Im gestrigen Artikel haben wir uns intensiv mit den Chance und Risiken von Chinas Aktienmarkt beschäftigt, der zuletzt massiv abverkauft wurde und entsprechend günstige Einstiegsgelegenheiten bietet. Heute soll es um die konkrete Umsetzung für Privatanleger gehen: Wie investiert man am besten in chinesische Unternehmen?
Wirrwarr von Aktien-Typen
Chinesische Einzelaktien sind gar nicht so einfach zu handeln. Zunächst muss man zwischen verschiedenen Aktien-Typen unterscheiden. Viele Konzerne sind gar nicht direkt in China, sondern nur in Hongkong gelistet („H-Aktien“), obwohl sie ihren Sitz in Festland China haben. Diese in Hongkong-Dollar denominierten Anteilsscheine werden überwiegend von Ausländern gehalten und sind für Chinesen nur schwer zu kaufen. An deutschen Börsen sind viele H-Aktien in Euro handelbar, erkennbar an der mit „CNE“ oder „HK“ beginnenden ISIN-Nummer.
Dem gegenüber stehen die Festlandaktien („A-Aktien“), die ihr IPO direkt an den Börsen Shanghai oder Shenzhen hatten und dort in Yuan gehandelt werden. Das sind die Aktien, die Chinesen kaufen und die umgekehrt im Ausland nur von ausgewählten institutionellen Anlegern (über die Plattform „Hongkong Stock Connect“) erworben werden können. Manche chinesischen Werte gibt es sowohl als A-Aktie als auch via Zweitlisting als H-Aktie.
Darüber hinaus gibt es noch die B-Aktien, die etwas an Bedeutung verloren haben. Hier handelt es sich um sekundäre Festland-Aktien, die nicht in Yuan, sondern nur in Hongkong- oder US-Dollar gehandelt werden. Früher waren diese Anteilsscheine die einzigen Festland-Aktien, die ausländische Profi-Investoren kaufen konnten. Erwähnenswert sind außerdem die R-Chips wie zum Beispiel „China Mobile“ – Gesellschaften mit einer Staatsbeteiligung von mindestens 30 Prozent, die ihren Sitz außerhalb von Festland China (meist in Hongkong) haben und an der Börse Hongkong gelistet sind.
Nicht wenige China-Aktien haben ihr Listing über komplizierte Offshore-Firmenstrukturen in Steueroasen wie den US-amerikanischen Cayman Islands oder den britischen Bermuda-Inseln gemacht, ohne dass dort der offizielle Firmensitz der originalen chinesischen Gesellschaft ist. Teilweise, etwa bei Alibaba oder Baidu, ist ein solcher Börsengang in den USA der erste für die Firma. Es sind Aktien, die von der Struktur nicht vergleichbar mit einer H-Aktie sind (obwohl häufig ein Zweitlisting in Hongkong vorliegt). Es sind ausgegliederte Holding-Gesellschaften, welche den Konzernen als Vehikel dienen, um außerhalb der direkten Kontrolle des Politbüros in den USA und anderen westlichen Märkten überhaupt in hoher Liquidität handelbar zu sein, was bei H-Anteilen mitunter problematisch ist. Nachteil daran ist, dass die Verbindung zur chinesischen Gesellschaft nur über Verträge garantiert ist, die nach chinesischem Recht eigentlich illegal sind. Bislang wurde diese Praxis von den Pekinger Aufsichtsbehörden toleriert, aber das kann sich theoretisch ändern, obwohl China damit selbst die hartgesottenen ausländischen Investoren wohl für immer vom heimischen Kapitalmarkt verprellen würde.
Das Original erkennt man am ISIN-Kürzel „KY“ oder „BM“ und zahlreiche solcher Aktien können an den Börsen Frankfurt und Stuttgart erworben werden. Das Kürzel „US“ bedeutet hingegen, dass es sich nur um ein „ADR“ („American Depository Receipt“) auf diese Briefkasten-Aktie handelt. ADRs sind Zertifikate, die von US-Großbanken emittiert werden, und quasi noch eine extra Hülle um diese Briefkastenfirma darstellen. Solche Zertifikate werden auch auf deutschen Börsen gehandelt.
Abgesehen davon, dass A-Aktien für Kleinanleger – stand jetzt – gar nicht direkt zu kaufen sind, besteht ein weiteres Problem darin, dass deren Handel immer noch von Chinesen und ihrer Zocker-Mentalität dominiert wird. Das Wesen eines typischen chinesischen Anlegers ist von Extremen (Übereuphorie oder totale Panik) geprägt. Die Börse dient eher als Casino-Ersatz und weniger einer seriösen Altersvorsorge. Das sorgt tendenziell für starke Übertreibungen in beide Richtungen, was die meisten Anleger ja gerade nicht haben möchten. Zudem können Firmen, die nur in Festland China gelistet sind, intransparent sein und aufgrund von anderen Rechenlegungs-Standards ein erhöhtes Risiko von bilanziellen Unregelmäßigkeiten aufweisen.
