Jahrzehntelang baute die deutsch-chinesische Beziehung auf Handel, Warenaustausch und gegenseitigen Investitionen auf. Die Menschenrechtspraktiken Chinas und andere Fauxpas wurden dabei eine Zeitlang großzügig übersehen. Doch immer mehr trat die Schattenseite des Riesenreichs in den vergangenen Jahren in Erscheinung und ließ den einst wohl gesonnenen Partner in ein anderes Licht rücken. Ein Licht, vor das sich der Westen nun zu schützen versucht. China ist dabei sich vom zurückhaltenden, schüchternen Concierge des Westens, der jeden Warenwunsch erfüllt, zum selbstbewussten Despoten, bisher ohne Gewalt, zu entwickeln. Mit dieser Entwicklung nehmen auch Probleme wie zunehmende territoriale Ansprüche Chinas und unfaire Handelspraktiken zu. Einige westliche Staaten sind alarmiert und versuchen nun die Marschrichtung zu ändern. So will Italien sich bis Ende dieses Jahres aus dem umstrittenen Investitionspakt mit China, der „Seidenstraße“-Initiative, zurückziehen. Deutschland veröffentlichte von offizieller Seite am 13. Juli die neue China-Strategie der Bundesregierung.
Es klingt nach Kritik im öffentlichen Papier, über die offiziellen Praktiken Chinas gegen seinen Handelspartner Deutschland. Deutsche Unternehmen sind in China nach wie vor mit Nachteilen konfrontiert, unter anderem durch einen eingeschränkten Marktzugang und Investitionsmöglichkeiten, Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und ungleichem Wettbewerb z.B. durch öffentliche Subventionen, regulatorische Diskriminierung, erzwungenen Wissens- und Technologietransfer und unzureichender Schutz von geistigem Eigentum, einschließlich Produktpiraterie. Einige dieser Praktiken sind nicht mit dem WTO-Recht (Word Trade Organization) vereinbar. Dies stellt sich als eine besondere Herausforderung für kleine und mittlere Unternehmen aus Deutschland dar. Die Bundesregierung unterstütze deutsche Unternehmen politisch bei der Bewältigung dieser Formen der Diskriminierung, ist dort nachzulesen.
Im Mittelpunkt der neu ausgerichteten Strategie steht die „Entschärfung“ der Beziehungen zu China. Mit Deutschlands Vertreterin Annalena Baerbock von der grünen Partei bekommt China nun mehr öffentlichen Gegenwind. Die chinesischen Medien versuchen diese Äußerungen laut einer Analyse von Merics als „ungewöhnlich“ oder „selten“ zu diskreditieren. Dennoch bleiben die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen ein wichtiges Element der bilateralen Zusammenarbeit mit China, denn das Land ist der größte einzelne Handelspartner Deutschlands. Neben den kritischen Abhängigkeiten von China kommt ein neues Problem hinzu: der Konkurrenzdruck durch China auf den Absatzmärkten der deutschen Wirtschaft. Im aktuellen Report des Instituts der Deutschen Wirtschaft wird eines deutlich, das starke Aufholen Chinas bei anspruchsvollen Industriewaren. Das zeigt Chinas zunehmende Spezialisierung auf bisher heimische Produktgruppen, ganz im Sinne seiner industriepolitischen Strategie.
China übernimmt nach und nach die Märkte
China baut seine Reichweite von industriellen Produktgruppen nach und nach aus. Die deutschen Anteile an den EU-Importen sinken im Gegenzug fast überall weiter, zeigt eine aktuelle Vorläuferstudie des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Noch im Jahr 2015 hatte Deutschland bei Maschinen mit über 22 Prozent einen Vorsprung von 15 Prozentpunkten gegenüber China, das damals auf 7 Prozent kam. Im Jahr 2022 sind davon nur noch 9 Prozentpunkte übrig geblieben. Denn Chinas Anteil stieg auf 11,4 Prozent und der deutsche sank auf 20,5 Prozent. Vor allem während der Corona-Pandemie 2020 und 2022 haben sich die Relationen noch einmal verschoben. Auch im Automobilbereich sieht es ähnlich aus. Allein zwischen 2020 und 2022 hat China seinen Anteil an den EU-Importen von 1,7 Prozent auf 3,5 Prozent verdoppelt. Im deutschen Handel mit China zeigt sich dies deutlich im ersten Quartal 2023, da bei Kraftfahrzeugen deutsche Exporte nach China einbrachen und deutsche Importe aus China stark stiegen. Bei den meisten untersuchten industriellen Produktgruppen der Studie hat China vor allem in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts seine Anteile an den EU- Importen deutlich ausbauen können. Allein in den beiden Jahren zwischen 2020 und 2022 hat China seine Anteile in etwa so stark und teils sogar stärker ausgebaut als im gesamten Zehnjahreszeitraum zuvor. Dies gilt vor allem für anspruchsvolle Industriegüter, auf die Deutschland bislang spezialisiert war.
