Wann gehört mir ein Gegenstand, wenn ich ihn kaufe und nutze bis er kaputt geht, oder wenn ich ihn reparieren (lassen) kann, um ihn so lange nutzen zu können wie irgend möglich? Die Frage, die der reichweitenstarke amerikanische YouTuber Marques Brownlee in seinem Video „What is Right to Repair“ stellt, beschäftigt Handynutzer weltweit. (video) In der Folge legt der Smartphone-Experte dar, wie es zum Beispiel bei Handys fast unmöglich ist, ein Recht auf Reparatur wirklich wahrzunehmen. Gerade Tech-Firmen und darunter besonders Apple blockieren Reparaturversuche wo sie können, erklärt Brownlee. Über absurd hohe Preise für Ersatzteile etwa, die einen Neukauf nahelegen, über kompakte Konstruktionen, die den Austausch einzelner Bauteile erschweren, oder über Softwarehürden, die freie Reparaturwerkstätten ausbremsen. Mehr als 4,4 Millionen Mal ist dieses Video in den vergangenen zwei Jahren aufgerufen worden und die darin aufgeworfenen Fragen treiben im Vorfeld der Verabschiedung des neuen EU-Right-to-Repair-Gesetzes auch europäische Verbraucherschützer um.
Verpflichtung soll Reparatur-Sektor ankurbeln
Mit dem neuen Gesetz will die EU im Sinne der Verbraucher ein „Recht auf Reparatur“ verankern. Die Reparatur defekter Elektrogeräte soll damit einfacher und attraktiver werden, und das auch nach Ablauf gesetzlichen Gewährleistung. Solange die Reparatur nicht teurer ist als ein neues Produkt, soll sie zur Pflicht werden. Die höhere Nachfrage soll den Reparatursektor ankurbeln und gleichzeitig Anreize für Hersteller und Verkäufer schaffen, nachhaltigere Geschäftsmodelle zu entwickeln. Denn die Wegwerf- und Neukaufkultur strapaziert nicht nur den Geldbeutel der Nutzer - ihren Verlust schätzt die EU-Kommission auf zwölf Mrd. Euro/Jahr - sondern auch die Umwelt. Sie verbraucht unnötig viele Rohstoffe, erhöht die Müllmengen und entspricht nicht der in der EU anvisierten Kreislaufwirtschaft.
Umfragen zufolge wünschen sich 77 Prozent der EU-Bürger- und Bürgerinnen mehr Reparaturmöglichkeiten. Im März hatte die EU-Kommission deshalb ihren Gesetzentwurf vorgelegt, zwei Parlamentsausschüsse haben inzwischen Änderungsanträge ausgearbeitet, Lobbyorganisationen für Verbraucher und Hersteller versuchen, die endgültige Fassung der neuen Verordnung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Denn der erste Entwurf gibt noch viel Anlass zu Kritik.
Die in der Tech-Szene kritisierten Punkte bei Mobiltelefonen stoßen auch Verbraucherschützern auf, wie die zuständige Referentin Ressourcenschutz des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Elke Salzmann, bestätigt. Grundsätzlich begrüße man den Vorstoß der EU-Kommission, „aber im Ganzen ist die Vorlage zu dünn, zu dürftig und enttäuschend“, sagt Salzmann. Es enthalte gute Ansätze wie etwa eine Matchmaking-Plattform, die Verbraucher mit Reparaturbetrieben und Verkäufern von wiederaufbereiteten Produkten zusammenbringt, aber keine wirklichen Gamechanger, die zu deutlich mehr Reparaturen führen werden.
So soll es nur für wenige Produktgruppen eine Pflicht der Hersteller zur Reparatur geben, nämlich für solche, die bereits unter das Ökodesign-Gesetz fallen und für die es bereits Vorgaben zu Haltbarkeit und Reparaturmöglichkeiten gibt. Dazu zählen große Elektrogeräte wie Wasch- und Spülmaschinen, Kühlschränke sowie Fernsehgeräte, Server und Vorrichtungen zur Datenspeicherung, Mobilfunkgeräte und Tablets. Bis eine neue Produktgruppe reguliert wird und dazukommen würde, vergingen in der Regel drei bis fünf Jahre. Deshalb müsse ein übergeordnetes Recht auf Reparatur gleich auf viele andere Produktgruppen angewendet werden können.