Bei Investments in chinesische Einzelaktien kauft man also am besten nur H-Aktien und R-Chips. Idealerweise nimmt man hier den direkten Weg über die Börse Hongkong, sofern der Broker diese Option anbietet. Der Hongkong-Dollar ist stabil und in einem engen Währungsband an den US-Dollar gekoppelt, sodass kein echtes Währungsrisiko besteht. Der Nachteil einer direkten Investition an der Hongkonger Börse ist die Tatsache, dass Aktien nur mit einer Mindest-Bündelung („Minimum Lot Order Size“, meist 1.000 Stück) kaufbar sind – ein Verkauf ist auch in kleineren Mengen erlaubt, aber die Liquidität kann recht niedrig sein und dadurch zu hohen Spreads führen (Differenz zwischen An- und Verkaufskurs).
Bei den Briefkasten-Aktien und den Zertifikaten darauf besteht dagegen die reale Gefahr eines „Delistings“, wodurch die Papiere wertlos würden. Investoren könnten im Extremfall ihr gesamtes Kapital verlieren, wenn China in einem Handels- und Finanzkrieg mit dem Westen zu einem solch drastischen Schritt greift. Eine Anfrage bei Brokern ergibt zwar meistens, dass die Wertpapiere in diesem Szenario nicht eingefroren, sondern anteilig in H-Anteile umgewandelt werden sollen (Investoren können diesen Prozess auch manuell beim Broker anfragen), sofern die Aktien ein Zweitlisting in Hongkong aufweisen. Garantien gibt es jedoch keine und China könnte die Umwandlung im Ernstfall blockieren.
Breit gestreut in China investieren
Mit Einzelaktien erhöht sich die Chance auf Überrendite, aber auch das Risiko nach unten. Stattdessen kann man natürlich einfach einen China-ETF kaufen und so auch als Kleinanleger Zugang zu A-Aktien erhalten. Über börsengehandelte Fonds ist man dann unkompliziert an Festland- und/oder Hongkong-Aktien beteiligt. Für die meisten Privatanleger dürfte ein solcher passiver Indexfonds die beste Lösung sein, nicht so sehr aufgrund der Diversifizierung, sondern wegen des geringeren Verwaltungsaufwands und der relativ niedrigen Kosten.
Klassische Investment-Fonds mit China-Fokus können je nach Ausrichtung und Kompetenz des Managements interessant sein, aber hier werden Ausgabeaufschlag und deutlich höhere Gebühren fällig und trotzdem zieht es den Fonds im Crash genauso nach unten wie den Index. Eine Analyse von Morningstar hat ergeben, dass die meisten China-Fonds im Bärenmarkt 2023 schlechter als die Benchmark laufen, was unter anderem an deren Fokus auf Wachstumsfirmen liege. Trotzdem seien aktive Manager gut positioniert, um langfristig Überrenditen in dem von westlichen Privatanlegern wenig berührten Markt zu erzielen, insbesondere mit Festland-Aktien. „Wir sind nach wie vor der Meinung, dass es angesichts der Breite und Tiefe des Marktes viele Chancen für Überrenditen in China gibt, die aktive Manager entdecken können“, urteilt die Morningstar-Analystin Clare Liang.
Der größte für deutsche Anleger handelbare Indexfonds ist der „iShares MSCI China A UCITS ETF“ (ISIN: IE00BQT3WG13/ TER: 0,40%). Er bildet über eine Auswahl von Werten, genannt „Optimized Sampling, den Index chinesischer A-Aktien ab, die im MSCI Emerging Markets enthalten sind. Vom selben Anbieter gibt es einen ETF ohne den Zusatz „A“, der entsprechend auch Hongkong-Aktien hält (ISIN: IE00BJ5JPG56/ TER: 0,28%). Dieser Fonds repliziert vollständig die größten und umsatzstärksten börsennotierten chinesischen Unternehmen, hält also jede einzelne Aktie physisch. Der „Xtrackers MSCI China UCITS ETF 1C“ (ISIN: LU0514695690/ TER: 0,65%) macht genau dasselbe, aber zu wesentlich höheren laufenden Kosten. Alle drei genannten China-Fonds sind thesaurierend, das heißt sie reinvestieren anfallende Dividenden.
Während Alibaba und Tencent im reinen A-Aktien-ETF gar nicht enthalten sind, repräsentieren die Tech-Platzhirsche in den breiter definierten Indexfonds mehr als 20 Prozent. Es gibt auch ETFs, die A-Aktien komplett ausschließen, womit man als Anleger vielen Staatsbanken und Immobilienentwicklern aus dem Weg geht, aber beispielsweise auf den Batterigiganten CATL verzichten muss. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl weiterer ETFs für China, welche sich etwa auf das Thema Digitalisierung oder besonders ESG-konforme Firmen spezialisieren. Aber ob man so etwas spezielles im Depot braucht? Schon ein eigener China-ETF stellt eine starke Fokussierung dar. Zudem sind hier die Gebühren meist deutlich höher.
