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Hochsensibilität – Unerkannte Perlen in der Arbeitswelt

Lesezeit: 5 min
01.11.2023 09:21  Aktualisiert: 01.11.2023 09:21
Das Thema Hochsensibilität wird in der Arbeitswelt noch zu wenig angesprochen. Dabei sind hochsensible Mitarbeiter eine große Bereicherung für Unternehmen. Cordula Römer, Bestsellerautorin und Expertin für Hochsensibilität und Hochbegabung, verrät mehr dazu im Interview mit der DWN.
Hochsensibilität – Unerkannte Perlen in der Arbeitswelt
Schwierigkeiten für hochsensible Menschen treten oft durch unpassende Rahmenbedingungen auf. (Foto: istockphoto.com/ALotOfPeople)
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Cordula Roemer ist Diplom-Pädagogin, Dozentin und Bestseller-Autorin und befasst sich seit 2007 intensiv mit dem Thema Hochsensibilität. Sie hält dazu Vorträge, gibt Fortbildungen, berät Betroffene und ist seit 2009 Gründerin und Leitung der Offenen Berliner HSP-Treffen. Das Thema Hochsensibilität ist noch nicht im Berufsalltag angekommen, so die Expertin im Telefoninterview mit den DWN. Es braucht mehr Aufklärung dazu, innerhalb der Berufswelt.

Thema Hochsensibilität in Unternehmen – Da ist noch viel Luft nach oben!

DWN: Ist das Thema Hochsensibilität aus Ihrer Erfahrung in der Berufswelt angekommen bzw. schon ein Thema?

Cordula Roemer: Angekommen ist es aus meiner Sicht nicht. Es wird langsam ein Thema, das ja. Es nimmt zu, dass immer mehr Menschen zum einen über dieses Thema wissen und zum anderen es auch in die Führungsriegen sickert. Allerdings dauert dieser Prozess hier länger als in der Breite der Mitarbeiter. Es gibt immer wieder Menschen, die das Phänomen bereits an sich feststellen. Aber dass es berufliche oder Firmenstrukturen schon so weit erreicht hat und dann tatsächlich von der Führungsebene aus entsprechende Änderungen umgesetzt werden, da ist noch viel Luft nach oben.

DWN: Mit welchen beruflichen Problemen werden hochsensible Mitarbeiter hauptsächlich konfrontiert?

Cordula Roemer: Das ist unterschiedlich. Ich mache immer zwei Stränge auf. Der eine Bereich betrifft das sensorische Thema, dazu gehört das Thema Licht, Geräusche, Gerüche, Temperatur, Sitzposition, die Frage „Bin ich allein oder bin ich nicht allein am Arbeitsplatz? Habe ich es viel mit Druck von außen zu tun? Fühle ich mich, grob gesagt, körperlich wohl, da wo ich bin? Kann ich mich zum Beispiel über genügend Pausen im Laufe eines Arbeitstages regenerieren oder muss ich durchhalten, bis ich zuhause halb tot umfalle? Der andere Bereich ist der Inhaltliche, wo sich die Frage stellt: Bin ich ausgelastet, also ist die Arbeit anregend genug? Ein hochsensibles System mag es immer gerne komplex. Das bedeutet, dass es entsprechende Aufgabenstellungen braucht. Sobald zu viel Routine dabei ist, wird es langweilig und es fehlt die Auslastung.

Ein anderes Thema ist das der Verantwortlichkeiten. Hier stellt sich die Frage: Habe ich genügend Selbstverantwortung in dem Bereich, in dem ich tätig bin? Die Situation, dass bei einem Projekt jeder Schritt vom Vorgesetzen überwacht wird, ist für hochsensible Menschen sehr unangenehm. Für diese Art von Menschen passt es besser, dass man die Zielvorgabe setzt, es ihnen aber überlässt, wie sie dorthin kommen. Auf diese Weise können sie sehr gut ihren Arbeitsablauf, ihre Strukturen entwickeln und einbinden und somit effektiver arbeiten.

DWN: Das klingt so, als ob hochsensible Menschen besondere Stärken haben, wenn wir von Softskills sprechen. Ist das so?

Cordula Roemer: Ja. Ganz allgemein gesagt, ist eine gut ausgeprägte Intelligenz vorhanden und oft auch eine emotionale Intelligenz. Es kann beides sein; sie können im kognitiven Bereich überdurchschnittlich gut sein oder im sozialen Bereich. Im letzteren Feld wären das solche Begriffe wie Empathie oder Mitgefühl. Es geht darum, mitzubekommen was in der Gruppe passiert, welche Stimmung in der Gruppe gerade ist, was mein Gegenüber braucht.

Je nachdem, in welchem Berufsfeld man arbeitet, brauchen wir händeringend solche Eigenschaften. In Heilberufen wird diese soziale Empathie, oder sagen wir soziale Fähigkeiten, gebraucht. Ebenso im Bildungswesen ist es auch nötig. Sie zeichnen sich auch durch eine hohe Kreativität aus, ein hohes Verantwortungsbewusstsein, aber auch so etwas wie ein Harmoniebedürfnis ist oft bei hochsensiblen Menschen sehr ausgeprägt. Ebenso ein ästhetisches Empfinden, also ein Empfinden für Ausgewogenheit und Stimmigkeit. Der berühmte Perfektionismus gehört auch dazu, den ich aber als zweischneidiges Schwert bezeichne. Er sorgt auf der einen Seite für gute Ergebnisse, aber auf der anderen Seite kann er dazu führen, dass der betreffende Mensch sich damit eher ausbremst.

