Politik

EU-Staaten streiten über Waffenstillstand für Gaza

Lesezeit: 3 min
23.10.2023 17:34  Aktualisiert: 23.10.2023 17:34
Einigen EU-Staaten geht die Brüsseler Unterstützung für den Kurs der israelischen Regierung zu weit. Sie unterstützen die Forderung von UN-Generalsekretär Guterres nach einem Waffenstillstand für Gaza.
EU-Staaten streiten über Waffenstillstand für Gaza
Angesichts der zahlreichen zivilen Opfer in Gaza streiten die EU-Staaten über den Umgang mit Israel. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Israel  
Politik  
Europa  

Die EU-Staaten ringen angesichts der katastrophalen humanitären Situation im Gazastreifen um Geschlossenheit im Umgang mit Israel und dem Nahost-Konflikt. Bei einem Außenministertreffen in Luxemburg stellten sich am Montag Länder wie Spanien, Slowenien und Irland hinter Forderungen von UN-Generalsekretär António Guterres nach einem sofortigen humanitären Waffenstillstand. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Kollegen aus Ländern wie Österreich und Tschechien wollten sich jedoch nicht anschließen.

„Es wird nur Frieden und Sicherheit für Israel und die Palästinenserinnen und Palästinenser geben, wenn der Terrorismus bekämpft wird“, erklärte die Grünen-Politikerin mit Blick auf das Vorgehen der islamistischen Hamas gegen Israel. Man sehe, dass die Hamas weiterhin Israel massiv mit Raketen angreife.

Der irische Außenminister Micheál Martin sagte hingegen zu den Kampfhandlungen: „Das Leid unschuldiger Zivilisten, insbesondere von Kindern, hat ein Ausmaß erreicht, das eine sofortige Einstellung erfordert.“ Ein Waffenstillstand, um die Lieferung humanitärer Hilfe und medizinischer Hilfsgüter zu ermöglichen, sei „eine Angelegenheit von höchster Dringlichkeit“. Der spanische Außenminister äußert sich ähnlich. „Es ist an der Zeit, diese Gewalt zu stoppen“, sagte er.

Diskussion bei EU-Gipfel wartet

Die Diskussionen werden nun vermutlich am Donnerstag auf Ebene der Staats- und Regierungschefs fortgesetzt. Diese kommen dann in Brüssel zu ihrem Oktober-Gipfel zusammen. Bis dahin dürften die Todeszahlen weiter steigen.

Schon heute sind bei den israelischen Angriffen auf Ziele im Gazastreifen nach Angaben des dortigen, von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium bereits mehr als 5000 Menschen gestorben. Die Zahl der Opfer in Israel durch den vorangegangenen Terrorangriff der Hamas wird mittlerweile mit mehr als 1400 beziffert.

Für die EU steht bei den Diskussionen viel auf dem Spiel. „Wenn wir es nicht schaffen, mit einer Stimme zu sprechen, werden wir weder kurzfristig noch langfristig einen Beitrag zur Deeskalation in der Region leisten können“, warnte ein ranghoher EU-Beamter am Wochenende. Ganz generell gehe es um den Anspruch der EU, auch auf internationaler Ebene eine Rolle als Brückenbauer und Friedensstifter zu besetzen.

Ist die Glaubwürdigkeit der EU in Gefahr?

Dass Mahnungen wie diese zu einer Annäherung führen, scheint derzeit allerdings unwahrscheinlich. Aus der Gruppe mit den Ländern wie Spanien kommt hinter verschlossenen Türen die Warnung, dass zu viel Rückdeckung für Israel der Glaubwürdigkeit der EU als Verteidigerin des Völkerrechts schaden könne - vor allem, wenn es in den kommenden Wochen und Monaten noch zu deutlich mehr zivilen Opfern im Gazastreifen kommen sollte.

Dabei wird auch ganz konkret das Risiko gesehen, dass die bisherigen Bemühungen obsolet gemacht werden könnten, den Globalen Süden zu einer stärkeren Zusammenarbeit gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu bewegen. Dies gilt als denkbar, weil gerade in ärmeren und benachteiligten Ländern viele Menschen mit den Palästinensern und ihren Bestrebungen nach einem eigenen Staat sympathisieren.

