Finanzen

Blutbad für Anleihe-Investoren: Langfristige Zinsen steigen unaufhaltsam

Lesezeit: 7 min
25.10.2023 10:32  Aktualisiert: 25.10.2023 10:32
Am langen Ende der Zinskurve wird es steiler und steiler. In den USA sind die Anleiherenditen auf den höchsten Stand seit 16 Jahren gestiegen – die entsprechenden Kursverluste haben viele Profis überrascht. Wer sind die größten Gewinner und Verlierer?
Blutbad für Anleihe-Investoren: Langfristige Zinsen steigen unaufhaltsam
Am US-Anleihemarkt haben Investoren in den letzten Wochen viel Geld verbrannt. (Foto: istockphoto.com/photoschmidt)
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Die Luft für Anleihe-Investoren wird immer dünner. Die Verzinsung zehnjähriger US-Staatsanleihen überschritt jüngst zum ersten Mal seit 16 Jahren die psychologisch wichtige Fünf-Prozent-Marke. Dasselbe gilt für Staatspapiere mit 30 Jahren Restlaufzeit. Zuletzt kam es zu einer leichten Gegenbewegung und die beiden wichtigsten Benchmarks für langfristige Zinsen in den USA notieren aktuell bei um die 4,9 Prozent.

Die Umlauf-Rendite der Anleihen (oft einfach als Anleihezins bezeichnet und nicht mit dem fixen Zinscoupon zu verwechseln) steigt, wenn deren Kurs fällt und umgekehrt. In den letzten Wochen und Monaten wurden langlaufende US-Anleihen demnach so stark abverkauft, dass die Umlaufrendite bis zu fünf Prozent erreichte.

Auf diesem Niveau endete eine mehrwöchige Talfahrt der Anleihekurse. Anleger setzen darauf, dass die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) die Leitzinsen sehr viel länger auf ihrem derzeitigen hohen Niveau von 5,25 bis 5,50 Prozent halten wird, als noch Mitte des Jahres erwartet wurde. Damals wurde dem Szenario von Zinssenkungen für Ende 2023 eine gewisse Wahrscheinlichkeit eingeräumt, mittlerweile gilt es als ausgeschlossen.

Aktuell gehen die meisten Analysten davon aus, dass die Fed die Zinssätze nur noch ein weiteres Mal anheben wird, und zwar im November um 25 Basispunkte. Einen großen Unterschied mache es aber nicht mehr. Wichtiger ist die Frage, wie lange die Zinsen oben bleiben. Die Notenbank prognostiziert vorsichtig erste Zinssenkungen im kommenden Jahr, wobei jüngste Aussagen von Fed-Chef Powell darauf hindeuten, dass der Zinssenkungspfad langsamer wird als ursprünglich geplant. Am Terminmarkt wetten die Händler darauf, dass die Zinssätze bis Ende 2024 bei 4,7 Prozent liegen, während die Erwartungen Anfang September noch bei 4,2 Prozent lagen.

Hedgefonds-Legende Bill Ackman kassiert ab

Zeitlich fällt die jüngste leichte Kurserholung der Anleihen mit Aussagen des berühmten Hedgefonds-Managers Bill Ackman (Pershing Square Capital Management) zusammen, der auf Twitter erklärte, dass er seine Leerverkaufs-Position auf US-Staatsanleihen geschlossen hätte. „Es gibt zu viele Risiken in der Welt, um bei den derzeitigen langfristigen Zinssätzen auf Short-Positionen in Anleihen zu setzen“, so der milliardenschwere Fondsmanager.

Im August hatte Ackman die Öffentlichkeit darüber informiert, dass er über Optionen Leerverkäufe auf 30-jährige Treasuries getätigt hat. Sicher nicht ganz ohne Eigeninteresse, denn als Investoren-Legende kann Ackman immer darauf spekulieren, dass professionelle wie private Anleger seine Trades kopieren. Seit Juli haben die Renditen bei den 30-jährigen Staatspapieren um rund ein Viertel zugenommen. Dadurch, dass die Position mit einer Optionsstrategie gehebelt war, dürfte der Hedgefondsmanager kräftig abkassiert haben. Ackman zählt auf jeden Fall zu den wenigen Menschen, die vom konstanten Zinsanstieg der Langläufer in den letzten Wochen profiteren konnte.

Staatsanleihen sind ein traditioneller Zufluchtsort für Anleger in Zeiten von wirtschaftlicher Schwäche, starken Marktschwankungen oder geopolitischen Risiken. Die Gefahr einer Eskalation im Nahen Osten würde nach Ansicht von Mohit Kumar, Europa-Chefvolkswirt bei Jefferies, normalerweise die Anleihekurse beflügeln. „Aber der US-Wirtschaft geht es gut, und angesichts der bevorstehenden Ausgabe einer großen Menge von Staatsanleihen ist jeder besorgt, wer diese alle kaufen soll“, sagte er gegenüber der Financial Times.

