nicht kongruent. Wo also steuert das Land nun hin, in seiner dritten Amtsperiode unter Xi Jinping?

Am Mercator Institute for China Studies (MERICS) wurden dafür fünf Szenarien für Chinas Weg in den kommenden Jahren entworfen. Sie wurden unter methodischer Anleitung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) entwickelt und stützen sich auf 15 politische, soziale, wirtschaftliche und technologische Faktoren. Das Basis-Szenario ist dabei ein instabiles China, bei dem Chinas Wirtschaft, Politik und Engagement in der Welt den Trends folgen, die zu Beginn von Xi‘s dritter Amtszeit zu beobachten waren. Veränderungen bei zugrunde liegenden Faktoren könnten zu vier extremeren Szenarien führen.China zwischen Konfrontation und Zurückhaltung

Zwischen Konfrontation und Zurückhaltung

Das konfrontative China: In diesem Szenario eskalieren die Spannungen um Taiwan bis zu einem Punkt, bei dem ein offener militärischer Konflikt immer wahrscheinlicher wird. Dies führt zu einer extremen Zweiteilung und einer erheblichen Entkopplung zwischen China und dem Westen.

Erfolgreiches China: In diesem Szenario wird davon ausgegangen, dass China die wichtigsten Ziele von Xi Jinping‘s Agenda erreicht. Eine allumfassende parteistaatliche Kontrolle, Umstellung auf nachhaltiges grünes Wachstum,technologische Unabhängigkeit und globaler Einfluss, der mit den USA konkurriert. Vorbedingungen für dieses Szenario wären eine signifikante Krise des Westens, greifbare chinesische Erfolgsgeschichten und ein erfolgreiches Machtspiel mit dem globalen Süden.

Zurückhaltendes China: In diesem Szenario behindern Chinas interne Schwächen sowie die Koalitionsbildung durch die Vereinigten Staaten und gleichgesinnte Länder die Bemühungen Pekings, die Wirtschaft zu diversifizieren, das Wachstum aufrechtzuerhalten, technologische Unabhängigkeit zu erreichen, externe Koalitionen aufzubauen und ein effektives globales Machtspiel zu betreiben.

Reformistisches China: In diesem Szenario führen Chinas interne Krisen zu einer politischen Kurskorrektur. Die Konfrontation zwischen China und dem Westen verringert sich in der Erwartung einer Rückkehr zu "Reform und Öffnung", wenn auch unter neuen Bedingungen.

Die Experten gehen nicht davon aus, dass eines der genannten Szenarien vollständig eintreten wird. Sollte der sozioökonomische Stress weiter zunehmen, erwarten sie eher ein "konfrontatives China" oder ein "zurückhaltendes China". Ein "reformorientiertes China" würde eine erhebliche Dezentralisierung der Macht bedeuten und scheint derzeit fast unmöglich. Drei Trends, die China in Xi‘s erster und zweiter Amtszeit geprägt haben, gelten weiterhin auch für Chinas Entwicklung in der jetzigen Amtsperiode: langsameres Wachstum, Druck von außen und eine zunehmende Zentralisierung der Macht.

Führungsfehler ohne Konsequenzen

Xi Xinping hat es während seiner bisherigen Amtszeit geschafft, ein System zu schaffen, in dem er so viel Autorität besitzt, dass selbst Chinas politische Fehler, während der Covid-19-Krise keine ernsthafte Herausforderung für seine Position darstellte. Zentralisierung und Kontrolle ist für China mehr und mehr zur notwendigen und wirksamen politischen Antwort auf die wachsenden sozioökonomischen Herausforderungen geworden. Erreicht werden soll dadurch die Stabilisierung des Landes. Doch Chinas Wirtschaft strauchelt an vielen Punkten. Überalterung, hohe Jugendarbeitslosigkeit und ein Immobiliensektor, der am Abgrund steht, sind nur die Spitze des Eisbergs. Nach außen destabilisiert sich China zum Rest der Welt in Form von völkerrechtlichen Aspekten wie das Verhältnis zu Russland oder die immer offensivere regionale Vormachtstellung Chinas im Indo-Pazifischen Raum. Sicherheitspolititsche Aspekte treten auf den Plan. Schon heute besitzt China die weltgrößten Seestreitkräfte nach Anzahl der Schiffe und U-Boote und gibt nach den USA das höchste Etat für Verteidigung aus. Rivalität und Wettbewerb haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Der Zusammenhalt der EU, um den drohenden Gefahren standzuhalten, spielt insbesondere in der jetzigen Zeit eine wichtige Rolle. Deutschland plant daher künftig seine Chinapolitik europäisch auszugestalten und enger mit EU-Partnern abzustimmen. Die Bundesregierung signalisiert daher auch Interesse an einer intensiveren Koordinierung zum Umgang mit China innerhalb der EU und zur EU-China-Zusammenarbeit.

Die neue Chinastrategie der Bundesregierung

Was macht die deutsche Beziehung zu China so schwierig? China ist Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale zugleich. Die neue China-Strategie hebt darauf ab, Deutschlands Werte und Interessen in der komplexen Beziehung zu China in Zukunft besser zu verwirklichen. Eine Zusammenarbeit zwischen den zwei Nationen zu ermöglichen, ohne Deutschlands freiheitlich-demokratische Lebensweise, Souveränität, Wohlstand und Sicherheit zu gefährden. Künftig wird es darum gehen, insbesondere in kritischen Bereichen, Abhängigkeiten zu verringern und die Wirtschaftsbeziehungen insgesamt zu diversifizieren. Ausgewogene Partnerschaften sollen in Asien auf- und ausgebaut werden, ohne sich gegenüber China zu verschließen. Die deutsche Chinapolitik steht im Einklang mit der Europäischen Agenda. Letztendlich gehe es auch um die Stärkung Deutschlands und der EU.

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Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 


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