Drei Wochen nach Massakern islamistischer Terroristen hat die israelische Armee ihre Angriffe auf den Gazastreifen weiter verstärkt. In der Nacht zu Samstag stießen erneut Bodentruppen in den Norden des abgeriegelten Küstengebiets vor. Anders als bei begrenzten Einsätzen dieser Art in früheren Nächten zogen sich die Panzerverbände jedoch zunächst nicht wieder zurück.
Die israelische Armee rief die noch im Norden des Gazastreifens verbliebenen Menschen erneut dringend auf, sich im Süden in Sicherheit zu bringen. Das «Zeitfenster» schließe sich schnell, hieß es. Den Beginn einer erwarteten großen Bodenoffensive bestätigte die Armee nicht.
Hilfsorganisationen beklagten, dass der Ausfall fast aller Telefon- und Internetverbindungen die Hilfe für Opfer des Krieges noch schwieriger mache. Es war die Rede von Panik und Chaos.
Israel geht gegen Hamas vor
Israels Armeesprecher Daniel Hagari sagte am Samstag, Israel schreite «in den Kriegsphasen voran». In der Nacht «sind israelische Truppen in den Norden des Gazastreifens vorgedrungen und haben den Bodeneinsatz ausgeweitet», sagte er. Beteiligt seien Infanterie, Panzertruppen, Ingenieurkorps und Artillerie. Die Bodentruppen seien immer noch vor Ort. Unter den israelischen Soldaten gebe es keine Opfer. Hagari sagte, es seien mehrere ranghohe Kommandeure der islamistischen Hamas getötet worden, die auch von EU und USA als Terrororganisation eingestuft wird. Darunter sind nach Militärangaben auch ein Hamas-Marinekommandeur sowie der für Luftangriffe zuständige Hamas-Anführer Asem Abu Rakaba. Seit dem blutigen Terrorangriff der Hamas vor drei Wochen mit mehr als 1400 Toten greift Israel den Gazastreifen verstärkt aus der Luft und zu Land an.
Militante Palästinenser schossen auch am Samstag wieder Raketen aus dem Gazastreifen auf israelische Städte. In israelischen Ortschaften im Grenzgebiet heulten mehrmals Warnsirenen, wie die Armee mitteilte. Auch im Großraum Tel Aviv gab es erneut Raketenalarm, ebenso in der Küstenstadt Aschkelon. In der Wüstenstadt Beerscheva traf nach Polizeiangaben eine Rakete ein Gebäude. Es gab zunächst keine Berichte zu Verletzten.
Neue Gefechte an Israels Grenze zum Libanon
An Israels Grenze zum Libanon kam es auch am Samstag wieder zu Gefechten. Mehrere Panzerabwehrraketen und Mörsergranaten seien vom Libanon aus auf Israel abgefeuert worden, teilte die israelische Armee mit. Die israelische Armee habe zurückgeschossen und militärische Einrichtungen der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah angegriffen. An der Grenze zwischen Israel und dem Libanon kommt es seit Beginn des Gaza-Kriegs zunehmend zu Zwischenfällen. Auf beiden Seiten gab es bereits Todesopfer. Die Hisbollah ist wie die Hamas mit Israels Erzfeind Iran verbündet.
Die Kommunikation innerhalb des Gazastreifens über das Internet und Telefone brach fast völlig zusammen. Auch die Verbindungen nach außen waren am Samstag nur mit Satellitenhandys und von hohen Gebäuden im Süden des Gazastreifens mit israelischen SIM-Karten möglich. Schuld sei die heftige Bombardierung durch die israelische Armee, teilte das im Westjordanland ansässige palästinensische Unternehmen Paltel mit. Auch die Organisation Netblocks, die für die Beobachtung von Internetsperren bekannt ist, bestätigte auf der Plattform X einen Zusammenbruch der Internetverbindungen im Gazastreifen.
Die israelische Armee kündigte an, sie werde eine Verstärkung der humanitären Hilfslieferungen für die palästinensische Bevölkerung zulassen. «Für die Einwohner des Gazastreifens, die in das Gebiet südlich von Wadi Gaza gegangen sind, weiten wir die humanitäre Hilfe aus», sagte Armeesprecher Hagari. Man werde im Verlauf des Tages die Einfuhr von Lastwagen mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten in den Süden des Küstenstreifens ermöglichen. «Wer sich in diesem Gebiet aufhält, wird diese erhalten», sagte Hagari. Ob die Lieferungen tatsächlich möglich wurden, war zunächst unklar. Seit dem Hamas-Überfall auf Israel sind nur noch rund vier Prozent der Versorgungsgüter in normalen Zeiten in den Gazastreifen gelangt.
Opferzahlen im Gazastreifen steigen weiter
Die Zahl der getöteten Palästinenser im Gazastreifen stieg seit Kriegsbeginn vor drei Wochen nach Darstellung des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums auf 7703. Rund 20 000 Menschen wurden demnach verletzt. Die Zahlen konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden. Die Zerstörungen an Infrastruktur und Gebäuden waren immens und größer als bei früheren Konflikten zwischen Hamas und Israel. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) äußerte sich sehr besorgt über Bombardierungen auch in der Nähe großer Krankenhäuser. Israel wirft der Hamas vor, Kommandozentralen seines als «Metro» bezeichneten Tunnelsystems unter Krankenhäusern angelegt zu haben.
Angesichts der immer heftigeren israelischen Angriffe auf die Hamas stieg auch die Sorge um das Leben der 229 von der Hamas in den Gazastreifen verschleppten Israelis, von denen einige auch eine zweite Staatsbürgerschaft haben, darunter auch die Deutsche. Am Samstag demonstrierten rund 600 Menschen in Tel Aviv mit einem Solidaritätslauf für die Geiseln. In New York organisierten jüdische Gruppen eine Kundgebung im Grand Central Terminal für eine Feuerpause. Udi Gori, ein Angehöriger eines Verschleppten, forderte in der BBC eine humanitäre Feuerpause, um die Geiseln frei zu bekommen. Wenn Israel die Hamastunnel bombardiere, könne es sein, dass sie auch Geiseln töten, sagte Gori.
Meirav Leshem Gonen, Mutter einer Geisel, sagte dem israelischen Armeesender am Samstag: «Ich verstehe nichts von Strategie, ich verstehe etwas von Mutterschaft - und ich habe das Gefühl, dass dies ein Krieg ist, den wir schon verloren haben. Wie kann man sicherstellen, dass meine Tochter und die anderen Geiseln wirklich lebend nach Hause kommen?» Große propalästinensische Demonstrationen gab es am Samstag in London und der Türkei.
Deutsch-Israelische Gesellschaft kritisiert deutsche UN-Enthaltung
Die Deutsch-Israelische Gesellschaft hat die Enthaltung Deutschlands bei einer Abstimmung über eine UN-Resolution zur humanitären Lage in Gaza scharf kritisiert. «Wie kann Deutschland sich bei einer UN-Resolution enthalten, die als alleiniges Ziel hat, Israels Recht auf Selbstverteidigung zu delegitimieren? Deutschland hätte klar mit Nein stimmen sollen», sagte der Präsident der Gesellschaft, Volker Beck, laut Mitteilung vom Samstag. Die UN-Vollversammlung in New York hatte am Freitagabend eine Resolution zur Verbesserung der humanitären Situation und für eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen verabschiedet. 120 Länder stimmten dafür, 14 dagegen, 45 enthielten sich, darunter Deutschland. Vor allem Länder des sogenannten globalen Südens werfen dem Westen auch im Hinblick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Doppelmoral vor.