Intransparenz bei Preisen für Reparaturen
Ein zentrales Problem sei, dass in der Vorlage die Preise für Reparaturen nicht adressiert würden. Im geplanten Reparaturindex für Smartphones und Tablets hätte die Kommission die Preiskomponente weggelassen, das mache den Index für den Verbraucher so gut wie wertlos. „Die Kosten sind eine Hauptbarriere für Reparaturen.“ Die Hersteller müssten hier stärker in die Pflicht genommen werden, fordert Salzmann. Gut ist, dass Akkus zukünftig wieder einfacher ausgetauscht werden können. Freie Werkstätten klagen, dass sie oft mehr für Ersatzteile zahlen müssen, als Vertragswerkstätten, Prüf- oder Freischaltsoftware würde ihnen nicht zur Verfügung gestellt. „Die Gefahr besteht, dass es ohne herstellerunabhängige Reparatursysteme statt Wettbewerb bald nur noch Monopole gibt.“
Eine Reparatur soll immer dann verpflichtend sein, wenn die Kosten für einen Ersatz höher oder zumindest genauso hoch wie für eine Reparatur sind. Da jedoch ohne Preistransparenz am Ende nur noch der Hersteller entscheidet, ob eine Reparatur möglich oder lohnend ist und nicht mehr der Verbraucher, schränke das neue Gesetz deren Wahlrecht deutlich ein, kritisiert der vbzv.
Unternehmen brauchen Zeit zur Anpassung
Die Unternehmen sind zwar durch die recht begrenzte vom neuen Gesetz betroffene Gerätegruppe glimpflicher davongekommen, als sie befürchtet hatten, sehen das Recht auf Reparatur aber aus anderen Gründen kritisch. DIHK-Präsident Peter Adrian machte in einer Erklärung auf die logistischen und finanziellen Herausforderungen aufmerksam, die auf die Firmen zukommen, wenn Maßnahmen, wie die Ausweitung des Gewährleistungsrechts, das Vorhalten von Ersatzteilen oder das Bereitstellen von Informationen zur Reparierbarkeit und Ersatzgeräten Gesetz werden. Gerade für mittlere und kleinere Unternehmen müsse sichergestellt werden, dass genug Zeit für die Anpassung zur Verfügung steht und dass sie nicht mit bürokratischen Anforderungen überfordert werden, mahnte Adrian. Die DIHK wollte sich mit Vorschlägen in das weitere Gesetzverfahren einbringen.
Dass die Hersteller wenig begeistert sind, liegt für Verbraucherschützer auf der Hand. Geht es nach den EU-Plänen müssen sich die Hersteller in ihren Geschäftsmodellen dem Ressourcenschutz anpassen. Um Umsatzverluste im Verkauf zu kompensieren, könnten sie beispielsweise selbst mit guten Reparaturangeboten punkten, einen Second-Hand-Markt für wieder aufbereitete Produkte aufbauen, verstärkt über Leih- und Leasingmodelle nachdenken.
Der Markt für Reparaturen kann auch mit Hilfe von Subventionen angekurbelt werden, wie einige Vorreiter in der EU mit einem sogenannten Reparaturbonus zeigen. Österreich etwa unterstützt Reparaturen mit einem Bonussystem, das es aus den EU-Coronafonds für grüne Projekte finanziert, in Deutschland finanziert Thüringen seine Reparaturförderung aus dem Landeshaushalt, auch in Sachsen, Bremen und München sind laut Verbraucherschützerin Salzmann Fördermodelle geplant.
Frankreich, das bei Umwelt- und Verbraucherschutz im Produktdesign führend ist, hat bereits 2021 einen Reparaturindex eingeführt. Ersatzteilpreise werden hier berücksichtigt und fließen in die Bewertung ein. Die Hersteller müssen sich zudem nach dem Prinzip der erweiterten Herstellerverantwortung an einem Reparaturfonds beteiligen.
EU-Parlament fordert Reparatur-Bonus
Die Verbraucherschützer setzen bei Nachbesserungen am Recht auf Reparatur auf das EU-Parlament, das meist verbraucherfreundlich entscheidet. Dort drängt die Zeit, will man das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschieden. Im November sollen die Parlamentarier darüber entscheiden. Noch feilen sie an Verbesserungen. Auch sie fordern unter anderem mehr Preistransparenz, eine Öffnung auf weitere Produkte und eine finanzielle Förderung von Reparaturen. Gerade in der Zeit vor den Europawahlen könne man den Bürgern hiermit zeigen, dass das EU-Parlament ihnen einen echten Mehrwert biete, sagte MdEP René Repasi (SPD), Berichterstatter des federführenden Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz bei der Vorstellung seines Berichts. Nach dem Votum des EU-Parlaments folgen noch die Trilog-Verhandlungen. Dabei müssen sich dann Kommission, Ministerrat und Parlamentarier auf eine Kompromiss-Version einigen. Da bleibt bis zu den Europawahlen im Juni 2024 nicht mehr viel Zeit.