Die Vaca Muerta (deutsch: "Tote Kuh") ist die größte Schieferformation in Südamerika. Mit ihren 7,5 Millionen Hektar ist sie größer als Bayern, und der Abbau von Öl und Gas liefert weiterhin beeindruckende Ergebnisse. Die geologische Formation gilt als das zweitgrößte Schiefergasvorkommen der Welt vor Eagle Ford Shale im US-Bundesstaat Texas. Zudem ist die Vaca Muerta das viertgrößte Schieferölvorkommen der Welt.
Die Erschließung der Vaca Muerta hat den Rückgang der Erdöl- und Erdgasproduktion in Argentinien gestoppt. Auch wenn die Kohlenwasserstoffproduktion in der drittgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas seit über zwei Jahren immer weiter wächst, mehren sich die Anzeichen dafür, dass der aufkeimende Schieferölboom in der Vaca Muerta noch weitere massive Fortschritte bringen wird.
Aus den Daten des argentinischen Wirtschaftsministeriums geht hervor, dass die Ölproduktion im August auf 3,06 Millionen Kubikmeter gestiegen ist. Noch ist die konventionelle Förderung mit 1,59 Millionen Kubikmeter größer als die Schieferproduktion mit 1,46 Millionen Kubikmeter. Doch wie aus der Grafik oben hervorgeht, geht die konventionelle Förderung weiter zurück, während die Schieferöl-Förderung weiter ansteigt.
Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich beim Erdgas. Die Erdgasproduktion stieg im August auf den historischen Rekordwert von 4,47 Millionen Kubikmeter. Doch hier liegt die konventionelle Produktion mit 1,73 Millionen Kubikmetern schon längst hinter der Schieferproduktion (Shale Gas) in Höhe von 2,1 Millionen Kubikmetern plus 0,6 Millionen Kubikmetern Tight Gas, das durch Fracking gewonnen wird.
Ursache für den starken Anstieg der argentinischen Öl- und Gasförderung ist die Ausbeutung der Vaca-Muerta-Schieferformation. Daher beobachtet der Investor Matthew Smith die Zahl der abgeschlossenen Fracking-Phasen, wie er in einem Bericht für das Portal Oilprice.com schreibt. Demnach wurden im August 1.224 Fracking-Phasen abgeschlossen. Das sind 11 Prozent weniger als ein Jahr zuvor, aber Smith zufolge immer noch viele.
Die staatliche argentinische Ölgesellschaft YPF hat sich verpflichtet, beträchtliches Kapital in die Erschließung der geologischen Formation zu investieren. Das Unternehmen hat für den Zeitraum von 2023 bis 2027 jährliche Investitionsausgaben in Höhe von 5 Milliarden Dollar vorgesehen, von denen es jährlich etwa 2,3 Milliarden Dollar für die Erschließung seiner Schiefervorkommen in der Vaca Muerta aufwenden will.
Bis 2027 erwartet YPF eine Vervierfachung seiner Schieferölproduktion auf etwa 1 Million Barrel pro Tag und eine Verdoppelung der Schiefergasproduktion auf etwa 8 Milliarden Kubikfuß pro Tag. Zusammen mit dem wachsenden Interesse der großen privaten Ölkonzerne wird dies das Wachstum der argentinischen Kohlenwasserstoffproduktion erheblich steigern und eine dringend benötigte Entlastung für die Wirtschaft des Landes bringen.
YPF meldet Vorkommen für 200 Jahre
Ariel Andreucci, Leiter der Abteilung Strategie und Investitionen bei YPF, erklärte Anfang Juni, dass die Erdgasreserven in Vaca Muerta - die auf 300 Billionen Kubikfuß (8,5 Billionen Kubikmeter) geschätzt werden - Argentinien die Möglichkeit geben würden, seine Erdöl- und Erdgasindustrie durch den Export in die ganze Welt auszubauen, wie der Rohstoffanalyst ICIS berichtete.
