Wirtschaft

Der DWN-Marktreport: Nahost-Konflikt bewegt die Rohstoffmärkte

Vollkommen unerwartet wurde Israel am Wochenende von einer schweren Attacke getroffen. Die Sorge vor einer weitreichenden Eskalation im Nahen Osten wirkte sich zum Wochenstart unmittelbar auch auf den Rohstoffsektor aus.
10.10.2023 11:12
Aktualisiert: 10.10.2023 11:12
Lesezeit: 4 min
Der DWN-Marktreport: Nahost-Konflikt bewegt die Rohstoffmärkte
Nach einem israelischen Luftangriff in Gaza-Stadt steigt Rauch auf. Israel hat am Montag seine Luftangriffe auf den Gazastreifen verstärkt und die palästinensische Enklave nach dem Überraschungsangriff der Palästinensischen Islamischen Widerstandsbewegung auf Israel am Samstag vollständig abgeriegelt. (Foto: dpa) Foto: Rizek Abdeljawad

Während die politischen Einordnungen der tragischen Vorfälle des vergangenen Wochenendes, die Israel mit bis dato beispielloser Härte getroffen haben, den entsprechenden Experten überlassen bleiben (sollte), spiegeln die internationalen Finanz- und Rohstoffmärkte die damit in Zusammenhang stehenden Erwartungen auf wirtschaftlicher Ebene unmittelbar wider.

Erdöl zieht an

Rohöl der Sorte Brent wurde im Morgenhandel in Asien mit 89 USD pro Barrel gehandelt, WTI wechselte bei Preisen über 87 USD den Besitzer, beides entspricht einem Anstieg von mehr als 5 % gegenüber den Schlusskursen vom Freitag. Damit haben die Ölpreise erwartungsgemäß schnell auf die Verschlechterung der Sicherheitslage im Nahen Osten reagiert und werden wahrscheinlich auch in Zukunft starken Schwankungen ausgesetzt sein, je nachdem, wie sich die Situation entwickelt. Nicht nur, dass die jüngsten Ereignisse die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien verzögern dürfte, an der beide Länder mit bislang erfolgversprechenden Verhandlungsergebnissen arbeiten. Darüber hinaus scheint die Beteiligung Irans an dem Hamas-Anschlag sicher, was die Zukunftsaussichten für die iranische Ölversorgung verschlechtert. Sollte sich der nun manifestierende Konflikt unter Einbeziehung des Iran ausweiten, würde dies eine massive Gefährdung der in der Region verlaufenden Rohöl-Lieferketten bedeuten. Hoffnungsvolles findet sich In der historischen Betrachtung, denn in der Regel hatten die Ausbrüche des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern in diesem Jahrhundert nur minimale Auswirkungen auf den Ölpreis und keine der israelischen Gegenmaßnahmen ging über Israel und seine unmittelbaren Nachbarn hinaus.

Es ist ziemlich klar, dass die Unterstützer der Hamas-Offensive hoffen, dies zu ändern, aber bislang gibt keinen besonderen Grund zu der Annahme, dass diese Zeit irgendeine signifikante Auswirkung auf den Ölpreis haben wird - es sei denn, Israel entscheidet, dass es seine Sicherheitsgrenze viel weiter ziehen muss als aktuell. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine israelische Reaktion im Gazastreifen unvermeidlich, und ein weiterer Konflikt im Libanon ist sehr wahrscheinlich. Das würde viele Menschenleben kosten, hätte aber kaum Auswirkungen auf die Politik oder die Finanzen anderer Länder. Sollte sich Israel dafür entscheiden, den Iran einzubeziehen, wäre das jedoch etwas gänzlich anderes. Vorerst erwartbar ist, dass die Ölpreise etwas ansteigen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich das Risiko einer größeren (kriegsbedingten) Unterbrechung der Versorgung soeben erhöht hat. Angesichts des am Ölmarkt vorangegangenen kräftigen Ausverkaufs wirken die Preissteigerungen zum Wochenstart jedoch sehr moderat.

