Laut einer Analyse von Bloomberg gehen alleine in den kommenden zehn Jahren 300.000 Babyboomer pro Jahr in Rente. Das sind insgesamt 7 Prozent der Erwerbsbevölkerung. Um die Erwerbsbevölkerung bis zum Jahr 2060 konstant zu halten, bräuchte es demnach 400.000 ausländische Fachkräfte pro Jahr.
Olaf Scholz sprach sich daher kürzlich für zusätzliche Einwanderung aus. Ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland sei die Rente „nicht sicher“, erklärte er Anfang Juli im Sommerinterview des ZDF.
Wörtlich sagte er: „Damit wir eine gute Zukunft haben, damit unser Arbeitsmarkt funktioniert, damit unsere Wirtschaft wächst, werden wir gute Fachkräfte, Arbeitskräfte von außerhalb Deutschlands brauchen – sonst sind die Renten nicht sicher. Und das muss man und darf man dann auch in Deutschland überall sagen und muss sich dem Streit stellen.“
Bislang deckt Einwanderung den Fachkräftebedarf nicht
Indes ist mindestens zweifelhaft, ob Einwanderung das Rentenproblem lösen kann. Erstens hat es Deutschland in den vergangenen Jahren nicht geschafft, im Schnitt 400.000 erwerbstätige Einwanderer pro Jahr ins Land zu holen. Laut dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wanderten zwischen 2014 und 2021 im Schnitt 243.000 EU-Bürger pro Jahr mehr ein, als dass auswanderten.
Darunter sind allerdings auch Nicht-Erwerbstätige wie Praktikanten, Au-Pair und Studenten, die einen bedeutenden Teil ausmachen dürften. Ausländische Studenten bleiben meist nicht dauerhaft: Nach zehn Jahren sind nur noch 38 Prozent im Land. 60 Prozent der EU-Einwanderer kommen zudem aus Rumänien, Polen und Bulgarien (in absteigender Reihenfolge). Künftig dürften weniger Arbeitskräfte aus diesen Ländern zuwandern, wenn sich dort der Lebensstandard relativ zu Deutschland erhöht.
Dazu kamen noch durchschnittlich 31.000 Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten, die beispielsweise mit der Blauen Karte der EU nach Deutschland einreisen durften. Außerdem konnte Deutschland circa 17.000 Geringqualifizierte aus Nicht-EU-Staaten pro Jahr anziehen, wie Zahlen der Bertelsmann Stiftung zeigen (siehe Tabelle auf Seite 28).
Ein großer Teil der Einwanderer waren Asylbewerber, von denen die meisten über keine oder nur eine geringe Qualifikation verfügen. Im Schnitt waren es zwischen 2014 und 2021 rund 261.000 Asyl-Erstanträge pro Jahr.
Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – ein Forschungsinstitut der Arbeitsagentur – legt nun nahe, dass sich die Asyleinwanderung wirtschaftlich gesehen nicht rechnen dürfte. Demnach ist knapp die Hälfte der Schutzsuchenden, die im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen sind, auch sechs Jahre nach Zuzug nicht erwerbstätig (46 Prozent).
Von den erwerbstätigen Asylbewerbern arbeiten sechs Jahre nach Zuzug bloß 70 Prozent Vollzeit, wie aus einer Mitteilung hervorgeht (also umgerechnet 38 Prozent von der Gesamtheit). Dabei verdienten sie ein mittleres Bruttomonatsentgelt von 2037 Euro, was 60 Prozent des durchschnittlichen Bruttogehalts aller Erwerbstätigen in Deutschland entspricht.
45 Prozent beziehen Sozialleistungen
Als Erwerbstätigkeit gilt dabei nicht nur eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder eine Selbstständigkeit, sondern auch eine Ausbildung, ein bezahltes Praktikum oder ein Minijob.
Nur eine Minderheit bildete sich laut den Zahlen weiter. 67 Prozent haben sechs Jahre nach Zuzug keine Schule oder Hochschule in Deutschland besucht oder eine Ausbildung oder Weiterbildungsmaßnahmen absolviert. 45 Prozent erhalten Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz, Bürgergeld oder Arbeitslosengeld. Grundlage war eine repräsentative Stichprobe von über 10.000 Asylbewerbern und ihren Haushaltsangehörigen, die zwischen 2013 und Mitte 2019 nach Deutschland zuwanderten und im Jahr 2021 befragt wurden.
Betrachtet man alle Asylbewerber (nicht bloß diejenigen, die bereits sechs Jahre in Deutschland leben), ist der Anteil der Erwerbstätigen leicht geringer. Laut dem IAB liegt die Erwerbstätigenquote dann bei 51 Prozent, wie ein Mitarbeiter auf DWN-Nachfrage erklärte. So viele der Asylbewerber und ihrer Haushaltsangehörigen, die zwischen 2013 und Mitte 2019 nach Deutschland kamen, waren im Jahr 2021 erwerbstätig.
