Ratgeber

Fachkräftemangel: Arbeitsmarkt vor dem Kollaps und Lösungen für Unternehmen

Der Fachkräftemangel hat Deutschland fest im Griff. Bis 2030 werden rund drei Millionen Fachkräfte fehlen. Wie können Unternehmen die Lücken schließen? Welche innovativen Lösungen gibt es, um dringend benötigte Mitarbeiter zu finden und diese langfristig ans Unternehmen zu binden?
29.10.2023 18:11
Aktualisiert: 29.10.2023 18:11
Lesezeit: 5 min
Fachkräftemangel: Arbeitsmarkt vor dem Kollaps und Lösungen für Unternehmen
Die neuesten Ergebnisse einer Umfrage des ifo-Instituts bestätigen besorgniserregende Entwicklungen. (Foto: Istockphoto/ Heiko119) Foto: Heiko119

Der Fachkräftemangel ist nicht länger nur ein Schlagwort, sondern hat sich zu einer ernsthaften Bedrohung entwickelt. Das Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung (KOFA) des Bundesministeriums für Wirtschaft schlägt Alarm: Allein im Juli fehlten in Deutschland mehr als eine halbe Million qualifizierte Arbeitskräfte.

Die neuesten Ergebnisse einer Umfrage des ifo-Instituts bestätigen diese besorgniserregende Entwicklung. Fast die Hälfte der deutschen Unternehmen gibt an, akut unter Fachkräftemangel zu leiden. Besonders stark betroffen sind Branchen wie Rechts- und Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung, Verkehr, Architektur, Ingenieurbüros, EDV-Geräteherstellung, Maschinenbau, Handel und Bauhauptgewerbe, in denen teilweise über zwei Drittel der Stellen unbesetzt sind. Die Prognosen für die Zukunft sind noch alarmierender. Bis zum Jahr 2030 könnten wir auf einen drastischen Mangel von drei Millionen Fachkräften zusteuern.

Die Auswirkungen beschränken sich nicht allein auf Unternehmen. Verbraucher spüren die Krise hautnah: Längere Wartezeiten auf Handwerker, Schwierigkeiten bei der Terminvereinbarung mit Rechtsanwälten und verkürzte Öffnungszeiten von Dienstleistern sind nur einige der sichtbaren Konsequenzen.

Achim Dercks, der stellvertretende Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, schätzt, dass der Fachkräftemangel Deutschland einen Verlust von 100 Milliarden Euro in der Wertschöpfung bescheren wird, was bemerkenswerte 2,56-Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. In diesem Kontext wird deutlich, dass der Fachkräftemangel nicht allein die Unternehmenswelt betrifft, sondern zu einer gesamtgesellschaftlichen Krise geworden ist.

Strategie 1: Fachkräftegewinnung durch gezielte Rekrutierung!

Die Rekrutierung hochqualifizierter Fachkräfte entwickelt sich zu einer Mammutaufgabe für Unternehmen. In einem wettbewerbsintensiven Umfeld sind innovative Strategien und proaktive Lösungen erforderlich, um dem grassierenden Fachkräftemangel zu begegnen.

Der entscheidende Schritt in die richtige Richtung beginnt damit, dass Unternehmen erkennen, wie sehr sich die Spielregeln auf dem Arbeitsmarkt geändert haben. Heute müssen Unternehmen aktiv auf Talente zugehen, da qualifizierte Fachkräfte nicht mehr automatisch zu ihnen kommen. Die Gestaltung von Stellenausschreibungen spielt eine entscheidende Rolle: Unternehmen sollten Bewerber gezielt ansprechen und ihre einzigartigen Arbeitgeberqualitäten hervorheben. Welche Annehmlichkeiten bieten sie ihren Mitarbeitern? Was macht ihre Unternehmenskultur einzigartig?