„Sichere Häfen“ sind wieder gefragt

Neben den Preisanstiegen bei Erdöl und – zynischerweise - denen von Aktien aus dem Rüstungssektor, sorgt eine solche Ungewissheit zuverlässig für Nachfrage nach Staatsanleihen und Edelmetallen als sogenannte sichere Häfen. Insbesondere, wenn diese so günstig erscheinen, wie die vollkommen heruntergeprügelten US-Staatsanleihen und das stark eingebrochene Gold. Zwar waren die US-Anleihemärkte am montäglichen Columbus-Day feiertagsbedingt geschlossen und trugen über die dünn gehandelten, und erwartungsgemäß leicht anziehenden, Treasury-Futures nur wenig zum Geschehen bei. Stattdessen übernahm der nach den überraschend starken US-Arbeitsmarktdaten der vergangenen Woche kräftig unter die Räder gekommene Dollar die Gradmesserfunktion.

Angesichts der Suche nach krisenfesten Anlageoptionen setzt dieser seinen Mitte Juli begonnenen und in der vergangenen Woche schon beendet geglaubten Aufwärtstrend nun wieder fort – auch trotz massiver Dollarverkäufe Israels, welches damit die auf Grund des Kriegsbeginns unter Druck geratenden Schekels zu stützen versucht. Dass sich der mit dem US-Dollar stark negativ korrelierende Edelmetallsektor von dessen Stärke nicht beeindrucken lässt, zeigt ebenfalls den Drang der Investoren in die sogenannten Krisen-Assets. Der Konflikt im Nahen Osten hat den Goldpreis am Montag stark ansteigen lassen und damit an die Erholung vom Freitag nach der Veröffentlichung der US-Arbeitsmarktdaten angeknüpft.

Inflationsgefahr steigt

So war der Arbeitsmarktbericht vom Freitag auf der einen Seite „heiß“, denn mit 336.000 neugeschaffenen Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft lag er weit über den Erwartungen der Ökonomen, zudem fügten Revisionen weitere 119.000 Stellen zu den zwei vorangegangenen Monaten hinzu. Andererseits war er kühl in dem Sinne, dass die Stundenlöhne gegenüber dem Vormonat mit lediglich 0,2 % unter den Erwartungen angestiegen sind. Damit scheint die Wirtschaft in der Lage zu sein, bei nachlassender Inflation abzukühlen ohne dass es zu einem Rückgang der Beschäftigung kommt, was die angestrebte sanfte Landung bedeuten würde. Mit dem jüngsten Schwarzen Schwan im Nahen Osten drohen jedoch bereits wieder ernste Herausforderungen für die Zentralbanken dieser Welt, und verschiedene Notenbanker bekräftigen bereits wieder ihre Ansicht, dass die Zinsen weiter steigen müssen. Auch ohne einen neuen Konflikt in der Region dieser Erde, die ein Drittel des weltweiten Rohöls produziert und dessen Transportrouten kontrolliert, sind es weiterhin die Energiepreise, die einige der in den letzten Monaten erzielten Fortschritte bezüglich der Inflationsentwicklung wieder zunichtemachen könnten.

Unabhängig davon hat die OPEC ihre Prognosen für die weltweite Ölnachfrage bis zur Mitte des Jahrhunderts angehoben, trotz sich verschärfender Klimakrise. Demnach soll der Verbrauch bis 2045 um 16 % auf 116 Mio. Barrel pro Tag ansteigen, das sind etwa 6 Mio. Barrel pro Tag mehr als bisher prognostiziert. Und die Militäraktionen in Israel hat nun neue geopolitische Risiken in einen Markt gebracht, der bereits durch Angebotskürzungen und sinkende Lagerbestände in Aufruhr geraten ist. Dem am Donnerstag anstehenden US-Inflationsbericht wird abermals große Bedeutung zukommen. Erwartet wird eine im Monatsvergleich zum zweitem Mal in Folge angestiegene Kerninflationsrate um 0,3 %, was die Botschaft der Zentralbanker bestätigen würde, dass die Zinssätze für längere Zeit höher bleiben müssen. Auf Jahresbasis wird sich der Kernverbraucherpreisindex voraussichtlich abkühlen, was jedoch auf Basiseffekte zurückzuführen ist: der Index war im September letzten Jahres so stark gestiegen wie seit 1982 nicht mehr.

