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Wie uns Pestizide krank machen

Lesezeit: 4 min
05.11.2023 09:48  Aktualisiert: 05.11.2023 09:48
Nicht nur die in der Landwirtschaft massiv eingesetzten Giftstoffe richten hohe gesamtwirtschaftliche Schäden an, sondern auch der hohe Einsatz von Kunstdünger. Ein großer Teil dieser Kosten wird nicht von den Verursachern, den Landwirten und Chemiekonzernen getragen, sondern von der Allgemeinheit.
Wie uns Pestizide krank machen
Die in der Landwirtschaft massiv eingesetzten Giftstoffe richten hohe gesamtwirtschaftliche Schäden an. (Foto: dpa)
Foto: Julian Stratenschulte

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Anfang Oktober berichtete die Tagesschau unter der Überschrift „Viel Weizen hat zu schlechte Qualität“, dass 2023 die Weizenernte in Deutschland massiv beeinträchtigt wurde. Außerdem sei der Eiweißgehalt dieses Jahr „auffällig“ niedrig.

Dazu beigetragen hätten das schlechte Wetter und neue Regeln für das Düngen, die die erlaubte Düngemenge bei Überschreiten kritischer Nitratwerte im Grundwasser in einzelnen Regionen eingeschränkt habe. Wegen zu viel Regen zur falschen Zeit würden viele Körner vorzeitig keimen.

Ende August hatte die Tagesschau unter dem Titel „Grenzwerte häufig überschritten - Pestizide in Bächen gefährden Artenvielfalt“ dargestellt, dass in 80% der Bäche in Deutschland der Grenzwert für Pestizide laut einer Studie des Umweltbundesamtes überschritten sei. Die „Studie mit erschreckenden Ergebnissen“ zeige, dass das Spritzen mit Giftstoffen durch konventionelle Landwirte die Artenvielfalt an den Rändern der Bäche dezimiere.

Zur Lösung fragt die Tagesschau bereits in der Überschrift: „Helfen breitere Gewässerrandstreifen?“. Damit lenkt die Tagesschau den Fokus etwaiger Gegenmaßnahmen ab von der eigentlichen Ursache der Misere, dem starken Spritzen der giftigen Pestizide durch konventionelle Landwirte. Statt an die eigentliche Ursache zu gehen, empfiehlt die Tagesschau kosmetische Randmaßnahmen.

Werfen wir einen Blick auf die Hintergründe.

Pestizideinsatz

Laut dem jüngsten Bericht des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zum Absatz von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland für das Jahr 2021 sind derzeit 281 verschiedene Wirkstoffe zugelassen. Von ihnen wurden 2021 48.765 Tonnen abgesetzt. Das ist ein neuer Höchststand. So viele Ackergifte wurden noch nie in Deutschland eingesetzt. 1994 waren es noch 29.768 Tonnen gewesen.

In den letzten knapp dreißig Jahren hat sich der Gifteinsatz in der deutschen Landwirtschaft damit um etwa 64 Prozent erhöht. Die Umweltgifte gelangen nicht nur ins Grundwasser, sondern auch in unsere Lebensmittel, in unsere Lungen, in unser Blut und richten dort Schäden an.

In einer Studie von 2013 wurden Stadtbewohner aus 18 europäischen Ländern auf Glyphosat getestet. 44% der untersuchten Personen hatten Glyphosat im Urin. In Deutschland waren es 70%. Was hat ein Gift wie Glyphosat in unserem Urin zu suchen? Was hat es zuvor in unserem Körper bewirkt? Auch in Brot, Blut, Regen, Flüssen und Muttermilch ist Glyphosat nachweisbar. Was hat ein Gift überhaupt überall dort zu suchen?

Nicht nur die in der Landwirtschaft massiv eingesetzten Giftstoffe richten hohe gesamtwirtschaftliche Schäden an, sondern auch der hohe Einsatz von Kunstdünger. Ein großer Teil dieser Kosten wird nicht von den Verursachern, den Landwirten und Chemiekonzernen getragen, sondern von der Allgemeinheit. Man spricht hier in der Volkswirtschaftslehre von „externen Kosten“.

2020 wurde von der Bundesregierung eine hochrangig besetzte „Zukunftskommission Landwirtschaft“ eingesetzt, die die externen Kosten der deutschen Landwirtschaft abschätzen und Gegenmaßnahmen empfehlen sollte. Die umfangreiche Studie wurde im August 2021 vorgelegt.

Externe Kosten der industriellen Landwirtschaft

Demnach belaufen sich derzeit die externen Kosten der deutschen Landwirtschaft in Form von Luftschadstoffemissionen, Wasserbelastungen, Bodendegradation und Verlust von Biodiversität auf 90 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht beinahe einem Fünftel des gesamten für 2023 geplanten Bundeshaushalts.