Ebenso sollten der gesamte Bewerbungsprozess unter die Lupe genommen werden: Wenn qualifizierte Fachkräfte viele Auswahlmöglichkeiten haben, ist es unerlässlich, den Rekrutierungsprozess schlank und auf die Bedürfnisse der Bewerber zuzuschneiden. Dazu gehört, nur die absolut notwendigen Anforderungen und Qualifikationen zu formulieren, um die Anzahl der Bewerber zu maximieren. Zudem sollten Bewerber einen unkomplizierten und effizienten Prozess durchlaufen. In den ersten Schritten sollten die Anforderungen minimal sein – oft sind grundlegende Informationen und eine Telefonnummer ausreichend. Videobewerbungsgespräche können eine zusätzliche Möglichkeit bieten, das Verfahren zu optimieren. Der Vorteil: Kandidaten mit weiter Anreise werden nicht abgeschreckt.

Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg sind Empfehlungen von Mitarbeitern. Die eigenen Mitarbeiter wissen oft am besten, welcher Bewerber in die Unternehmenskultur passt. Dadurch lässt sich das Risiko von Fehlbesetzungen minimieren. Wenn man die Mitarbeiter über offene Stellen informiert und sie im Erfolgsfall belohnt, können Unternehmen Talente anziehen und halten und das zu relativ niedrigen Kosten im Vergleich zum Gewinn.

Strategie 2: Fachkräfte sichern durch gezieltes Ausbilden!

Die interne Ausbildung von Fachkräften durch gezielte Entwicklung von Auszubildenden erweist sich als nachhaltige Strategie zur langfristigen Sicherung der Unternehmenszukunft. Ein wesentlicher Pluspunkt dabei ist, dass junge Talente gezielt gemäß den spezifischen Anforderungen des Unternehmens ausgebildet werden können.

Um die Berufseinsteiger langfristig an das Unternehmen zu binden, spielen mehrere Faktoren eine entscheidende Rolle: Ausbildende sollten eine vielseitige Rolle als Lernbegleiter, Coaches und Mentoren einnehmen. Dabei ist es entscheidend, auf Augenhöhe mit den Auszubildenden zu arbeiten, selbstgesteuertes Lernen zu fördern und frühzeitig Verantwortung zu übertragen. Die Einbindung von Auszubildenden in die Festlegung von Unternehmenszielen und die Vergabe anspruchsvoller Aufgaben kann äußerst motivierend wirken und die Identifikation mit dem Betrieb stärken. Wertschätzung und respektvolle Kommunikation, begleitet von kleinen Gesten der Anerkennung, persönlichem Interesse, gemeinsamen Aktivitäten und ehrlichem Lob, steigern erheblich die Arbeitsmotivation.

Neben diesen Aspekten ist regelmäßiges und konstruktives Feedback von großer Bedeutung für den Lernprozess. Zusätzlich ist es entscheidend, den Auszubildenden frühzeitig Perspektiven innerhalb des Unternehmens aufzuzeigen, einschließlich der Möglichkeit zur Übernahme, Weiterbildungsmaßnahmen, Karriereentwicklung und die Chance auf Auslandseinsätze. All diese Elemente wirken motivierend, um die Auszubildenden im Unternehmen zu halten.

Strategie 3: Potenziale von Quereinsteigern nutzen!

Quereinsteiger bringen ein breites Spektrum an Potenzialen mit sich. Mit ihrem reichen Erfahrungsschatz und ausgeprägten Soft Skills können sie frischen Wind in Unternehmen bringen. Oft zeichnen sie sich durch außergewöhnliche Motivation aus, sind in der Lage, neue Impulse zu setzen und betrachten Unternehmensprozesse unvoreingenommen. Darüber hinaus sind sie in der Regel flexibel und aufgeschlossen für neue Herausforderungen.

Diese Eigenschaften sind besonders wertvoll für Unternehmen, die in neuen Märkten oder Geschäftsfeldern tätig sind. In solchen Umgebungen sind Mitarbeiter gefragt, die sich schnell an sich ändernde Situationen anpassen können und kontinuierlich dazulernen. Ein weiterer Vorteil ist, dass Quereinsteiger oft nicht die gleiche Ausbildung wie Berufseinsteiger benötigen. Viele von ihnen verfügen bereits über einen akademischen Abschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung. Sie bringen relevante Kenntnisse und Fähigkeiten mit, wodurch in vielen Fällen erhebliche Kosten eingespart werden können.

