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16.09.2023 08:52  Aktualisiert: 16.09.2023 08:52
Chinas Präsident Xi will einen Machtblock des Ostens schaffen, als Gegengewicht zum vermeintlich übermächtigen Westen. Doch so einfach ist das nicht. Denn Indien und andere Staaten scheren offenbar aus.
Chinas Xi hat keine Verbündeten
Einige vermeintlich Verbündete von China brüskieren Präsident Xi mit einer konkurrierenden Kooperation. (Foto: dpa)

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Der chinesische Präsident, Xi Jinping, konnte sich am 24. August 2023 noch in der Illusion wiegen, er hätte die BRICS-Gruppe schon in seiner politischen Tasche und könnte mit diesen Ländern den Traum von der Schaffung eines Machtblocks des Ostens im Gegensatz zum vermeintlich übermächtigen Westen verwirklichen. Vor allem entstand der Eindruck, Indien hätte endlich den Vorrang Chinas akzeptiert. Das Glück des machthungrigen Herrn Xi dauerte nicht lange. Am 10. September 2023 verkündete der indische Premierminister Marendri Modi im Rahmen der in Neu-Delhi abgehaltenen G20-Tagung die Teilnahme seines Landes an Aufbau eines Eisenbahn- und Schifffahrtsnetzes von Indien über Saudi-Arabien und den Nahen Osten nach Europa. Dieses internationale Großprojekt „Global Gateway“ wird auch Pipelines enthalten und in letzter Konsequenz außerdem Transportwege nach Amerika umfassen und präsentiert sich als Antwort auf Chinas „Neue Seidenstraße“.

Nicht nur Indien, auch Saudi-Arabien und Afrika folgen Xi nicht

Xi bekam nicht nur von Modi Absagen für seine Weltherrschafts-Träume. Bei der BRICS-Tagung hatte Xi noch die Aufnahme der verfeindeten Länder Saudi-Arabien und Iran in die Gruppe durchgesetzt. Xi glaubt bekanntlich, er hätte diesen Konflikt im vergangenen März durch einen diplomatischen Paukenschlag bereinigt. Aber nun spielt Saudi-Arabien eine zentrale Rolle im Rahmen des anti-chinesischen „Global Gateway“. Der Iran wird wohl weiterhin ein Vasall Chinas bleiben.

Das umfassende Engagement Chinas in Afrika mit dem Erwerb riesiger Agrarflächen und der Errichtung zahlreicher Fabriken, die von Chinesen geführt werden, hat den Eindruck entstehen lassen, dass Teile des Kontinents eine chinesische Kolonie wären. Bei der Tagung in Neu-Delhi wurde die Afrikanische Union, die alle 55 Staaten des Kontinents vertritt, in die Gruppe der G20 aufgenommen.

Der chinesische Machthaber dürfte die Signale verstanden haben, die auch zu den in den letzten Monaten erfolgten Bekenntnissen der Nachbarstaaten Chinas zu einer verstärkten Militärkooperation mit den USA passen. Nordkorea galt stets als ein gehorsamer Freund Chinas, vor kurzem besuchte Nordkoreas Herrscher Kim Jong un nicht Xi, sondern Wladimir Putin. Kim wird Russland Waffen und Munition für den Ukraine-Krieg liefern und erhält im Gegenzug russische Unterstützung für das nordkoreanische Weltraumprogramm.

Die Eroberung von Taiwan steht immer noch auf Chinas Programm

In diesem Umfeld ist es nicht erstaunlich, dass Xi, der bisher nur von der Eroberung des demokratischen Nationalchina auf der Insel Formosa sprach, zwei Tage nach dem G29-Gipfel verkündete, man werde die wirtschaftliche Kooperation mit Taiwan vertiefen. Diese neuen, friedlicheren Töne fügen sich in das Bild der vergangenen Wochen, die gezeigt haben, dass Xis Bemühen um die Weltherrschaft auch von seinen vermeintlichen Freunden und Vasallen nicht mit Applaus bedacht wird. Den freundlichen Signalen an die Adresse von Taiwan folgte nur wenige Stunden später die Korrektur. Zahlreiche chinesische Militärflugzeuge drangen in den taiwanesischen Luftraum ein, Kriegsschiffe umrundeten die Insel, auf den Decks sah man Soldaten. die Landemanöver trainierten.

