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Trittin verteidigt Paus: Vorgehen mehr als nachvollziehbar

Lesezeit: 5 min
19.08.2023 14:18  Aktualisiert: 19.08.2023 14:18
Mit der Blockade von Lisa Paus im Kabinett ist Streit in die Koalition zurückgekehrt. Vom Grünen-Politiker Trittin bekommt die Ministerin nun Rückendeckung. Auch von Kanzler Scholz fühlt sie sich unterstützt.

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Im koalitionsinternen Streit über die Kindergrundsicherung hat der Grünen-Politiker Jürgen Trittin Familienministerin Lisa Paus (auch Grüne) nach deren Blockade des Wachstumschancengesetzes den Rücken gestärkt. «Lisa Paus' Vorgehen kann man angesichts der Erfahrungen in der Koalition mehr als nachvollziehen», sagte der frühere Grünen-Fraktionschef der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Auf Vereinbarungen mit SPD wie FDP ist - anders als bei Rot-Grün - kein Verlass. Da ist es nur konsequent, wenn die vereinbarte Kindergrundsicherung erst seriös finanziert wird, bevor man Steuersenkungen von Herrn Lindner zustimmt.»

Mit der Kindergrundsicherung will Paus Leistungen für Familien zusammenfassen und diese zugleich erhöhen. Die FDP sieht Leistungsverbesserungen kritisch. Vor diesem Hintergrund hatte Paus das sogenannte Wachstumschancengesetz von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Kabinett blockiert. Dabei handelt es sich um ein Gesetzespaket mit steuerpolitischen Maßnahmen, die die Wirtschaft um jährlich rund 6,5 Milliarden Euro entlasten sollen.

«Sie hat damit den Mechanismus durchbrochen, bei dem die Grünen immer mehrfach für eine politische Einigung mit der FDP bezahlt haben, weil sie in Vorleistung gingen», sagte der frühere Bundesumweltminister Trittin. Er bezweifelte zugleich die Wirksamkeit der von Lindner vorgeschlagenen Entlastungen. «Lindners Wachstumschancengesetz bringt wenig, die Bekämpfung der Kinderarmut ökonomisch viel.» Die Entlastung einkommensarmer Schichten etwa mit der Kindergrundsicherung sei wachstumsfördernder als jede Steuersenkung für Unternehmen.

Der Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler stellte sich ebenfalls an die Seite der Familienministerin. «Das Vorgehen von Lisa Paus ist richtig. Es ist ein ganz normaler Vorgang im Kabinett, dass Gesetzentwürfe um wenige Wochen verschoben werden», sagte Kindler der «Rheinischen Post» (Samstag). Er riet: «Alle sollten jetzt von den Bäumen herunterkommen und sich wieder der Arbeit in der Sache zuwenden.» Beim Wachstumschancengesetz sieht Kindler noch Verbesserungsbedarf, «insbesondere mit Blick auf die Kosten-Nutzen-Effizienz mancher Vorschläge und die Auswirkungen für die kommunalen Kassen». Die Kindergrundsicherung nannte er nicht nur sozialpolitisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll. «Mit ihr bekämpfen wir die Armut von Kindern und Jugendlichen und investieren in die Fachkräfte von morgen.»

Juso-Chefin Jessica Rosenthal forderte eine rasche Einigung zur Kindergrundsicherung. «Es ist allerhöchste Eisenbahn, dass wir endlich mit der Umsetzung anfangen. Ich ertrage keinen Tag länger, dass es in einem reichen Land wie Deutschland Kinderarmut gibt und Familien nicht die Unterstützung erhalten, die sie verdienen», sagte Rosenthal der «Rheinischen Post». «Aber es ist kein guter Weg, wie Lisa Paus hier gerade agiert. Es bringt uns nicht weiter, sachfremde Themen miteinander zu verknüpfen», sagte die Juso-Chefin weiter.

Im Bundeselternrat wird Paus' Vorgehen «äußerst kontrovers diskutiert», wie dessen Vorsitzende Christiane Gotte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag) sagte. Die Skala reiche «von vollem Verständnis und Zustimmung bis hin zu absolutem Unverständnis und kompletter Ablehnung». In der Sache mahnte sie, die Bekämpfung von Kinderarmut und die Entlastung der Familien müsse oberstes Ziel sein, weil es um die Zukunft der Gesellschaft gehe. «Dies muss endlich auch bei Herrn Lindner ankommen.»

Strittig sind weiter die Kosten für eine Kindergrundsicherung. Für das Startjahr 2025 sind derzeit nur zwei Milliarden Euro vorgemerkt. Paus hatte zu Beginn zwölf Milliarden, später maximal sieben Milliarden Euro pro Jahr gefordert. Im Gesetzentwurf ist nach einem Bericht von «Zeit online» nun von zunächst 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2025 die Rede. Bei einem Pressestatement am Freitag hatte Paus keine Zahlen genannt und auch keine Fragen zugelassen.

