Die Entscheidung der Währungshüter war diesmal mit erheblicher Spannung erwartet worden, da es diesmal – anders als bei den vorangegangenen Zinsentscheidungen – überhaupt nicht sicher war, wie sich der Rat der EZB entscheiden wird. Denn sowohl für eine weitere Erhöhung der Zinsen wie auch für eine einstweilige Zinspause gab es durchaus Gründe. Dies spiegelte sich auch in einem völlig geteilten Meinungsbild unter den Marktbeobachtern wider. Zu fast gleichen Teilen plädierten Ökonomen für eine Pause oder für einen weiteren, wenn auch vorsichtigen Zinsanstieg. Gleichzeitig mit dem Leitzins erhöhte auch der Rat den für die Finanzmärkte wichtigen Einlagesatz von 3,75 auf 4,0 Prozent. Diesen Satz erhalten Geldhäuser für das Parken von Geldern bei der Notenbank. Mit der Entscheidung des Rats ist nun innerhalb des Euroraums das höchste Zinsniveau erreicht seit dem Start der Währungsunion 1999.
Die Gründe für die Entscheidung
Auch innerhalb des Rates war die nun getroffene Zinsentscheidung keinesfalls umstritten. EZB-Präsidentin Lagarde erklärte, dass die Entscheidung im Rat keineswegs einstimmig gefallen sei, am Ende hätte es jedoch für eine erneute Erhöhung der Zinsen „eine solide Mehrheit“ gegeben. Tatsächlich gab es jedoch schließlich einen Grund, gegen den sich nur schlecht argumentieren ließ: Nach ihrer verspäteten Abkehr von der Politik des billigen Geldes – EZB-Präsidentin Christine Lagarde und ihr enger Berater, EZB-Chefökonom Philip Lane, hatten die Inflationsgefahren lange unterschätzt – hatte die EZB immer wieder nachdrücklich betont, dass die Zentralbank fest entschlossen sei, die Inflation auf zwei Prozent zu drücken. Gegenwärtig liegt aber die Inflation im Euroraum bei 5,3 Prozent, in Deutschland gar bei 6,1 Prozent. Hätte jetzt die EZB auf eine Erhöhung der Zinsen verzichtet, wäre die Gefahr einer Vertrauenskrise groß gewesen. Denn warum hätten dann die Finanzmärkte den Beteuerungen der EZB, die Inflation entschlossen zu bekämpfen, noch Glauben schenken sollen, wenn die EZB schon auf halbem Wege mit der Inflationsbekämpfung aufhört? Entziehen aber die Finanzmärkte einer Währung das Vertrauen, ist ihre Stabilität in höchstem Maße gefährdet.
Zusätzliche Unterstützung bekam dieses Argument durch jüngste Entwicklungen an der Preisfront. So befürchten die Zentralbanker, dass der jüngste Anstieg der Ölpreise die Geldentwertung befeuern dürfte. So haben die jüngsten Kürzungen der Fördermengen durch die OPEC dazu geführt, dass seit Anfang Mai der Ölpreis merklich gestiegen ist – und zwar um 20 auf nun 90 Dollar je Fass. Experten halten es sogar für durchaus möglich, dass zum Ende des Jahres der Preis pro Fass bei 100 Dollar liegen könnte. Zudem gehen die Währungshüter auch von einer zusätzlichen inflationären Entwicklung durch die jüngsten Lohnabschlüsse in der Eurozone aus. In den ersten beiden Quartalen haben die Tariflöhne in der Eurozone um rund vier Prozent zugelegt. Für das Gesamtjahr rechnet die EZB mit einem Zuwachs von insgesamt fünf Prozent und noch einmal mit zusätzlichen vier Prozent im nächsten Jahr. Dies allerdings, so die Befürchtung, dürfte dazu führen, dass Dienstleister, die nicht im internationalen Wettbewerb stehen, die gestiegenen Lohnkosten an die Kunden weitergeben, was wiederum zu einem Preisanstieg auf breiter Front führt.
Der Standpunkt des Mittelstands
Im Vorfeld der Zinsentscheidung wurde darüber spekuliert, ob eine weitere Zinserhöhung das Geschäftsklima in Deutschland belaste. Tatsächlich scheint der Mittelstand damit deutlich weniger Probleme zu haben, als vielfach angenommen wurde. So erklärt der Chefvolkswirt des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft, Hans-Jürgen Völz, gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN), dass „die maßvolle Erhöhung“ der Zinsen auch ein Signal an die deutsche Politik sei: „Die größte Volkswirtschaft Europas sollte sich nicht darauf verlassen, dass ihre strukturelle Wachstumsschwäche durch eine stimulierende Zinspolitik der Zentralbank kompensiert wird.“ Völz mahnte stattdessen eine strategische Standortpolitik an, dazu zählten nach seiner Meinung strukturelle Reformen, niedrigere Unternehmenssteuern, und ein Bürokratieabbau auf breiter Front.