Wohnraum in Deutschland ist ein Magenschmerz, den sich Bevölkerung und Regierung fast freundschaftlich teilen. Laut aktueller Prognose fehlen im Jahr 2023 bereits 700.000 Sozialwohnungen, dem Mieterbund zufolge müssen bis 2025 sogar 1,5 Mio. Wohnungen gebaut werden. Frühere Versuche, Wohnraum bezahlbarer zu machen – so zum Beispiel der Mietdeckel in Berlin – sind gescheitert. Die 2021 vorgeschlagene Mietensteuer verschwand nach anfänglich vorsichtig optimistischen Gefühlen des Mieterbundes wegen Sorgen über die gerechte Verteilung der Gelder. Die Regierung braucht mehr Geld im Immobilientopf, um den fehlenden Wohnraum aufzufüllen. Doch wo kommen die Objekte her – und wer soll das bezahlen?
Uni Regensburg plädiert für Neuverteilung von Wohnraum
Forscher des Immobilieninstituts der Universität Regensburg wollen der Wohnungsnot durch strategische Umverteilung entgegenwirken. In erster Linie wird errechnet, wie viel Wohnraum pro Haushalt tatsächlich notwendig ist. Im nächsten Schritt wird dies mit dem vorhandenen Wohnraum verglichen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Haushalte, die in vermeintlich „zu großen“ Immobilien wohnen, in kleinere Wohnräume „gedrängt“ werden, sodass Platz fairer verteilt ist. Dies trifft vor allem Rentner, die langfristig in großen und, nach aktuellem Mietspiegel, günstigen Immobilien leben.
Laut Wirtschaftsprofessor Steffen Sebastian sei genug Wohnraum in Deutschland vorhanden, er sei nur völlig falsch verteilt. Diese Umverteilung soll vor allem Familien, die unter enormer Wohnungsnot leiden, unterstützen. Zu diesem Zweck schlägt Sebastian vor, den Mieterschutz nochmal genau unter die Lupe zu nehmen: „Es kann doch nicht sein, dass der Staat Menschen extrem schützt, die ohnehin seit Jahrzehnten eine geringe Miete zahlen, egal ob sie bedürftig sind oder nicht. Und andere finden partout keine bezahlbare Wohnung,“ so der Wirtschaftsprofessor gegenüber Welt. Ein kontroverser Vorschlag, der vor allem bei den Betroffenen auf Unmut stößt. Das Wort „Enteignung“ wird laut. Doch was genau bedeutet es überhaupt, Wohnraum durch Enteignung zu „schaffen“?
Was bedeutet „Enteignung“?
Enteignung beschreibt den „gesetzeskonformen Entzug von Eigentum“ laut Artikel 14, Absatz 3 des Grundgesetzbuchs. Es ist möglich, Eigentümer zu enteignen, wenn das Grundstück aus Gründen des Allgemeinwohls gebraucht wird. Der Eigentümer wird in diesem Fall gemäß des Immobilienwerts finanziell entschädigt. Typische Gründe für Enteignung ist der Ausbau der Infrastruktur, allem voran Straßen oder Zugschienen.
Auch Eigentümer, die ihre Immobilie stark vernachlässigen – vor allem im Kontext des Denkmalschutzes – können (zeitweise) enteignet werden. Den Präzedenzfall lieferte der Eigentümer des Schlosses Reinhardsbrunn in Thüringen. Weil dieser die historische Baute zunehmend verfallen ließ, enteignete die Landesregierung die Immobilie.
Enteignungen geschehen jedes Jahr, doch sie sind weniger häufig, als man vielleicht annimmt: Zwischen 2009 und Mitte 2020 kam es zu lediglich 448 erfolgreichen Enteignungen. Für eine tatsächliche Enteignung müssen folgende Auflagen erfüllt werden:
- Ein Bundes- oder Landesgesetz muss als Basis für die Enteignung dienen
- Die Regierung muss im ersten Schritt „ernsthaft bemüht“ sein, das Grundstück auf regulärem Weg zu kaufen
- Die Regierung muss nachweisen können, dass das Grundstück in „absehbarer Zeit“ für den geplanten Zweck genutzt wird
- Dem Eigentümer muss wenn möglich ein geeignetes Ersatzgrundstück angeboten werden
Was ist eine kalte/versteckte Enteignung?