DWN: Wie können Unternehmen von Mitarbeitern mit solchen Fähigkeiten profitieren?

Cordula Roemer: Sie können sie immer in Positionen setzen, wo entweder Innovation gefragt ist, denn viele hochsensible Menschen sind durchaus in der Lage weiter zu blicken als der Durchschnitt. Das heißt, sie haben einen Blick für größere Zusammenhänge, indem sie bspw. A, B, und C zusammenrechnen und sich überlegen, was bei M rauskommt. Aufgrund der Empathie sind das oftmals Menschen, die gut dafür sorgen können, dass es auch zwischen den Menschen gut funktioniert. Zum Beispiel, wenn es um zwischenmenschliche Konflikte geht, können sie gut einwirken bzw. bemerken sie sie oft viel eher als andere.

Unternehmen könnten davon profitieren, wenn sie sie hierbei zu Rate ziehen. Immer dort, wo es um ein gewisses Maß mehr an Qualität, Vision, Tiefgang geht, da sind solche Menschen hervorragend aufgehoben. Generell ist aber jeder Beruf passend. Ob im Handwerk oder in der Gärtnerei, jede Arbeit ist gut, weil Hochsensible genauso heterogen sind, wie alle anderen auch. Es geht vielmehr, um die Qualität, wie ein Mensch seine Arbeit macht. Sie ist immer auf einem höheren Level, ohne dabei die anderen zu degradieren. Ein Beispiel: Nehmen Sie einen Traktor auf der einen Seite, der gemacht ist, um die Ernte einzufahren. Auf der anderen Seite haben sie einen Rennwagen, auch ein spezielles Gefährt. Was passiert, wenn sie den Traktor zum Formel1-Rennen schicken? Er wird das Ziel als letzter passieren. Schicken Sie den Rennwagen auf den Acker, dann ist der hinüber. So in etwa ist das mit den Hochsensiblen auch. In dem Feld, indem sie gerne arbeiten möchten, können sie diese Höchstleistung bringen.

DWN: Viel zu gerne wird Hochsensibilität in die Kategorie „Problemmensch“ eingeordnet. Ist das gerechtfertigt?

Cordula Roemer: Natürlich haben Menschen, die diese Veranlagung in sich tragen, auch Schwierigkeiten. Aber nicht, weil sie diese Veranlagung haben, sondern weil eben die Rahmenbedingungen nicht so passend sind für den Menschen, wie er es gerade für sich braucht.

DWN: Was empfehlen Sie hochsensiblen Mitarbeitern? Sollen Sie offensiv mit dem Thema umgehen? Das Thema landet oft noch in der falschen Schublade und wird, wie eine Krankheit behandelt.

Cordula Roemer: Deshalb rate ich zur Vorsicht. Ich sage immer, man soll sich genau überlegen, wo man wem etwas sagen will, was davon nötig ist und wie man es formuliert. Wir sind noch nicht an dem Punkt, wo man sagen kann, „Juhu ich bin hochsensibel! Jetzt weißt du Bescheid, alles ist gut!" Es gibt einfach Menschen, die können mit solchen „neuen Ansätzen“ nicht gut umgehen. Ich würde aber hochsensiblen Menschen immer raten, erst von ihren Qualitäten zu sprechen, die sie einbringen können. Das ist etwas, was die Firmenleitung gerne hört. Inwieweit können die eigenen Qualitäten dem Unternehmen einen Mehrwert bieten.

Man muss an diesem Punkt noch nicht zwingend den Begriff Hochsensibilität benutzen. In der Familie oder Partnerschaft sieht es ein wenig anders aus. Da kann man das eher mal sagen. Wenn das ein Unternehmen im sozialen Bereich ist, dann wäre es vielleicht durchaus sinnvoll den Begriff zu verwenden. Damit könnte sich das Unternehmen profilieren, indem es solche Menschen im Boot hat und sie speziell fördert. Das ist das, worauf wir auch hinarbeiten, den Unternehmen zu verstehen zu geben, dass sie Diamanten an Bord haben und es nicht wissen.

DWN: Sollte man vielleicht in Zukunft einen Schritt vorher, bei den Personalern ansetzen und diese stärker für das Thema sensibilisieren?

Cordula Roemer: Das wäre eine gute Idee, wenn sie geschult werden würden. Hochsensibilität und Hochbegabung ist ein sehr komplexes Feld, dass sich nicht von allein erklärt. Damit könnten sie im Personalgespräch besser erkennen, ob jemand hochsensibel oder hochbegabt ist und die passende Position wählen.

Wenn es um Mitarbeiter geht, die schon da sind, dann ist es sinnvoll die Mitarbeiter durch dieses Wissen zu stärken. Die Sorge vor vermuteten Schwierigkeiten ist im Moment größer, als dass sie sehen, dass es Vorteile bringt.

DWN: Es gibt noch keinen Test, mit dem Hochsensibilität wissenschaftlich valide festgestellt werden kann. Was empfehlen Sie?

Cordula Roemer: Ich empfehle immer eine Verbindung von einem Test und einem Beratergespräch mit einem Experten. Es gilt zu z.B. erkennen, ob evtl. eine seelische Belastung anstelle einer Hochsensibilität vorliegt. Es können auch Überlappungen vorliegen und das kann bislang noch kein Hochsensibilitäts-Test zeigen. Dazu braucht es viel Wissen und Erfahrung auf diesem Gebiet.

 

                                                                            ***

Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 


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