Um Quereinsteiger effizient ins Unternehmen zu integrieren, bieten sich Schulungsmaßnahmen und Coaching-Programme an. Unternehmen sollten klare Integrationspläne entwickeln, um Quereinsteiger in ihre neuen Rollen einzuführen und die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Dies eröffnet vielversprechende Möglichkeiten, Fachkräfte zu gewinnen und Wettbewerbsvorteile zu erzielen.

Strategie 4: Weibliche Fachkräfte fördern und Diversität stärken!

Frauen repräsentieren ein enormes Potenzial auf dem Arbeitsmarkt. Dennoch arbeiten sie trotz häufig ähnlicher oder sogar besserer Qualifikationen im Vergleich zu Männern oft in Berufen, die nicht ihrem formalen Bildungsstand entsprechen. Dieses Phänomen ist besonders in Berufen wie Meistern und Technikern ausgeprägt, in denen fast 70-Prozent der Frauen unter ihren Qualifikationen arbeiten. Es ist daher empfehlenswert, dass Unternehmen regelmäßig überprüfen, ob ihre weiblichen Mitarbeiterinnen angemessene Positionen entsprechend ihren Fähigkeiten und Qualifikationen innehaben und diese gezielt fördern.

Die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle, die Einrichtung von Firmenkindergärten, möglicherweise in Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen, sowie die Verbesserung der Infrastruktur zur Pflege von Angehörigen können Frauen ermutigen, auch in männerdominierten Tätigkeitsbereichen Fuß zu fassen. Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, bieten sich Arbeitszeitmodelle wie Teilzeitführung an. Dies ermöglicht Frauen, ihr volles Potenzial zu entfalten und eine bessere Work-Life-Balance zu erreichen.

Zusätzlich haben Unternehmen, die Vielfalt und Diversität aktiv fördern, die Möglichkeit, eine breitere Palette von Fachkräften anzuziehen. Ältere Arbeitnehmer verfügen oft über hohe fachliche Qualifikationen, werden jedoch häufig übersehen. Dabei könnten sie eine wertvolle Bereicherung für das Unternehmen darstellen. Das Gleiche gilt für Menschen mit Behinderungen, sofern barrierefreie Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Nicht zu vergessen sind ausländische Mitarbeiter mit Qualifikationen aus ihren Herkunftsländern. Insbesondere in Unternehmen, in denen viel auf Englisch kommuniziert wird, kann dies einen echten Mehrwert bieten.

Strategie 5: Familienfreundlichkeit und Arbeitsumfeld - Schlüssel zur langfristigen Fachkräftebindung

Weitere Maßnahmen zur Gewinnung und Bindung von Fachkräften umfassen familienfreundliche Arbeitsbedingungen, die Förderung von Home-Office-Optionen und die Schaffung eines wertschätzenden Arbeitsumfelds. Die Essenz dieser Maßnahmen liegt darin, ein zufriedenes und ausgewogenes Arbeitsleben zu ermöglichen, das sich gut mit den privaten Verpflichtungen vereinbaren lässt. Unternehmen, die in diese Richtung investieren, profitieren auf vielfältige Weise. Arbeitgeber, die Familienfreundlichkeit fördern, verzeichnen in der Regel eine geringere Fluktuation ihrer Mitarbeiter im Vergleich zu Unternehmen, die diesen Aspekt vernachlässigen.

Die Kernbotschaft lautet: Je flexibler und attraktiver Unternehmen ihre Arbeitsbedingungen gestalten und je offener sie im Bewerbungsprozess agieren, desto mehr ungenutztes Potenzial können sie ausschöpfen. Für zusätzliche Informationen und Unterstützung im Kampf gegen den Fachkräftemangel bietet das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wertvolle Ressourcen und Unterstützung.

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