Finanzen

Oligopol der Indexanbieter: „Sie haben eine enorme Macht“

Lesezeit: 4 min
26.08.2023 09:41  Aktualisiert: 26.08.2023 09:41
Der ETF-Boom hat die Indexanbieter groß gemacht. Kritiker warnen vor einer bedenklichen Marktkonzentration. Die Folgen bekommen auch Privatanleger zu spüren.
Oligopol der Indexanbieter: „Sie haben eine enorme Macht“
Indizes wie der DAX oder der MSCI World sind keine objektiven Marktabbilder, sondern spiegeln immer auch die Marktmeinung des Erstellers wider. (Foto: iStock.com/gopixa)
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ETFs hatten in den vergangenen Jahren enormen Zulauf. In den USA hielten ETFs 12,6 Prozent aller Aktienvermögen zum Ende des zweiten Quartals, wie Zahlen des ETF-Anbieters ishares zeigen. Geringer war der Anteil in Europa (8 Prozent) und der Region Asien-Pazifik (2,4 Prozent).

Was in den Indexfonds steckt, entscheiden in der Regel aber nicht die Anbieter, sondern die Indexersteller. Hier wird der Markt von drei Schwergewichten dominiert, wie Zahlen der Unternehmensberatung Burton-Taylor zeigen, die DWN vorliegen. Der US-Konzern S&P Dow Jones vereinnahmte im vergangenen Jahr 25,1 Prozent der weltweiten Index-Umsätze von 5,3 Milliarden US-Dollar. Danach kamen MSCI (24,4 Prozent) und FTSE Russell (20,6 Prozent).

Diese Unternehmen konnten ihre Gewinne in den vergangenen Jahren deutlich steigern. Viele Anleger setzen zunehmend auf ETFs und vertrauen dabei auf altbekannte Namen wie MSCI World, S&P 500 oder FTSE All-World. Kleine Anbieter von unbekannten Indizes haben es gegen die Großen schwer.

„Enorme Macht“ der Indexanbieter

Kritiker sehen inzwischen eine bedenkliche Marktkonzentration. „Den neutralen objektiven Aktienmarkt an sich gibt es in der Praxis nicht, vielmehr liegt die Definitionshoheit bei einem Oligopol von Indexanbietern“, erklärt der Münchner Portfoliomanager Andreas Beck gegenüber DWN. „Damit haben sie eine enorme Macht.“ Das äußere sich in höheren Preisen, extremen Lizenzbedingungen und Intransparenz bei Nachhaltigkeitsindizes.

Der Amundi-Chef Yves Perrier erklärte im Jahr 2019 gegenüber der Financial Times, die Indexgebühren seien „ein richtiges Problem“. „Bei diesen Anbietern handelt es sich um ein Oligopol, und die von ihnen verlangten Preise stehen in keinem Verhältnis zu ihrem Mehrwert.“

Auch die Autoren einer Studie vom Dezember 2019 konstatieren einen bedeutenden Einfluss. Die Rolle der Indexanbieter sei vergleichbar mit der von Ratingagenturen, die Milliarden von US-Dollar durch eine Herauf- oder Herabstufung eines Landes oder eines Unternehmens umleiten könnten. Dementsprechend könne die Indexgestaltung „erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmensführung und die Wirtschaftspolitik von Ländern“ haben, schreiben die Autoren, die auch 13 Experten aus der Finanzbranche für den Fachaufsatz interviewt haben.

Das Erstellen eines Index sei keine rein technische Aufgabe. Die Anbieter verfügten über beträchtlichen Spielraum bei der Berechnungsweise und Zusammenstellung der Indizes. Etwa habe S&P die Methodologie des S&P 500 mindestens acht Mal zwischen 2015 und 2018 verändert. „Ein Entscheidungsspielraum und Annahmen über ,gute’ Unternehmensführung und ,freie’ Märkte liegen ihrer scheinbar technischen Aufgabe zugrunde“, schreiben die Forscher.

Die Autoren verweisen etwa auf Unilever, den zweitgrößten Konsumgüterkonzern der Welt. Dieser verfügte über zwei rechtliche Hauptsitze in Rotterdam und London und wollte ursprünglich den Londoner Hauptsitz schließen. Doch die Pläne scheiterten im Jahr 2019 an dem Widerstand von Investoren. Diese fürchteten unter anderem eine Auslistung aus dem britischen Index FTSE 100 und somit Kursverluste bei der Unilever-Aktie. Seit Herbst 2020 befindet sich nun der einzige Hauptsitz in London.

Andreas Beck kritisiert inbesondere Entwicklungen bei Nachhaltigkeitsindizes, bei denen laut Burton-Taylor MSCI den größten Marktanteil hat. Bislang habe es gewisse Transparenz- und Neutralitätsregeln gegeben, die sicher stellen sollten, dass es nicht zu einem Machtmissbrauch komme und eine gewisse Objektivität gewahrt bleibe. Diese Regeln hätten sich die Indexanbieter selbst gegeben und veröffentlicht.

