Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs haben auch Berichte über Anschlagsversuche auf TurkStream zugenommen. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurde im Mai ein russisches Kriegsschiff, das einen Teil der Pipeline bewachte, von drei unbemannten ukrainischen Schnellbooten angegriffen. Im Juni gab es einen weiteren Angriff mit sechs unbemannten Schnellbooten.
Der ukrainische Energieminister German Galushchenko sagte diesen Monat in Washington nach Gesprächen mit Vertretern der US-Regierung und mit Kongressabgeordneten, dass die Ukraine offen für die Möglichkeit ist, die russische Öl- und Gasinfrastruktur anzugreifen, wenn Moskau in diesem Winter seine Angriffe auf das ukrainische Stromnetz verstärkt. „Das wäre nur fair“, sagte er im Interview mit Politico.
Angriffe auf die russische Energieinfrastruktur sind im Verlauf des Ukraine-Kriegs nichts Neues. Der bisher folgenschwerste Vorfall war am 26. September letzten Jahres der Anschlag auf die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2, die über die Ostsee russisches Gas nach Deutschland lieferten beziehungsweise liefern sollten. Die Sprengung besiegelte die auch von der Bundesregierung angestrebte Abkehr von russischer Energie.
Der Westen machte Russland für den Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines verantwortlich. Nach Angaben Moskaus hingegen waren Angehörige der britischen Marine daran beteiligt. Dem renommierten Journalisten Seymour Hersh zufolge hat US-Präsident Joe Biden die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines angeordnet. Und jüngsten deutschen Medienberichten zufolge war es eine kleine ukrainische Operation.
Der russische Präsident Wladimir Putin ließ auf dem Treffen des Valdai International Discussion Club am 5. Oktober offen, wer genau den Nord-Stream-Anschlag durchgeführt hat. Gegenüber Journalisten sagte er jedoch, dass US-Präsident Biden lange zuvor öffentlich erklärt hatte, dass die USA alles in ihrer Macht Stehende tun würden, um sicherzustellen, dass die Ausfuhr russischer Energie über diese Pipelines nach Europa gestoppt wird.
Zudem sagte Putin, dass eine der Leitungen von Nord Stream 2 nicht beschädigt worden sei. Sie könne genutzt werden, um Gas nach Europa zu liefern. Die Entscheidung darüber liege allein bei der Bundesregierung. „Sie entscheiden heute - morgen öffnen wir das Ventil und das Gas ist auf dem Weg. Aber sie werden das nicht tun, zum Schaden ihrer eigenen Interessen, weil, wie wir sagen, ‚ihre Chefs in Washington‘ das nicht zulassen werden.“
Droht ein Anschlag auf TurkStream?
Nach seinen Ausführungen zum „Akt des internationalen Terrorismus“ gegen Nord Stream sagte Putin, dass die Ukraine „allem Anschein nach“ plant, TurkStream zu beschädigen. Die zwei Pipelines auf dem Grund des Schwarzen Meeres würden „ständig“ von unbemannten Fahrzeugen angegriffen. „Wir haben sie über Funk abgehört: Wo immer diese unbemannten Halbtaucherboote vorbereitet werden, hören wir englische Sprache“, so Putin.
Im übrigen liefert Russland nicht nur weiterhin Gas über TurkStream nach Europa, sondern auch über Pipelines durch die Ukraine. Dafür kassiert die Ukraine Geld von Russland, während das Land von den europäischen Staaten immer neue Sanktionen gegen Moskau fordert „Wenn sie das nicht wollen, ist das in Ordnung“, so Putin. „Wir werden unsere LNG-Produktion und unseren LNG-Absatz steigern. Wir werden unser Gas auf andere Märkte bringen.“
Tatsächlich wurde noch nie wurde so viel russisches Flüssiggas in die EU importiert wie dieses Jahr. Und trotz aller Sanktionen nimmt Russland in der Arktis noch dieses Jahr eine riesige LNG-Anlage in Betrieb. Putin spricht auch über neue Pipelines: „Wir werden neue Pipelinesysteme dorthin bauen, wo unser Produkt nachgefragt wird, wo es wettbewerbsfähig bleibt und den Verbraucherländern hilft, wettbewerbsfähiger zu werden.“
Die russischen Berichte über anhaltende ukrainische Angriffe auf TurkStream und auf die Pipeline Blue Stream, die weiter im Osten durch das Schwarze Meer verläuft, sind nach Ansicht des Center for European Policy Analysis in Wirklichkeit eine subtile Drohung: „Dies ist höchstwahrscheinlich eine List, um Europa am Vorabend des Winters zu manipulieren, indem es unterstreicht, dass es die Lieferungen jederzeit unterbrechen kann.“
Türkei will keine NATO-Truppen im Schwarzen Meer
Seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges steht die Türkei unter dem ständigem Druck der NATO, die den Bosporus und die Dardanellen für Kriegsschiffe des Militärbündnissen zu öffnen. Doch am 17. November bekräftigte der Kommandeur der türkischen Marine, Admiral Ercüment Tatlıoğlu, in einer Rede erneut, dass die Türkei NATO-Schiffen auch weiterhin die Durchfahrt durch die beiden Meerengen ins Schwarzen Meer verweigern wird.
