Hatte die bayerische Regierung aus den Vorgängen dieses Sommers um das sogenannte Heizungsgesetz nichts gelernt? Gegen den Willen großer Teile der betroffenen Bevölkerung konnte es bekanntlich in seiner geplanten Fassung nicht durchgesetzt werden. Und Entsprechendes hatte Bayerns Regierung selbst bereits vor fünf Jahren erfahren müssen, als sie sich nach zahlreichen Protesten aus der Bevölkerung veranlasst sah, ein voraussetzungsloses Recht zur Ablehnung von Funkwasserzählern in der Bayerischen Gemeindeordnung (§ 24) ausdrücklich festzuschreiben. Am 10. Juli 2023 aber wurde vom Bayerischen Landtag in zweiter Lesung eine Gesetzesänderung beschlossen, wonach jenes 2018 eingeräumte Widerspruchsrecht mit Wirkung zum Jahresbeginn 2024 wieder kassiert wird[1]. Die Begründung klingt teilweise kurios und jedenfalls nicht gerade demokratisch: In der Praxis habe die Regelung dazu geführt, dass in Bayern kaum noch funkauslesbare Wasserzähler eingebaut wurden! Das aber bedeutet ja nichts anderes, als dass man auf bayerischem Boden in Sachen Funkwasserzähler wieder einmal Politik gegen den offenkundig mehrheitlichen Willen der Bevölkerung machen möchte.
Gewiss, die Staatsregierung kann sich bei der vorgenommenen Gesetzesänderung auf die unsägliche Europäische Leitlinie von 2018 berufen, die fernablesbare Wasserzähler für Mietwohnungen und verbrauchsabhängige Mehrparteienwohnungen vorschreibt[2], um diese Vorschrift ansatzweise zu generalisieren. Doch die Gründe für die verbreitete Verweigerungshaltung in der Bevölkerung gegenüber den häufig funkenden Wasserzählern waren und bleiben beachtlich genug. Der ursprüngliche, 2018 in Bayern später stornierte Gesetzesentwurf hatte vorgesehen, dass die Grundrechte auf Freiheit der Person und auf die Unverletzlichkeit der Wohnung tatsächlich eingeschränkt würden, um einen Duldungszwang hinsichtlich der Funkwasserzähler zu ermöglichen. Längst aber sind die Einseitigkeiten der bekannten Behauptungen durchschaut, wonach es wissenschaftlich erwiesen sei, dass Mobilfunkstrahlung gesundheitlich völlig harmlos sei[3].
An sich ist ja Wissenschaft frei und pluralistisch angelegt, zudem ergebnisoffen und im Zuge stetigen Fortschritts revisionsbereit. Gleichwohl gilt es zu bedenken, dass in vielen Forschungsbereichen Abhängigkeiten bei diversen Projekten und Studien von Geldgebern und vorgegebenen Interessenlagen eine durchaus fragwürdige Rolle spielen[4]. Deshalb ist es auch kaum möglich, im Zusammenhang der Mobilfunk-Problematik pauschal von „der“ Wissenschaft zu sprechen, zumal die Ergebnislage international keineswegs eindeutig ist[5]. Selbst die Berufung auf den „Mainstream der Wissenschaft“ kann nicht als Totschlag-Argument fungieren: Zu groß sind vielfach Einflussnahmen von nichtwissenschaftlicher Seite auf Ergebnisse!
Bei Funkwasserzählern kommt hinzu, dass sie herade aufgrund der blitzschnellen Datenübertragung besonders geeignet sind, denkbaren Überwachungsmaßnahmen heute oder in der Zukunft zu dienen. Die bayerische IT-Expertin Yvonne Hofstetter hat schon 2018 in einem Interview zum Thema ihrer Befürchtung Ausdruck gegeben, offenbar würden sich erneut die Interessen von Industrie, Wirtschaft und Kommunen gegen die Bürger durchsetzen[6]. Sie erklärte damals, was heute ebenso zutrifft: „Man kämpft hier durchschaubar ums sogenannte Datengold – Stichwort Big Data, in der Überzeugung, dass das ‚Internet der Dinge‘ zu mehr Wirtschaftswachstum führen werde. Wozu sollen meine elektronischen Zähler den fast sekundengenauen Wasserverbrauch meines Haushalts funken, wenn die Wasserwerke wirklich nur an der Verbrauchsmessung interessiert wären? Solche personenbezogenen Massendaten erheben aus meiner beruflichen Erfahrung nur diejenigen, die Verhaltensprofile von Personen erstellen wollen.“ Tatsächlich funktioniert das insbesondere im Zuge der Zusammenführung weiterer Daten aus anderen Quellen über betreffende Personen und Haushalte. Hofstetter betont, aus sekundengenauen Zählerdaten könne man „algorithmisch herleiten, wie viele Menschen wirklich in einem Haushalt wohnen oder zu welchen Tageszeiten die Bewohner zuhause anwesend sind.“ Mit solchen abgeleiteten Informationen ließe sich das Wohnverhalten schließlich sogar einigermaßen vorhersagen: „Dass Unbekannte wissen, wann meine Wohnung leer steht, versetzt mich in allergrößte Sorge.“
Beim Heizungsgesetz hatte man diesen Sommer intensiv um das Prinzip der Technologiefreiheit gerungen und diese schließlich einigermaßen einräumen müssen. Warum soll es solche Technologiefreiheit nicht auch bei Wasser- und Stromzählern sowie bei Rauchmeldern geben? Warum soll der Bürgerwille um des sogenannten Fortschritts willen politisch wieder einmal merklich ignoriert werden? Spielt man damit nicht ungewollt jenen verschwörungstheoretischen Kreisen in die Hände, die längst von einer „smarten Diktatur“ reden? Gerade in unseren Tagen wären Signale hochwichtig, dass es hierzulande nicht um den Abbau von Grundrechten, sondern um deren Wahrung gehen muss.