Waffenstillstand ist nicht gleich Feuerpause

Die andere Seite argumentiert hingegen, dass es für Israel nach dem verheerenden Hamas-Angriffen existenziell sei, die Abschreckung wieder herzustellen, und dass die EU das Selbstverteidigungsrecht des Landes stark und entschlossen unterstützen müsse. Zudem wird befürchtet, dass Forderungen nach einem Waffenstillstand Israel provozieren könnten und am Ende das Gegenteil von dem bewirken, was eigentlich bezweckt werden soll.

Auch wird darauf verwiesen, dass es bereits jetzt begrenzte Feuerpausen gegeben hat - zum Beispiel während der Freilassung zweier Hamas-Geiseln mit US-amerikanischem Pass. Für solche Feuerpausen setzen sich demnach auch die Kritiker von Waffenstillstandsforderungen hinter den Kulissen ein - auch um deutlich mehr humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu ermöglichen.

Streit entzweit auch Spitzenvertreter der EU

Selbst zwischen den Spitzenvertretern der europäischen Institutionen gibt es Streit über den richtigen Kurs. So warfen der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und EU-Ratspräsident Charles Michel der EU-Kommission von Ursula von der Leyen vor, mit einem zu israelfreundlichen Kurs den Interessen der Europäischen Union in der Region zu schaden und Spannungen und Hass zu verschärfen. Hintergrund war eine mittlerweile wieder zurückgenommene Erklärung gewesen, Entwicklungshilfezahlungen an die Palästinenser vorübergehend einzufrieren.

Von der anderen Seite wird hingegen kritisiert, der EU-Außenbeauftragte Borrell habe sich mit seiner eindeutigen Positionierung als möglicher Vermittler selbst diskreditiert, da er für die Israelis kein akzeptabler Gesprächspartner mehr sei.

Entwurf für Gipfelerklärung

Ob es beim Gipfeltreffen am Donnerstag eine Einigung geben wird, ist derzeit unklar. In einem Entwurf für die Abschlusserklärung des Treffens schlägt EU-Ratspräsident Charles Michel vor, sich der Forderungen nach einer „humanitäre Feuerpause“ anzuschließen, um einen sicheren Zugang der Hilfe für die Bedürftigen zu ermöglichen. Dies wäre weniger als der Aufruf zu einer Waffenruhe, aber mehr als nichts. (dpa)


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Streik am Bau: Gewerkschaft kündigt Proteste in Niedersachsen an
10.05.2024

Die IG Bauen Agrar Umwelt hat angekündigt, dass die Streiks am Bau am kommenden Montag (13. Mai) zunächst in Niedersachsen starten...

DWN
Politik
Politik Selenskyj drängt auf EU-Beitrittsgespräche - Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Überblick
10.05.2024

Trotz der anhaltenden Spannungen an der Frontlinie im Ukraine-Krieg bleibt Präsident Selenskyj optimistisch und setzt auf die...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch: Deutscher Leitindex springt auf Allzeithoch über 18.800 Punkten
10.05.2024

Der DAX hat am Freitag zum Handelsstart mit einem Sprung über die Marke von 18.800 Punkten seinen Rekordlauf fortgesetzt. Was bedeutet das...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Spahn spricht sich für breite Analyse aus mit allen Blickwinkeln
10.05.2024

Im deutschen Parlament wird zunehmend eine umfassende Analyse der offiziellen Corona-Maßnahmen, einschließlich Masken und Impfnachweisen,...

DWN
Politik
Politik Pistorius in den USA: Deutschland bereit für seine Aufgaben
10.05.2024

Verteidigungsminister Boris Pistorius betont in Washington eine stärkere Rolle Deutschlands im transatlantischen Bündnis. Er sieht den...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Europäische Unternehmen sehen düstere Aussichten in China
10.05.2024

Die jährliche Geschäftsklimaumfrage der EU-Handelskammer in Peking zeigt, dass europäische Unternehmen ihre Wachstumschancen in China so...

DWN
Technologie
Technologie Lithium-Abbau in Deutschland: BGR-Forscher starten Tiefenförderung in der Lüneburger Heide
10.05.2024

Der Weg zu einer nachhaltigen Elektromobilität führt möglicherweise durch die Lüneburger Heide: Die Die Bundesanstalt für...

DWN
Finanzen
Finanzen Genomsequenzierung: Investieren in die personalisierte Medizin der Zukunft
09.05.2024

Genomsequenzierung, Gentherapie, personalisierte Medizin: Die Medizin- und Pharma-Industrie steht vor einem Wendepunkt. Gleichzeitig sind...