Bill Ackman hatte seinen Short damals vor allem mit der langfristigen Inflation begründet, die seiner Meinung nach aus strukturellen Gründen höher ausfallen wird als vom Markt erwartet. Die hohe Inflationsrate von zwischenzeitlich 8 Prozent (aktuell: 3,7 Prozent) zu senken, ist die Hauptmotivation hinter den Zinserhöhungen der Zentralbank. Wenn sich die Inflation als hartnäckiger erweisen würde als von der Masse der Marktteilnehmer erwartet, dann würde die Fed die Leitzinsen länger als erwartet auf dem derzeit hohen Niveau belassen. Folglich wären insbesondere langlaufende Anleihen fehlgepreist. Ackman hat Recht behalten. Die Inflation erwies sich zuletzt als unerwartet hartnäckig, die Fed erhöht weiter unerbittlich die Zinsen und seine Wette ist aufgegangen.

Neben der „klebrigen“ Inflation und der relativ robusten Konjunktur in den USA ist die gewaltige Staatsverschuldung ein weiterer wichtiger Faktor. Das laufende Defizit wird dieses Jahr bedrohlich hohe 8 Prozent des BIP betragen, die Gesamtverschuldung liegt bei 33,5 Billionen (Tausend Milliarden) Dollar beziehungsweise 125 Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Treasury-Markt wird förmlich mit Neuemissionen geflutet, was ebenfalls zu den steigenden Renditen beiträgt. Die Fed reduziert ihre Bilanz und fällt damit als Netto-Käufer der Staatsanleihen aus.

Ursprünglich meinten viele Finanzexperten, dass die exorbitante Schuldenlast der USA verhindern würde, dass die Fed die Zinsen überhaupt auf 5 Prozent anheben könne. Der Schuldendienst (aktuell jährlich 670 Milliarden Dollar) würde bei mittelfristiger Refinanzierung der kurzlaufenden Staatspapiere schlicht zu teuer werden, so die Argumentation. Die Notenbank blieb bisher aber äußerst zielstrebig auf dem Zinserhöhungspfad. Entsprechend fürchten sich Anleger vermehrt vor finanziellen Problemen bis hin zu einem Bankrott der US-Regierung und verkauften entsprechend Anleihen sämtlicher Laufzeiten. Die Entscheidung der Rating-Agentur Fitch, die Kreditwürdigkeit der USA herabzustufen, hat den Aufwärtsdruck auf die Renditen zusätzlich verstärkt.

Blutbad für Anleihe-Investoren

Einige Leerverkäufer wie Bill Ackman haben sich rechtzeitig positioniert. Die meisten Anleihe-Investoren und institutionellen Anleger wurden dagegen von den gefühlt nicht enden wollenden Rendite-Steigerungen am langen Ende der Zinskurve auf dem falschen Fuß erwischt.

2023 investierten die Profis wieder verstärkt in das beliebte „TLT-ETF“, welches Gelder in US-Staatspapiere von 20 Jahren oder mehr anlegt. Je länger die Laufzeit einer Anleihe, umso sensitiver reagiert der Kurs auf eine Erhöhung des allgemeinen Zinsniveaus (in der Fachsprache „Duration“ genannt“). Ein Blick auf den Chart offenbart ein regelrechtes Schlachtfest. Seit Jahresauftakt hat der passive Fonds satte 20 Prozent federn lassen, seit dem absoluten Höchstwert im Spätsommer 2020 steht ein Verlust von 50 Prozent.

Eigentlich sind Anleihen auf dem aktuellen Rendite-Niveau wieder eine interessante Alternative zu Aktien. Aber die Finanzmärkte zeigen sich wie immer in den letzten Jahren gnadenlos unberechenbar. Sicher ist nur, dass man in allen Anlageklassen Geld verlieren kann.

Jamie Dimon, Chef der größten US-Bank J.P. Morgan hält es sogar für möglich, dass die Leitzinsen in den USA auf 7 Prozent angehoben werden. Sollte die Fed das tatsächlich machen, würden Anleihe-Investoren noch mehr unter die Räder kommen als ohnehin schon.

Dimon glaubt indes, dass Weltwirtschaft und Finanzmärkte nicht auf US-Zinsen von 7 Prozent gewappnet sind, wie er in einem Gespräch mit der „Times of India“ ausführt. „Von null auf zwei Prozent zu gehen, war fast keine Erhöhung. Der Anstieg [...] auf fünf Prozent hat einige Leute überrascht, aber niemand hätte fünf Prozent für unmöglich gehalten. Ich bin mir nicht sicher, ob die Welt auf sieben Prozent vorbereitet ist.“

Welche Auswirkungen haben langfristig hohe Zinsen?