Aber die Digitalisierungspolitik sucht sich auch auf dem Gebiet des Wassererzählens technologisch rigoros durchzusetzen. Insofern stellt der Philosoph Eduard Kaeser zurecht fest: „Die Allianz von Big Science, Big Data und Big Industry ermutigt heute ein Vorwärtsstürmen, das das Nachdenken plattwalzt.“[7] Zugleich unterstreicht er: „Was ursprünglich zur Erleichterung unseres Lebens konzipiert wurde, verkehrt sich nun in eine Last, wenn nicht gar in eine Bedrohung.“
Immerhin behalten die Gemeinden nach der Bayerischen Gemeindeordnung immer noch die Wahl, ob sie Funkwasserzähler einbauen wollen oder nicht; das können sie in ihren Satzungen festlegen. Und es besteht nach wie vor prinzipiell das Widerspruchsrecht nach Artikel 21 der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), wonach betroffene Personen berechtigt bleiben, aus Gründen, die sich aus ihrer besonderen Situation ergeben, jederzeit gegen die Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten Widerspruch einzulegen – gerade auch hinsichtlich eines auf die geltenden Bestimmungen gestütztes Profiling. Tatsächlich bekräftigt Johannes Franck in einer wissenschaftlichen Untersuchung: Sofern „personenbezogene Energiedaten in kurzen Intervallen ohne ein Einwilligung der betroffenen Bewohner erhoben und verarbeitet werden, stellt dies einen nicht gerechtfertigten Eingriff in den Schutzbereich von Art. 13 GG dar.“[8] Und auch hinsichtlich der biologischen Effekte von Mobilfunkstrahlung dürfte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein[9]. Das ahnt man übrigens auch in Brüssel[10].
Hinweis: Von Prof. Dr. Werner Thiede liegt aktuell die Broschüre vor: „Im Namen des sogenannten Fortschritts. Zur zunehmenden Einschränkung bürgerlicher Schutz- und Freiheitsrechte“ (pad-Verlag 2023).
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Quellen:
[1] Siehe www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000017500/0000017907.pdf.
[2] Dazu Werner Thiede: Fernablesung der Heizung wird Pflicht. Bürger werden der Mobilfunk-Strahlung ausgesetzt, in: Deutsche Wirtschaftsnachrichten vom 12.12.2021:deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/516187/Fernablesung-der-Heizung-wird-Pflicht-Buerger-werden-der-Mobilfunk-Strahlung-ausgesetzt (Printfassung in: DWN Nr. 102, Januar 2022, 40-41).
[3] Vgl. Werner Thiede: Kann wahr sein, was nicht sein darf? Über mögliche negative gesundheitliche Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung, in: Die Tagespost, Nr. 27 vom 7.7.2022, 25.
[4] Vgl. Christian Kreiß: Gekaufte Wissenschaft. Wie uns manipulierte Hochschulforschung schadet und was wir dagegen tun können, 2020. In der Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis räumen Linda Nierling und Helge Torgersen ein, zwar habe Neutralität lange als unhinterfragte Grundlage im Selbstverständnis von Technikfolgenabschätzung gegolten, doch inzwischen sei „Neutralität als Mythos der Technikfolgenabschätzung“ entzaubert (Normativität in der Technikfolgenabschätzung, in: TATuP 28, 1/2019, 10-14, hier 10).
[5] Vgl. Werner Thiede: Wie WHO und Industrie die Gefahren des Mobilfunks herunterspielen – und die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel setzen, in: Deutsche Wirtschaftsnachrichten vom 6.6.2021: deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/512337/Wie-WHO-und-Industrie-die-Gefahren-des-Mobilfunks-herunterspielen-und-die-Gesundheit-der-Bevoelkerung-aufs-Spiel-setzen?src=rec-newsboxes
[6] Yvonne Hofstetter 2018: www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/wirtschaft/detailansicht-wirtschaft/artikel/grundrechte-nicht-halbherzig-gewaehren.html#topPosition
[7] Eduard Kaeser: Trojanische Pferde unserer Zeit. Kritische Essays zur Digitalisierung, 2018, 124.
[8] Vgl. Johannes Franck: Smart Grids und Datenschutz, Frankfurt a.M. u.a. 2016, 151. Hier wird auch erkennbar, warum die Smart Grid-Programmatik als solche keinen hinreichenden Grund für eine Aufhebung oder Einschränkung dieses schützenden Paragraphen darstellt.
[9] Vgl. Wilfried Kühling: Bewertungsdilemma Mobilfunk. Das Unvermögen staatlicher Risikobewertung endlich überwinden!, 2023; Diagnose:Funk (Hg.): Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit zu Risiken der Mobilfunkstrahlung, 2022; Joseph Mercola: EMF – Elektromagnetische Felder, 2020; Werner Thiede: Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlenden Vernunft, 2012.
[10] Ein Abgeordneten-Briefing des Wissenschaftlichen Diensts des Europäischen Parlaments von 2020 besagt mit Blick auf die 5G-Funktechnologie: „Zusammen mit der Art und Dauer der Exposition scheinen Eigenschaften des 5G-Signals wie das Pulsieren die biologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Exposition zu verstärken, einschließlich der DNA-Schäden, die als Ursache für Krebs angesehen werden“ (www.diagnose-funk.org/aktuelles/artikel-archiv/detail?newsid=1740).