Zentralbanken kaufen wieder Gold

Derweil treiben die Zentralbanken ihre entdollarisierungsbemühungen weiter voran. Im August erwarben die Zentralbanken zusammen genommen 77 Tonnen Gold. Dies war der dritte Monat in Folge mit Nettokäufen, die sich insgesamt auf 219 Tonnen beliefen. Dabei war die People's Bank of China mit 28,9 Tonnen der größte Käufer im August - China kaufte damit bereits den zehnten Monat in Folge zu, und viele glauben, dass China mehr Gold besitzt als offiziell angegeben. Auch die Türkei, die zwischen März und Mai auf Grund ihrer ganz eigenen Marktdynamik mit 160 Tonnen als großer Goldverkäufer auftrat und mit ihren Verkäufen die gesamte Goldhandelsbilanz der Zentralbankgruppe ins Minus drückte, steht seit Juni wieder auf der Käuferseite. Der von einigen befürchtete Strategiewechsel dürfte sich damit nicht vollzogen haben.

Trotz der großen Verkäufe der Türkei zu Beginn des Jahres beliefen sich die Nettogoldkäufe der Zentralbanken in der ersten Jahreshälfte auf insgesamt 387 Tonnen. Dies war der höchste Wert für das erste Halbjahr, seit das World Gold Council (WGC) im Jahr 2000 mit der Erstellung dieser Daten begann. Damit setzte sich der im letzten Jahr beobachtete Trend zu steigenden Goldreserven fort. Laut der kürzlich vom WGC veröffentlichten Umfrage zu den Goldreserven der Zentralbanken für 2023 planen 24 % von ihnen, ihre Goldreserven in den nächsten 12 Monaten weiter aufzustocken. 71 % der befragten Zentralbanken gehen davon aus, dass das Gesamtniveau der weltweiten Reserven in den nächsten 12 Monaten steigen wird. Das ist ein Anstieg um 10 Prozentpunkte gegenüber dem letzten Jahr.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Mulfin Trade hat seine Schutzsysteme für mehr Sicherheit aktualisiert

Der Schutz persönlicher Daten ist einer der Schlüsselfaktoren, die das Vertrauen der Kunden in einen Service beeinflussen. Mulfin Trade...

avtor1
Markus Grüne

                                                                            ***

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 

DWN
Technologie
Technologie Silicon Valley dominierte Big Tech – Europas Chance heißt Deep Tech
06.06.2025

Während Europa an bahnbrechenden Technologien tüftelt, fließt das große Geld aus den USA. Wenn Europa jetzt nicht handelt, gehört die...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Verteidigung der Zukunft: Hensoldt rüstet Europa mit Hightech auf
06.06.2025

Kaum ein Rüstungsunternehmen in Europa hat sich in den vergangenen Jahren so grundlegend gewandelt wie Hensoldt. Aus einer ehemaligen...

DWN
Politik
Politik Trump gegen Europa: Ein ideologischer Feldzug beginnt
06.06.2025

Donald Trump hat Europa zum ideologischen Feind erklärt – und arbeitet systematisch daran, den Kontinent nach seinen Vorstellungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Die wertvollsten Marken der Welt: Top 5 fest in US-Hand
06.06.2025

Während die Weltwirtschaft stagniert, explodieren die Markenwerte amerikanischer Konzerne. Apple regiert unangefochten – China und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Star-Investorin: „Wir erleben eine neue Generation von KI-Gründern“
06.06.2025

US-Chaos, Trump und Kapitalflucht: Europas KI-Talente kehren dem Silicon Valley den Rücken – und bauen die Tech-Giganten der Zukunft vor...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Konjunkturprognose unter Druck: Wie der Zollstreit Deutschlands Exporte trifft
06.06.2025

Zölle, Exporteinbrüche und schwache Industrieproduktion setzen Deutschlands Wirtschaft zu. Die aktuelle Konjunkturprognose gibt wenig...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Internationale Handelskonflikte: So schützen sich exportorientierte KMU
06.06.2025

Ob Strafzölle, Exportverbote oder politische Sanktionen – internationale Handelskonflikte bedrohen zunehmend die Geschäftsmodelle...

DWN
Panorama
Panorama Musk gegen Trump: Politische Zweckbeziehung artet in öffentlichen Machtkampf aus – die Tesla-Aktie leidet
06.06.2025

Elon Musk und Donald Trump galten als Zweckbündnis mit Einfluss – doch nun eskaliert der Streit. Was steckt hinter dem Zerwürfnis der...