Dagegen sind Deutschlands Anteile an den EU-Importen insgesamt und in zahlreichen anspruchsvollen industriellen Produktgruppen seit 2005 rückläufig. Dieser Rückgang hat sich in vielen Bereichen zuletzt beschleunigt. Dies lässt nichts gutes Erahnen. Selbst der hochspezialisierte Maschinenbau, ein Aushängeschild der Deutschen Wirtschaft, verliert in immer mehr Bereichen seine Vormachtstellung an chinesische Maschinenbauer.
Marktführer bei der Elektromobilität
China wird als Wirtschaftsmacht immer stärker, trotz der aktuellen konjunkturellen Probleme und versucht seinerseits seine Autarkie und Abhängigkeiten vom Westen zu reduzieren. Am deutlichsten ist es aktuell in der elektrischen Automobilindustrie zu beobachten. Der chinesische Marktführer BYD verkaufte in den ersten fünf Monaten in seinem Heimatland dreimal so viele Elektroautos wie alle westlichen Automarken zusammen. Damit ist BYD gemessen an den verkauften Stückzahlen die Nummer eins unter den Elektroautoherstellern weltweit. Das Unternehmen hat mehr als 30 Tochtergesellschaften, die von Batterien und Halbleiterchips bis hin zu allen mechanischen und elektrischen Komponenten reichen. So erklärt sich auch daraus, warum es ein Elektroauto für umgerechnet 11.000 Dollar anbieten kann.
Trotz dieser ernüchternden Erkenntnisse beurteilen deutsche Industriefirmen China attraktiver als Deutschland. Firmen profitieren nach eigenen Angaben in China von flexibleren Arbeitszeitgesetzen und finden zudem oft leichter geeignetes Personal als in Deutschland. Laut einer Kantar-Umfrage für die Unternehmensberatung FTI-Andersch wollen rund 84 Prozent der jetzt schon in China tätigen deutschen Firmen dort bleiben. Etwa 73 Prozent schließen aus, Teile ihres Produktionsnetzwerks aus China zu verlagern – gut jeder Fünfte will in Asien künftig stärker diversifizieren und arbeitet gerade an einem dezentraleren Produktionsnetzwerk.
Der Weg durch die Hintertür
Chinesische Investitionen werden spätestens seitdem der chinesische Staatskonzern Cosco Container-Terminal des Hamburger Hafenbetreibers HHLA übernommen hat, stärker kontrolliert. Direktinvestitionen und Übernahmeangebote chinesischer Unternehmen wurden in den letzten Monaten in Berlin stärker auf den Prüfstand gestellt. Das ist der chinesischen Führung nicht entgangen und spürt den Gegenwind immer deutlicher. Doch China wäre nicht China, wenn es nicht andere Wege suchen würde, um an die Zielvorgaben ihres Parteikonzepts zu kommen. Und so versucht es das Land der Mitte nun über Lizenzen, um seinen Zugang zu deutscher Technologie zu verbessern. Allein im Jahr 2022 haben sich die deutschen Lizenzeinnahmen aus China im Vergleich zu 2014 mehr als verdreifacht. Im Vergleich zu 2020 beträgt der Anstieg etwa die Hälfte, so die Studie des IW-Wirtschaftsinstituts, das im Auftrag der Zeitung Daten der Bundesbank auswertet. Durch die Lizenzvereinbarungen können chinesische Unternehmen die rechtliche Erlaubnis zur Nutzung deutscher Technologie erhalten. Laut Handelsblatt gelten die meisten solcher Vereinbarungen als unproblematisch, in einigen Fällen verschaffen sie chinesischen Unternehmen jedoch Zugang zu sensibler Forschung, zum Beispiel in der Halbleiterindustrie, wo das technologische Know- how auch militärisch genutzt werden kann.
Deutsche Unternehmen suchen nach neuen Partnerländern
Ein Großteil der mittelständischen deutschen Unternehmen fühlt sich zunehmend unwohl in China, nicht zuletzt durch das jüngst verschärfte Spionagegesetz, welches die Risiken für Ausländer in China noch einmal erhöht hat. Zwei weitere Aspekte sorgen für Verunsicherung: Ein Überfall Chinas auf Taiwan oder chinesische Waffenlieferung über Umwege nach Moskau, könnten sehr schnell die Abkehr vom jetzigen Partner bedeuten. Eine Weltkrise wäre das Resultat. Bedeutende deutsche Konzerne wie Daimler, BASF oder VW können ihre Abhängigkeit von China nicht so einfach auflösen, zumal das Land Produktionsstandort und Absatzmarkt zugleich ist. Sie müssen wohl oder übel weiter an den Partner glauben. Mittelständler jedoch sind bereits auf der Suche nach neuen Investitionsmärkten. Südostasien könnte eine Alternative sein. Hier entstand vor kurzem ein neuer Wirtschaftsraum und die größte Freihandelszone der Welt – RCEP.