Sollten die Leitzinsen tatsächlich Richtung 7 Prozent steigen beziehungsweise die Federal Reserve das zeitnah andeuten, dann ist mit einem weiteren Ausverkauf bei den Langläufern zu rechnen. Anleihe-Besitzer müssten empfindliche Kursverluste bei längerfristigen Zinspapieren hinnehmen. Außerdem würde der ohnehin strauchelnde Schrottanleihe-Markt noch mehr ins Wanken kommen und vermehrt Insolvenzen verzeichnen.

Das ist aber nicht das wahrscheinlichste Szenario. Die Fed kommuniziert zurzeit eher ein länger andauerndes Zinsplateau bei knapp 6 Prozent. In dieser Hinsicht scheint bei den Langläufern nicht mehr allzu viel Luft nach unten.

Einer von Dimons Angestellten, der Kapitalmarkt-Stratege David Lebovitz, warnt dennoch davor, dass steigende Anleiherenditen ein finanzielles Chaos auslösen könnten. Der Analyst sagte gegenüber Bloomberg, dass der anhaltende Ausverkauf von festverzinslichen Wertpapieren Marktturbulenzen auslösen könnte und dass eine Art „Unfall“ notwendig sein wird, um die US-Notenbank dazu zu bewegen, die Zinssätze schon im Jahr 2024 zu senken. „Aber es scheint so, als ob der Markt immer noch die Vorstellung hat, dass die Fed 2024 eine Lockerung um der Lockerung willen vornimmt, und das kann ich einfach nicht nachvollziehen“, fügte Lebovitz hinzu und bezog sich dabei auf die Erwartung vieler Händler, dass die Kreditkosten im nächsten Jahr wieder sinken.

Auch am Aktienmarkt ist viel Volatilität möglich. Hohe Zinsen gelten zwar laut Lehrmeinung als Bremse für den Aktienmarkt, weil kurzlaufende „sicherere“ Staatsanleihen wieder attraktiver werden. Aber die Jahresanfangs-Rally 2023 widerspricht dem komplett. Wie oben schon erwähnt: Der Markt ist so unberechenbar wie noch nie. Als Aktien-Anleger tut man generell gut daran, wenn man keine binären Wetten auf steigende oder fallende Märkte eingeht.

Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft können sehr negativ sein, weil die Kreditkosten auf breiter Front zunehmen. Das macht es teurer für Unternehmen sich zu verschulden, schränkt Investitionen, Expansionsspielraum und letztlich das Ertragswachstum ein. Vor allem kleinere Firmen bekommen kaum noch Kredite. Auch die Zinsen für Immobilien- und Verbraucher-Kredite steigen (in den USA orientieren sich deren Zinssätze meist den 10-jährigen Treasuries). Insgesamt hat das eine dämpfende Wirkung auf Wirtschaftswachstum und Inflation und kann in Kombination mit einer rapide sinkenden Geldmenge im schlimmsten Fall eine deflationäre Rezession auslösen.

Dieses Szenario betrifft in ähnlicher Form auch Deutschland und Europa. Im Gleichschritt mit den US-Zinsen sind zuletzt etwa die Renditen der zehnjährigen (2,97 Prozent) und dreißigjährigen Bundesanleihen (3,18 Prozent) auf den höchsten Wert seit 2011 gestiegen. In Großbritannien, dessen Konjunktur ähnlich schwach läuft wie in Deutschland, waren die 30-jährigen Renditen mit 5,15 Prozent zwischenzeitlich so hoch wie seit 1998 nicht mehr.

Die Europäische Zentralbank muss sich an der Geldpolitik der Fed orientieren und deren Zinsschritte bis zu einem gewissen Grad mitgehen. Ansonsten wird der Euro zu schwach, weil zu viel Kapital in den attraktiveren Dollarraum abfließt. Als die EZB im Frühjahr 2022 zunächst nicht mitzog, sank der Euro sogar unter Parität zum US-Dollar. Interessanterweise nähert sich der Wechselkurs aktuell (1,06) wieder der Parität, was aber eher andere Gründe als die Zinsdifferenz haben dürfte, allen voran die sehr schwache Wirtschaftsdynamik im Euroraum.

Die Banken dürften von einem langfristigen Umfeld höherer Zinsen profitieren. Weil sie deutlich höhere Kreditzinsen nehmen, die Einlagezinsen aber nur geringfügig erhöhen, steigt ihre Zinsmarge und Profitabilität dauerhaft. Aktuell erwirtschaften die Banken Rekordgewinne. Ein Risiko bleibt die Abwertung des Anleihebestands in den Bilanzen, das aber nur dann zum Vorschein tritt, wenn es zu einem Bankansturm auf die Kundengelder oder Liquiditätsengpässen kommt.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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