Die Stornierungswelle im deutschen Wohnungsbau hat einen neuen Höchststand erreicht. Im Oktober meldeten 22,2 Prozent der Unternehmen gestrichene Projekte, wie das Münchner Ifo-Institut am Montag zu seiner Unternehmensumfrage mitteilte. Im September waren es noch 21,4 Prozent. „Es wird immer schlimmer, mehr und mehr Projekte scheitern am gestiegenen Zinsniveau und den teuren Baupreisen“, sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. „Das Neugeschäft im Wohnungsbau ist weiterhin sehr schwach, die Auftragsbestände der Firmen schmelzen ab.“
Bereits 48,7 Prozent der Betriebe klagten im abgelaufenen Monat über einen Auftragsmangel, nach 46,6 Prozent im September. Zum Vergleich: Vor einem Jahr, im Oktober 2022, lag der Anteil bei lediglich 18,7 Prozent. „Fast jeder zweite Betrieb im Wohnungsbau leidet mittlerweile unter Auftragsmangel und es werden jeden Monat mehr“, sagte Wohlrabe. Für einige Firmen werde die Situation bedrohlich. Jedes zehnte Unternehmen meldete demnach bereits Finanzierungsschwierigkeiten. „Der Ausblick für den Wohnungsbau bleibt finster, die Unternehmen stimmen sich auf harte Zeiten ein“, sagte Wohlrabe. Das Barometer für die Erwartungen notiere aktuell bei außerordentlich schlechten minus 63,9 Punkten.
Kräftig gestiegene Zinsen, mit denen die Europäische Zentralbank (EZB) die hohe Inflation bekämpfen will, machen insbesondere dem Wohnungsbau zu schaffen. Dadurch werden viele Projekte für Bauherren unrentabel, zumal sich auch die Materialkosten deutlich erhöht haben. Das ist nach Einschätzung vieler Experten ein soziales Problem, da bezahlbarer Wohnraum vor allem in den großen Städten auf Jahre hinaus Mangelware bleiben dürfte. Die kriselnde Baubranche belastet aber auch die deutsche Konjunktur. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Sommerquartal leicht geschrumpft und dürfte nach Prognose vieler Ökonomen im laufenden Schlussvierteljahr erneut zurückgehen, womit Europas größte Volkswirtschaft in eine Rezession abrutschen würde.
Mieterbund fordert Offensive
Der Deutsche Mieterbund sieht die Entwicklung mit Sorge. „Der Einbruch beim Wohnungsbau führt dazu, dass sich die Lage auf dem Mietwohnungsmarkt weiter zuspitzt“, sagte Bundesdirektorin Melanie Weber-Moritz der Nachrichtenagentur Reuters. Bereits jetzt fehlten in Deutschland 700.000 Wohnungen. Zudem sei jeder dritte Mieterhaushalt durch seine Wohnkosten überlastet.
Die Zahl der geförderten Wohnungen sinke kontinuierlich, zeitgleich seien die Angebotsmieten deutschlandweit erneut stark gestiegen - allein um sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Angebotsmieten von 17 Euro pro Quadratmeter und mehr in den nachgefragten Städten könne sich der Großteil der Mieterinnen und Mieter nicht leisten. „Es ist allerhöchste Zeit mit einer Offensive für gemeinwohlorientiertes Wohnen gegenzusteuern“, sagte Weber-Moritz. „Dazu muss der Bestand an Sozialwohnungen und bezahlbaren Mietwohnungen für Haushalte mit durchschnittlichem Einkommen dringend erhöht werden.“ Der Mieterbund fordert deshalb ein Sondervermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro für den Sozialwohnungsbau. Auch müsse die Wohngemeinnützigkeit eingeführt werden, um dauerhaft mietpreisgebundene Wohnungen anbieten zu können.
Die kriselnde Baubranche belastet auch die deutsche Konjunktur. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Sommerquartal leicht geschrumpft und dürfte nach Prognose vieler Ökonomen im laufenden Schlussvierteljahr erneut zurückgehen, womit Europas größte Volkswirtschaft in eine Rezession abrutschen würde. (Reuters)