SPD-Chef Lars Klingbeil rief die Ampelkoalition zum Zusammenhalt auf. «Mitten in Europa tobt ein Krieg, die Wirtschaft braucht unsere Unterstützung beim klimaneutralen Umbau, wir haben eine rechtsextreme Partei, die Zulauf hat. Auf diese Herausforderungen müssen wir unsere Energie verwenden», sagte Klingbeil dem RND. «Ich erwarte, dass sich alle Koalitionspartner schnell besinnen», fügte er hinzu. Die Regierung müsse die Alltagsprobleme der Menschen lösen und ihnen im Wandel Sicherheit geben. Die Kabinettsklausur am Ende des Monats müsse ein Erfolg werden, mahnte Klingbeil. (dpa)

Paus fühlt sich von Scholz unterstützt

Im koalitionsinternen Streit über die Kindergrundsicherung fühlt sich Familienministerin Lisa Paus von höchster Stelle bestärkt. «Ich danke dem Bundeskanzler, dass er gestern nochmals seine Unterstützung für die Kindergrundsicherung deutlich gemacht hat», sagte die Grünen-Politikerin am Samstag am Rande eines Tags der offenen Tür ihres Ministeriums in Berlin. «Wir sind auf der Zielgeraden, und ich gehe optimistisch in die weiteren Gespräche auch mit dem Bundesfinanzminister, sagte sie mit Blick auf Christian Lindner (FDP).

Paus will mit der Kindergrundsicherung Leistungen für Familien zusammenfassen und diese zugleich erhöhen. Die FDP sieht Leistungsverbesserungen kritisch. Kanzler Olaf Scholz hatte Paus vor der Sommerpause aufgefordert, bis Ende August einen geeinten Gesetzentwurf vorzulegen. Am Freitag sagte der SPD-Politiker, er sehe die Arbeit an dem Vorhaben auf einem guten Weg.

Zuvor hatte Paus im Kabinett für einen Eklat gesorgt: Sie blockierte das sogenannte Wachstumschancengesetz mit Steuererleichterungen, die die Wirtschaft um jährlich rund sechs Milliarden Euro entlasten sollen.

Die Ampel müsse beides im Blick haben, Investitionen in Kinder und in die Wirtschaft, sagte Paus nun. «Dieses Signal sollten wir meiner Auffassung nach gemeinsam an die Menschen im Land aussenden.» Wenn die Bundesregierung nicht in Kinder investiere, seien die Folgekosten für Staat und Gesellschaft um ein Vielfaches höher als die Investition in die Kindergrundsicherung, argumentierte sie.

Grünen-Politiker Jürgen Trittin stärkte Paus für deren Blockade den Rücken. «Lisa Paus' Vorgehen kann man angesichts der Erfahrungen in der Koalition mehr als nachvollziehen», sagte der frühere Grünen-Fraktionschef der Deutschen Presse-Agentur. «Auf Vereinbarungen mit SPD wie FDP ist - anders als bei Rot-Grün - kein Verlass. Da ist es nur konsequent, wenn die vereinbarte Kindergrundsicherung erst seriös finanziert wird, bevor man Steuersenkungen von Herrn Lindner zustimmt.»

Paus habe «den Mechanismus durchbrochen, bei dem die Grünen immer mehrfach für eine politische Einigung mit der FDP bezahlt haben, weil sie in Vorleistung gingen», sagte der frühere Bundesumweltminister. Er bezweifelte zugleich die Wirksamkeit der von Lindner vorgeschlagenen Entlastungen.

FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer warf Trittin «irrationale Legendenbildung» vor. «Auch jetzt liegt Jürgen Trittin daneben, wenn er glaubt, die Erpressung und Geiselhaft des dringend notwendigen Wachstumschancengesetzes würde Menschen und Betrieben helfen», sagte er. Interne Machtrangeleien der Grünen verhinderten nun Wachstumsimpulse zur Sicherung des Wahlstands.

Juso-Chefin Jessica Rosenthal forderte eine rasche Einigung zur Kindergrundsicherung. «Ich ertrage keinen Tag länger, dass es in einem reichen Land wie Deutschland Kinderarmut gibt und Familien nicht die Unterstützung erhalten, die sie verdienen», sagte sie der «Rheinischen Post». «Aber es ist kein guter Weg, wie Lisa Paus hier gerade agiert. Es bringt uns nicht weiter, sachfremde Themen miteinander zu verknüpfen.»

Strittig sind vor allem Kosten und Umfang der Kindergrundsicherung. Für das Startjahr 2025 sind derzeit nur zwei Milliarden Euro vorgemerkt - laut Finanzminister Lindner als «Platzhalter». Paus hatte zu Beginn zwölf Milliarden, später bis zu sieben Milliarden Euro pro Jahr gefordert. Im Gesetzentwurf soll nach einem Bericht von «Zeit online» nun von zunächst 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2025 die Rede sein.

NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann forderte die Ampel-Koalition auf, mit der Kindergrundsicherung auch die Bildungschancen zu verbessern. Es dürfe nicht nur um höhere Leistungen gehen, «sondern vor allem um eine Verbesserung der Aufstiegschancen für Kinder und Jugendliche im Bildungssystem», sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Zentral sollte bei dieser Reform sein, dass Kinder besser durch die Schule kommen.» (dpa)


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