Der unabhängige Portfolio-Manager Moritz Hessel, der privat und mit seiner Firma „MH Total Return“ den namensgebenden „Total-Return-“ beziehungsweise „Long-Short-Ansatz“ (zeitgleiches Setzen auf steigende und fallende Kurse unterschiedlicher Aktien) verfolgt, empfiehlt Kleinanlegern, nicht nur in staatlich kontrollierte chinesische Unternehmen zu investieren. „Ein Fokus auf Technologieunternehmen (z.B. im China Golden Dragon Index) oder Large-Cap-China-ETFs kann eine Option sein“, ergänzt der Anlageexperte gegenüber den DWN.
Um China im Portfolio zu haben, muss man keinen gesonderten ETF kaufen. In Schwellenland-ETFs, die das Reich der Mitte nicht explizit ausschließen, sind chinesische Unternehmen mit einem Anteil von knapp 30 Prozent vertreten. Laut Hessel kann eine derartige Beimischung sinnvoll sein. Je nach persönlicher Risikoneigung und Schwellenland-Gewichtung steckt damit schon genug China im Depot.
Zum optimalen China-Anteil äußerte sich Hessel folgendermaßen. „Für Anleger ist ohne Absicherungen (Hedges) eine Investition von 5 bis 10 Prozent des Portfolios in chinesischen Aktien vertretbar. Die Nutzung eines Long-Short-Ansatzes mit einer Absicherung gegenüber Taiwan kann die Risiken mindern.“
Neubewertungs-Potential
China-Aktien waren zwar in den letzten 10 Jahren eine ziemliche Enttäuschung. Hinzu kommt, dass, wenn die Finanzmärkte kriseln, überproportional Geld aus dem Reich der Mitte und den Emerging Markets abgezogen wird und dann im Regelfall auch der breite Aktienmarkt überdurchschnittlich leidet. Dafür bieten chinesische Werte einen unbestrittenen Diversifikationseffekt, weil sie sich häufig anders als US-Aktien entwickeln. Die Kurse hängen nur wenig mit westlichen Aktien zusammen, wie die relativ geringe Korrelation des MSCI China A Index mit dem MSCI World von 0,39 belegt.
Übrigens: Im MSCI World Index (23 Industrienationen) fehlt China komplett. Nur im breiteren „MSCI All Country World Index“ beziehungsweise dem „FTSE All-World Index“ ist es enthalten, allerdings derzeit nur mit einem Anteil von 3 Prozent. US-Aktien machen dagegen knapp 60 Prozent aus. Das ist nicht ganz unbegründet, schließlich erwirtschaften die hervorragend globalisierten amerikanischen Konzerne absolut gerechnet rund 50 Prozent aller Unternehmensgewinne und der heimische Dollar-Finanzmarkt ist der mit Abstand größte und liquideste auf dem Globus. Man kann schon allein über das China-Geschäft westlicher Firmen am wirtschaftlichen Aufstieg des Reichs der Mitte partizipieren. Luxusanbieter wie Louis Vuitton oder Hermés bieten sogar ein überproportionales China-Exposure.
Die 24 inklusive China im MSCI Emerging Markets Index abgebildeten Schwellenländer machen rund 40 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, aber nur 10 Prozent der Marktkapitalisierung an den Weltaktienmärkten aus. Ganz besonders China ist im Verhältnis zu seiner ökonomischen Bedeutung massiv unterrepräsentiert. Der bekannte „Schwellenland-Abschlag“ von grob 20 Prozent, welcher die höheren politisch-rechtlichen Risiken reflektiert und das Potential zur Outperformance gegenüber dem US-Markt limitiert, kann diese Diskrepanz nicht gänzlich erklären. Die große Zeit des von China angeführten Globalen Südens wurde schon 2008 ausgerufen, an den Kapitalmärkten sieht man davon recht wenig.
Aufgrund der gewaltigen US-Dominanz in der Marktkapitalisierung kann es trotzdem Sinn machen einen gesonderten China- oder Schwellenland-ETF im Portfolio zu haben. Denn die Diskrepanz in der Kapitalgewichtung der „WeltAG“ dürfte sich mittel- bis langfristig verringern. Wir erleben aktuell einen gewissen Paradigmenwechsel und eine Verschiebung der finanziellen Machtverhältnisse. Die Rohstoffmacht BRICS+ formiert sich und die De-Dollarisierung geht relativ langsam, aber stetig voran. Ein mögliches „Rerating“ von China-Aktien bietet gewaltiges Kurspotential.