Neue Rahmenbedingungen für den Erdgas- und den Wasserstoff-Markt

Der Beschluss der G20, den Global Gateway zu errichten, hat nicht nur in Fernost geopolitische Konsequenzen. Es geht bei diesem Projekt in erster Linie um die Sicherung der Versorgung Europas und anderer Interessenten mit Wasserstoff, das bereits als das Rohöl des 21 Jahrhunderts bezeichnet wird. Auch der Ersatz der russischen Erdgaslieferungen soll über diesen internationalen Transportweg erfolgen.

Die indische Regierung fördert Wasserstoffprojekte mit Milliarden. 2030 will das Land mindestens ein Zehntel des weltweiten Bedarfs an grünem Wasserstoff decken.

Saudi-Arabien will ein führender Wasserstoffproduzent werden. Offizielle Stellen nennen für 2030 eine Zielgröße von jährlich 2,9 Millionen Tonnen, bis 2035 sind 4 Millionen Tonnen geplant.

Eine Schlüsselrolle in dem Projekt nimmt Israel ein.

  • Israel ist ebenfalls Produzent von Wasserstoff. Israelische Forscher der Universität Tel-Aviv haben zudem eine neue Methode der Wasserstoff-Herstellung entwickelt. Wasserstoff wird meist mit Energie aus Kohle oder Erdgas hergestellt. Beim Einsatz von erneuerbarer Energie spricht man von „grünem Wasserstoff“. Die bisher übliche Methode ist nur zu 70 Prozent energieeffizient, die neue israelische Methode kommt auf einen Nutzungsgrad von 90 Prozent. Zum Einsatz kommen Enzyme, die Wasserstoff produzieren. Israel kommt zugute, dass das Land in der Wüste Negev über große Photovoltaik-Anlagen verfügt.
  • Israel errichtet derzeit eine umfassende Infrastruktur, die die Verflüssigung von Gas und die Vergasung von flüssigem Gas ermöglichen wird. Beide Vorgänge sind entscheidend, um den Umschlag von Wasserstoff ebenso wie von Erdgas zu ermöglichen. Außerdem wird die Pipeline EastMed von Israel über Zypern, Kreta, Griechenland und Italien für den Transport von Erdgas und Wasserstoff nach Europa gebaut. Die Rohrleitung wird von dem griechisch-italienischen Konsortium IGI Poseidon verlegt, das von DEPA International Projects S.A. und Edison S.p.A. errichtet wurde. ,
  • Im östlichen Mittelmeer befinden sich im m Meeresboden enorme Erdgasvorkommen in der Größenordnung von 2200 Milliarden Kubikmeter, die den europäischen Bedarf zu einem beachtlichen Teil decken können, wodurch auch die Abhängigkeit von Erdgaslieferungen aus Russland enden würde. Alle Anrainerstaaten fördern das Gas, notwendig ist die im Bau befindliche EastMed-Pipeline-Verbindung nach Europa. Ebenso sind Tankschiffe, die das Gas in flüssiger Form transportieren, erforderlich.
  • Auch die Türkei möchte Umschlagplatz für Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer werden und setzt sich für den Bau einer Pipeline in die Türkei ein, die an das bestehende über die Türkei führende Netz angeschlossen werden soll. Da spielt die 2020 fertiggestellte TurkStream von Russland in die Türkei eine Rolle, die auch eine Verlängerung nach Europa erhalten und letztlich russisches Gas doch nach Westeuropa bringen würde.
  • Alle Anrainerstaaten bemühen sich um den Ausbau der Infrastruktur. So verfügt beispielsweise Ägypten über zwei Flüssiggasanlagen und hat allein im ersten Quartal 2023 2 Millionen Tonnen Gas vorwiegend nach Europa geliefert.

Ein Friedensschluss zwischen Saudi-Arabien und Israel?