"Die Petrochemie wird auch in den kommenden Jahren, weit über das Jahr 2050 hinaus, ein wichtiger Abnehmer von Erdöl- und Erdgasderivaten sein", so Andreucci. "Wenn man bedenkt, dass der argentinische Verbrauch bei 1,5 Billionen Kubikfuß pro Jahr liegen dürfte, hätten wir Reserven für 200 Jahre. Dies würde es Argentinien ermöglichen, in den kommenden Jahrzehnten rund 3 Billionen Kubikfuß pro Jahr zu exportieren.
Der zweitgrößte argentinische Schieferölproduzent Vista Energy, der über 206.000 Hektar im Vaca-Muerta-Schiefergebiet verfügt, ist ebenfalls bestrebt, sein Betriebstempo zu erhöhen und seine Produktion auszuweiten. Bis Ende 2026 plant das Unternehmen, dort 2,5 Milliarden Dollar zu investieren, was auch die Finanzierung der Fertigstellung von 138 Schieferölbohrungen einschließt.
Peak Oil im Jahr 2035
Vista geht davon aus, dass dies seine Schieferölproduktion auf 100.000 Barrel pro Tag steigern wird, was mehr als das Doppelte der durchschnittlichen Produktion von 39.200 Barrel pro Tag im zweiten Quartal 2023 bedeutet. Dieser Plan scheint erreichbar, da die Produktion von Vista wächst und im August durchschnittlich 42.995 Barrel pro Tag gefördert wurden, was einer Steigerung um fast 10 Prozent gegenüber dem Durchschnitt des zweiten Quartals entspricht.
YPF geht davon aus, dass die argentinische Ölproduktion im Jahr 2035 mit 2,2 Millionen Barrel pro Tag ihren Höhepunkt erreichen und bis zum Jahr 20240 auf 1,35 Millionen Barrel pro Tag zurückgehen wird. Branchenanalysten sagen voraus, dass das Land bis 2030 eine Million Barrel pro Tag fördern wird. Im August förderte Argentinien 0,62 Millionen Barrel pro Tag.
Doch die jüngsten Entwicklungen deuten darauf hin, dass das Produktionswachstum weit höher ausfallen könnte. Denn die Energiekonzerne investieren in die Vaca Muerta und viele der Einschränkungen durch mangelnde Infrastruktur wurden behoben. Das wichtigste Ereignis war die Inbetriebnahme der ersten Phase der Néstor-Kirchner-Erdgaspipeline zu Beginn dieses Jahres, die zu einer Rekordmenge an Schiefergas aus der Vaca Muerta geführt hat.
Wohin steuert Argentinien?
Diese Ereignisse fallen in eine kritische Zeit für die argentinische Wirtschaft, wo die jährliche Inflationsrate im August auf 124 Prozent angestiegen ist und der Internationale Währungsfonds für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 0,2 Prozent prognostiziert. Die sich verschärfende Wirtschaftskrise lässt den Unmut gegen die etablierten politischen Parteien in die Höhe schnellen.
Der überraschende Sieg des libertären Ökonomen Javier Milei bei den Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl im August erschütterte die beiden großen Parteien, die Peronisten und die Radikale Bürgerunion, die seit Jahrzehnten in wechselnden Koalitionen an der Macht sind. Milei führt seinen Wahlkampf auf der Grundlage radikaler Versprechen. So schlägt er vor, die argentinische Zentralbank abzuschaffen und den US-Dollar als Landeswährung zu nutzen.
Die Sicherheit im Land will Milei erhöhen, indem der Besitz von Handfeuerwaffen erleichtert wird. Mileis Versprechen haben viele Argentinier überzeugt, die der ständigen wirtschaftlichen Probleme in dem Land überdrüssig sind und die - auch dank des Öl-Booms - auf ein mögliches Wirtschaftswunder hoffen. Seine unkonventionellen Pläne könnten aber auch zu einer weiteren Instabilität der ohnehin schon instabilen Lage beitragen.