„Bei den Nachhaltigkeitsindizes ist das nicht mehr der Fall und damit steigt die Macht der Interpretationshoheit der Indexanbieter“, erklärt Beck. „Da bei diesen ESG-Nachhaltigkeitsindizes alles und nichts nachhaltig sein kann, ergaben sich traumhafte neue Geschäftsmöglichkeiten und diese wurden ziemlich radikal ausgenutzt.“

Einfluss über ganze Staaten

Die Autoren der Studie sehen den größten Einfluss der Indexanbieter bei Schwellenländer-Märkten. Hier habe MSCI die meisten Marktanteile. Zwar sei S&P nach Umsatz der größte Indexanbieter, aber das liege vor allem am „S&P 500“-Index.

Ob ein Schwellenland aufgenommen werde, entscheide sich unter anderem am Kriterium Marktzugang. Hierbei handle es sich um ein relativ weiches Merkmal, das unter anderem auf Befragungen von Marktteilnehmern beruhe und MSCI relativ viel Interpretationsspielraum lasse. Etwa sei die Entscheidung von MSCI im Juni 2017, chinesische A-Aktien in die „MSCI Emerging Markets“-Indizes aufzunehmen, „keine neutrale technische Bewegung, sondern ein hochpolitischer Prozess“ gewesen, schreiben die Autoren.

MSCI hat im Jahr 2019 die Gewichtung der chinesischen Festlandaktien, die weniger zugänglich sind als H-Aktien aus Hongkong, sogar auf 20 Prozent vervierfacht. Nach Schätzungen spülte die Entscheidung bis zu 80 Milliarden US-Dollar an ausländischem Finanzkapital nach China. Derzeit untersucht ein Ausschuss des US-Kongresses, ob MSCI und Blackrock US-Anlegergelder an chinesische Firmen weitergeleitet haben, die auf einer schwarzen Liste der US-Regierung stehen.

Der Finanzminister Perus reiste im Jahr 2015 nach New York, nachdem Spekulationen bekannt wurden, MSCI könnte Peru den Status als Schwellenland entziehen. „Letztendlich gelang es Peru, diesem Schicksal zu entgehen, indem es die Finanzmarktvorschriften änderte und ,Roadshows’ mit institutionellen Anlegern durchführte, um die notwendigen Maßnahmen zur Stärkung der Liquidität zu ermitteln und diese umzusetzen“, berichten die Autoren.

Die Anleger müssen laut einer Studie aufgrund der Marktkonzentration höhere ETF-Gebühren in Kauf nehmen. Demnach erhöhen sich die Kosten um knapp drei Basispunkte (0,03 Prozentpunkte) im Vergleich zu einem hypothetischen Indexmarkt mit sehr intensivem Wettbewerb.

Die Indexanbieter erhalten in der Regel eine variable Gebühr von den ETF-Anbietern, deren Höhe sich nach dem verwalteten ETF-Vermögen richtet. Die genaue Höhe ist allerdings ein Geschäftsgeheimnis. MSCI beziffert im jüngsten Quartalsbericht die Einnahmen auf 2,52 Basispunkte des Gesamtvermögens aller Aktien-ETFs, die auf MSCI-Indizes laufen (siehe Folie 14).

Kleine Anbieter können sich nicht durchsetzen

Kleine Anbieter versuchen laut der Studie von 2019 vor allem, über niedrige Index-Gebühren den Platzhirschen Konkurrenz zu machen. Diese hätten es aber schwer, erklären die in der Studie interviewten Brancheninsider. Zwar gebe es keine nennenswerten Qualitätsunterschiede zwischen den Indizes, aber Firmen wie der deutsche Mittelständler Solactive (laut Burton-Taylor 1 Prozent Marktanteil im Jahr 2022) fehle es an „Marken-Bekanntheit“.

Die großen Indexanbieter seien im Grunde „Brand Manager“. „Die Marken sind entscheidend. Es ist wie beim Trinken von Coca-Cola: Man könnte auch Dr. Pepper oder Pepsi-Cola trinken, aber [Investoren] bevorzugen Coca-Cola“, sagte einer der Brancheninsider.

Andreas Beck denkt daher, dass der Wettbewerb die Situation nicht regeln kann. „Indizes sind Infrastruktur, hier müsste grundsätzlich sehr streng überwacht werden.“ Die Situation sei nicht einzigartig. Die Kreditratingagenturen verfügten ebenfalls über ein Oligopol und hätten dieses in der Beratung und Bewertung von komplexen Wertpapieren ausgenutzt, was bekanntlich in der Finanzkrise geplatzt sei.

Eine marktwirtschaftliche Lösung könnte demgegenüber sein, die Namen der Indizes nicht mehr rechtlich zu schützen, sodass jede Firma einen Index als MSCI- oder FTSE-Index bezeichnen und vermarkten darf. Laut den interviewten Brancheninsidern sind ohnehin nur die Markennamen als intellektuelles Eigentum geschützt, aber nicht die Index-Methodologien.

Privatanleger können indes auch ETFs auf Indizes von Solactive erwerben, um von geringeren Gebühren zu profitieren. Die Fondsgesellschaft Amundi führt eine Range von „Prime“-ETFs, die auf Anleihe- und Aktienindizes von Solactive laufen.

Etwa gibt es kapitalisierungsgewichtete ETFs mit Aktien aus Industrieländern (ISIN: LU2089238203) und Schwellenländern (ISIN: LU2300295123). Die laufenden Kosten (TER) sind dabei mit 0,05 Prozent (Industrieländer) beziehungsweise 0,10 Prozent relativ gering. Daneben gibt es auch ETFs mit Unternehmens- und Staatsanleihen verschiedener Laufzeiten und Währungen.

***

Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

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