Eine kalte Enteignung, anders als die oben besprochene traditionelle Enteignung, hat einen deutlich „zwanghafteren“ Charakter. Hierbei wird die Immobilie unter Wert verkauft. Öffentliche Entscheidungen, wie zum Beispiel der Bau von Windparks, oder auch Gesetzesänderungen, können hierfür Grund sein.
Hier wird nochmal das Thema rund um die Mietensteuer, die in Berlin umgesetzt werden sollte, laut. Viele Experten sorgten sich um eine „versteckte Enteignung“ der Besitzer durch den neuen Gesetzesentwurf. Bei diesem sollten Immobilien mit Nettokaltmieten oberhalb von 110% über der ortsüblichen Vergleichsmiete mit 10-30% progressiv besteuert werden. Ziel der Mietensteuer war es, zusätzliche Einnahmen zu genieren, welche für den Neubau von Sozialwohnungen und der allgemeinen Erschließung von Wohnraum dienen sollten. Während manche Experten den Gesetzesentwurf von 2021 befürworteten, befürchtete der Bund der Steuerzahler, dass diese eigentlich zweckgebundenen Steuereinnahmen früher oder später unbeobachtet in den Landeshaushalten versickern würde.
Auch das Heizungsgesetz, das am 01.01.24 in Kraft tritt, ist im Kontext der versteckten, beziehungsweise kalten, Enteignung erwähnenswert. Die neuen Vorschriften zur Energiesanierung von Wohnimmobilien lassen viele Besitzer um ihre Objekte bangen. Zur Erinnerung: Nur 14% aller Wohnmobilien in Deutschland erreichen aktuell eine positive Energiebilanz von A+ bis B. Die restlichen 86% dürfen sich auf teilweise weitreichende Sanierungsarbeiten freuen – welche sich viele Immobilienbesitzer schlichtweg nicht leisten können.
Wie können sich Eigentümer vor Enteignung schützen?
In erster Linie ist zu erwähnen, dass es nicht „einfach so“ möglich ist, Eigentum zu enteignen. Hierbei handelt es sich um einen langwierigen Prozess auf Bundes- und Landesebene, der nur in Notfällen oder bei schwerer Verwahrlosung durchgezogen wird. Eigentümer müssen bei einer Enteignung auch nicht tatenlos zusehen: Es ist natürlich möglich, Klage gegen den Beschluss zu erheben. Auch ist es möglich, eine Enteignung abzuwehren, indem man das Grundstück verkauft.
Aktuelle Ansätze zu Enteignung
Was private Eigentümer auch beruhigen sollte: Aktuelle Ansätze zur Enteignung beziehen sich auf Immobilienkonzerne, nicht auf den durchschnittlichen Bürger. So greift das Berliner Bündnis mit „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ Immobilienfirmen mit mehr als 3.000 Objekten in ihrem Besitz an, die von der Wohnungsknappheit seit vielen Jahren finanziell profitieren. Immobilienriese Deutsche Wohnen alleine besitzt 112.000 Wohnungen in der Hauptstadt und wurde bereits in der Vergangenheit von Mieterinitiativen ins Auge genommen, die ihnen schlechte Instandhaltung der Immobilien und manipulative Mietpreiserhöhungsstrategien vorwerfen. Die Initiative kündigte am 26.09.23 an, einen Gesetzesvolksentscheid einleiten und so die Vergesellschaftung von Wohnraum selbst in die Hand zu nehmen.
Gemeinsame Lösung oder Bevormundung?
Ansätze rund um Mietensteuer und gezielter Enteignung von Immobilien werden kontrovers diskutiert. Tatsache ist, dass mehr Geld in den Neubau von Wohnimmobilien fließen muss, und das so schnell wie möglich. Die Frage ist, wer dafür zur Kasse gebeten werden soll – und ob die Einnahmen auch wirklich dort landen, wo sie gebraucht werden. Auch fraglich: Wie sehr darf der Staat in die Wohnsituation und das Immobilienportfolio seiner Bürger eingreifen, bevor aus Handlungen des „öffentlichen Interesses“ dezidierte Bevormundung wird? Der Gesetzesvolksentscheid der „Berliner Bedürfnisse“ könnte ein Vorreiter sein, um diese Fragen künftig zu beantworten.