Weitreichend politische Konsequenzen hat der Global Gateway für den Nahen Osten. Es zeichnet sich also ab, dass künftig Erdgas und Wasserstoff aus Saudi-Arabien über Israel nach Europa geliefert wird. Zwischen den beiden Ländern finden bereits seit langem wirtschaftliche Kooperationen statt, politisch ist Saudi-Arabien bisher nicht bereit, dem Beispiel einiger arabischer Staaten zu folgen, die mit Israel Frieden geschlossen und diplomatische Beziehungen aufgenommen haben. Dazu gehören Ägypten, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko, der Sudan. Nachdem zwischen Israel und Saudi-Arabien auf allen Ebenen intensive Kontakte stattfinden, meinen Beobachter, dass ein Friedensschluss zustande kommen werde. Um allerdings den Eindruck zu vermeiden, dass man die Interessen der Palästinenser verrate, errichtet Saudi-Arabien gerade ein Konsulat bei der palästinensischen Führung in Jerusalem.

Auch für die EU stellt sich die Frage nach der künftigen Nahostpolitik- Die EU-Kommission überweist jedes Jahr mindestens 300 Millionen Euro an die palästinensischen Organisationen. Aus der Sicht der Palästinenser sind derartige Zuwendungen eine Bestätigung ihrer Politik, die auf die Vernichtung Israels und die Ermordung der jüdischen Israelis abzielt. Die Palästinenser sehen in der Ermordung von 5 Millionen Juden im Rahm des Holocaust eine Legitimation ihrer Aktivitäten. Dies kam erneut in einer vor wenigen Tagen von Palästinenser-Präsident Abbas gehaltenen Rede zum Ausdruck. In den vierziger Jahren bestanden enge Beziehungen zwischen der damaligen Palästinenser-Führung und den Nazi-Spitzen. Im November 1941 wurde Mohammed Amin-al-Husseini von Hitler in Berlin empfangen.

Die EU wird ihre Nahost-Politik gründlich überdenken müssen

Wenn heute fanatische Antisemiten nach die Vernichtung der letzten Million schreien, so meinen sie die etwa eine Million Juden, die dem Holocaust entkommen sind und überwiegend Israel aufgebaut haben. Die heutigen Juden in Israel, die von den Palästinensern bekämpft werden, sind also die Nachkommen dieser Million und für die Palästinenser-Führung entsteht der Eindruck, dass die EU-Kommission mit ihren großzügigen Subventionen letztlich nichts anderes tut als die Vernichtung der letzten Million durch die Palästinenser zu fördern. Schließlich werden die Palästinenser vom Iran auch nur gefördert, um Israel zu vernichten. In Brüssel scheint diese fatale Optik niemandem aufzufallen.

Wenn künftig die EU ihre Gas- und Wasserstoff-Probleme mit Israels Hilfe entschärfen wird, dürfte die Beziehung zu dem Land doch neu konzipiert werden. Auch eine andere Dimension ist gerade im Entstehen. Europa will eine umfassende Raketen- und Drohnen-Abwehr unter der Bezeichnung „Sky Shield“ aufbauen. Bei diesem Projekt wird man auf die Expertise Israels nicht verzichten können. Der israelische „Iron Dome“ ist das weltweit einzige System, das einen lückenlosen Schutz gewährt und sogar einem Dauerbeschuss standhält, der weniger dicht angelegte Abwehrsysteme überfordert. Es ist schwer vorstellbar, dass die EU weiterhin Israels Todfeind finanziert, während israelische Offiziere europäischen NATO-Offizieren zeigen, wie man einen Iron Dome aufbaut. Ein schiefes Bild entsteht auch, wenn man mit Israels Hilfe die Abhängigkeit von Russlands Gas verringert und die Energiewende hin zum Wasserstoff schafft.

Fazit: Währned die meisten „Gipfel“, die von der internationalen Politik auf höchster Ebene inszeniert werden, ohne nennenswerte Ergebnisse enden, kann man das vom G20 Gipfel im September 2023 in Neu Delhi nicht sagen. Innerhalb weniger Stunden wurden die Machtgelüste des chinesischen Präsidenten in Frage gestellt, eine Perspektive für die seit Jahrzehnten unlösbar scheinende Nahost-Krise eröffnet, außerdem wurden Weichen gestellt, die den globalen Energiemarkt grundlegend verändern werden.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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