In diesem Zeitraum zählte das BAMF knapp zwei Millionen Asyl-Erstanträge. Das bedeutet grob gerechnet, dass circa eine Million Asylbewerber von Sozialleistungen lebten und nicht arbeiteten, die in diesem Zeitraum nach Deutschland gekommen sind.
Laut der Internetseite der Arbeitsagentur ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei den Staatsangehörigen aus den acht Hauptasylherkunftsländern geringer. Demnach befanden sich 35,1 Prozent im Januar in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.
Diese Zahl berücksichtigt allerdings nicht Personen wie Beamte und Selbstständige, die in der Regel nicht sozialversicherungspflichtig sind. Der Anteil der Bürgergeld-Bezieher lag bei 45 Prozent. Die acht Hauptasylherkunftsländer sind Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea, Iran, Nigeria, Pakistan und Somalia. Von dort kommen etwa zwei Drittel aller Asylbewerber.
Masseneinwanderung verschärft das Rentenproblem
Kritische Ökonomen betonten denn auch wiederholt, dass sich die Masseneinwanderung für den Staat nicht rechnet und die Schieflage der Sozialsysteme verschärft. Etwa schätzte der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen in einer Analyse aus dem Jahr 2018, dass jeder der 1,4 Millionen Zuwanderer aus der Einwanderungswelle seit 2015 den Fiskus 225.000 Euro über das gesamte Leben kostet.
„Das ist ein deutlich teureres Willkommensgeschenk, als ursprünglich von Politik und Medien kommuniziert wurde, dessen Höhe zudem auch noch aus einem ,unrealistisch-optimistischen’ Annahmerahmen resultiert“, schreibt der Professor. „Unter lediglich optimistischen oder gar unter realistischen Annahmen dürften die Kosten um ein Vielfaches höher liegen.“
Ursache ist laut Raffelhüschen das geringe Qualifikationsniveau der Asylbewerber. Drei Viertel hätten laut dem BAMF kein elementares Sprachniveau. Nach Absolvieren eines Sprachkurses ließe sich bloß einer einstelligen Prozentzahl ein ausreichendes Sprachniveau für den Arbeitsmarkt bescheinigen.
Außerdem hätten laut einer anderen BAMF-Befragung 40 Prozent der Asylbewerber aus dem Jahr 2016 keinen Schulabschluss, berichtet Raffelhüschen weiter. 85 Prozent verfügten nicht über eine Ausbildung, die mit deutschen Standards vergleichbar sei.
Der Ökonom Daniel Stelter denkt ebenfalls nicht, dass die Zuwanderung der vergangenen Jahre die Sozialsysteme stützt. „Das setzt voraus, dass die Zuwanderer qualifiziert sind und dass die Zuwanderer eben auch wirklich erwerbsbeteiligt sind. Das heißt, dass sie arbeiten, Geld verdienen, Sozialbeiträge zahlen“, sagte er kürzlich gegenüber dem Cicero. Nach Deutschland wanderten aber vor allem Geringqualifizierte ein und dem Staat gelinge es nicht, diese für anspruchsvollere Jobs weiterzubilden.
Für Hochqualifizierte sei die Bundesrepublik nicht attraktiv. „Wenn Sie nach Deutschland blicken und sagen: Ich komme dahin als Single, habe die höchste Abgabenbelastung innerhalb der OECD. Und wenn ich heirate und Kinder habe, dann habe ich es mit einem schlechten und verfallenden Bildungssystem zu tun, wo Leistung nicht mehr zählt“, sagte Stelter. „Außerdem habe ich noch das Problem, dass die Abgaben weiter steigen müssen, weil sie sehr viel alte Leute haben und nicht vorgesorgt haben.“
Verschärfend kommt hinzu, dass viele deutsche Staatsbürger auswandern und nicht mehr zurückkehren. Allein in den zehn Jahren bis 2019 lag der Verlust bei 50.000 Personen pro Jahr, wie die NZZ berichtete. Drei Viertel aller deutschen Auswanderer haben laut Untersuchungen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung einen Hochschulabschluss. Ein Jahr nach der Auswanderung verdienen sie im Schnitt 1200 Euro pro Monat mehr im Ausland (netto und kaufkraftbereinigt) und berichten von höherer Zufriedenheit.
Für Bernd Raffelhüschen ist daher klar, dass ein generöser Sozialstaat und offene Grenzen nicht zusammengehen. „Jede Form der Zuwanderung hat unmittelbar in den Arbeitsmarkt zu erfolgen, eine Zuwanderung in soziale Sicherungssysteme ist an den Außengrenzen Europas zurückzuweisen“, erklärt er. Hiermit würde das Rentenproblem tatsächlich gemildert, falls es gelingen würde, durchschnittlich qualifizierte, junge Einwanderer ins Land zu holen.