Würde man diese äußerst hohen externen Kosten verursachergerecht auf die Produktpreise umlegen, müssten „für ein Kilogramm Rindfleisch die Erzeugerpreise etwa fünf- bis sechsmal so hoch ausfallen“ wie momentan. „Für andere tierische Produkte müssten die Preise um das Zwei- bis Vierfache ansteigen“. Bei pflanzlichen Produkten würden die Preisaufschläge geringer ausfallen.

In diesen 90 Milliarden sind ausdrücklich nicht enthalten „Kosten im Sozial- und Gesundheitssystem, die u.a. durch Fehl- und Mangelernährung und deren gesundheitliche Folgen (z.B. Adipositas) verursacht werden“. Weitere, nicht enthaltene Kosten wären die Schäden durch Allergien oder Antibiotikaresistenzen usw.

Also die tatsächlich verursachten externen Kosten der deutschen Intensivlandwirtschaft, die Kosten, die wir in Form von erhöhten Wasserrechnungen, Arztrechnungen usw. bekommen, sind laut diesem offiziellen Bericht für die deutsche Bundesregierung weit höher als 90 Milliarden Euro pro Jahr. Solange diese Art von industrieller Intensivlandwirtschaft anhält, werden wir von dieser Seite her gesehen sicher nicht gesünder werden.

Einfache Gegenmaßnahmen

Ein erster Schritt zur Lösung dieser hochgradig ineffizienten Verwendung von Pestiziden, Kunstdünger usw. wäre denkbar einfach. Man bräuchte beispielsweise nur Pestizide und Kunstdünger mit einer jährlich steigenden Abgabe belegen. Im ersten Jahr 10 Prozent auf den Verkaufspreis, dann 20 Prozent usw., bis sich beispielsweise nach 20 Jahren der Preis für diese Umweltvergifter und -belaster verdreifacht hat. Die Einnahmen daraus könnte man zur Förderung der ökologischen Landwirtschaft einsetzen und für die Flurpflege durch Landwirte.

Dadurch müssten die wahren Verursacher dieser krankmachenden Landwirtschaft, die Chemieindustrie und diejenigen landwirtschaftlichen Betriebe, die diese Gifte ausbringen, zunehmend für die derzeit real verursachten Kosten aufkommen.

Damit würde im Laufe von vielleicht einer Generation der Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger weitgehend verschwinden und wir hätten statt einer sehr ineffizienten und gesundheitsschädigenden Landwirtschaft eine nachhaltige, effiziente und gesundheitsfördernde Lebensmittelherstellung.

Warum seit Jahrzehnten keine gesundheitsfördernde, umwelt-, tier- und menschengerechte Landwirtschaftspolitik auf nationaler und insbesondere auf europäischer Ebene verfolgt wird, liegt an der massiven Lobbytätigkeit in den politischen Entscheidungszentren durch Agro-, Lebensmittel- und Chemiekonzerne.

Diese stellen sicher, dass Konzerninteressen, sprich Gewinninteressen der Aktionäre, durchgesetzt werden. Konzerngewinne sind hier im Regelfall wichtiger als unsere Gesundheit. Wie stark der Filz zwischen den Agro-Konzernen, Politikern und scheinbar unabhängigen Wissenschaftlern in Kontrollbehörden ist, zeigt recht anschaulich die Dokumentation von Global 2000 aus dem Jahr 2017: Glyphosat und Krebs: Systematischer Regelbruch durch die Behörden - Die Tricks von Monsanto und der Beitrag der Behörden, um Glyphosat vor einem Verbot zu retten.

Fazit

Die heute in Deutschland (und in vielen anderen Ländern) betriebene konventionelle Landwirtschaft ist in hohem Ausmaß ineffizient, teuer und schädigt unsere Gesundheit, insbesondere die Gesundheit unserer Kinder.

Der Hauptgrund dafür ist die über Lobbyisten betriebene massive Einflussnahme durch Agro-, Lebensmittel- und Chemiekonzerne. Dadurch werden Gewinninteressen von Großaktionären von unseren Politikern wichtiger genommen als unsere Gesundheit. Dabei wären politische Gegenmaßnahmen denkbar einfach: Eine stufenweise Preiserhöhung der gesundheitsgefährdenden Landwirtschaftsgifte und des Kunstdüngers. Dadurch könnte die biologische Landwirtschaft dramatisch zunehmen, die Herstellung unserer Lebensmittel würde dadurch sehr viel billiger und unsere Gesundheit besser.

                                                                            ***

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD), Gewerkschaftsmitglied bei ver.di. Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de


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