„Wie Sie wissen, versucht die NATO, einige Maßnahmen im Schwarzen Meer zu ergreifen“, zitiert Turkish Minute den Admiral. „Wir erklären jedoch, dass wir diese Maßnahmen im Schwarzen Meer selbst ergreifen werden und dass wir weder die NATO noch Amerika im Schwarzen Meer haben wollen. [...] Unser Ziel ist es, dass Montreux respektiert wird.“ Die USA sollten „das Schwarze Meer nicht in einen Nahen Osten verwandeln“.
Dennoch bemüht sich die NATO weiter darum, Zugang zum Schwarzen Meer zu erhalten, wie das Bündnis im Kommuniqué des Gipfels in Vilnius im Juli betonte. Die Denkfabrik Atlantic Council kommentierte damals: „Die NATO muss unter der Führung der USA eine glaubwürdige Abschreckung gegen Moskaus Aktionen im Schwarzen Meer aufrechterhalten. Zumindest muss der Westen weiterhin regionale Verbündete und Partner unterstützen.“
Geschehen soll diese „glaubwürdige Abschreckung gegen Moskaus Aktionen in Schwarzen Meer“ dem Atlantic Council zufolge, indem der Westen „seine Solidarität gegen die russische Aggression demonstriert und die regionale Energiesicherheit durch Diversifizierung der Energiequellen fördert. Dies kann nur durch die heimische Energieproduktion von fossilen Brennstoffen und erneuerbaren Energien erreicht werden.
„Genauer gesagt müssen diese Maßnahmen mit der Entwicklung einer größeren militärischen Einsatzfähigkeit durch eine Kombination aus dem Erwerb moderner Waffen und gemeinsamen Übungen einhergehen. Rumänien hat das Potenzial, diese Bemühungen mit seinem Projekt Neptun Deep weiter voranzutreiben; andere NATO-Staaten müssen diesem Beispiel folgen und ihren Beitrag zu einer glaubwürdigen Abschreckung erhöhen“, so die Denkfabrik.
Trotz allen Drucks hält die Türkei an ihrer Position fest, die Sanktionen des Westens gegen Russland zu umgehen, wovon das Land massiv profitiert. Die Türkei importiert billiges russisches Öl und Gas für den Inlandsverbrauch und erhält hohe Einnahmen aus dem Export nach Europa. Das Land ermöglicht es Russland, seine Energieexporte nach Europa fortzusetzen. Dieses Vorgehen ist ein Affront gegen die USA.
USA wollen LNG statt TurkStream
Wie sehr TurkStream führenden Entscheidungsträgern in den USA ein Dorn im Auge ist, formulierte im September letzten Jahres der frühere Pentagon-Mitarbeiter Michael Rubin, der heute für die Denkfabrik American Enterprise Institute arbeitet. Er schrieb, dass Präsident Biden „den trans-türkischen Energiekorridoren die gleiche Behandlung zuteil werden lassen sollte, die er letztlich Nord Stream 2 zuteil werden ließ, und zwar aus den gleichen Gründen.“
Doch warum will Rubin für TurkStream die „gleiche Behandlung“ wie für Nord Stream? Er schreibt: „Jede neue oder verbesserte TurkStream ist eine ebenso schlechte Idee wie Nord Stream. Sie ermutigt sowohl die Türkei als auch Aserbaidschan, Regime, die sich nicht mit ihren eigenen Grenzen zufrieden geben, und macht die europäischen Demokratien anfällig für die Erpressung durch feindliche Regime.“
TurkStream wurde ins Leben gerufen, nachdem USA und EU im Jahr 2014 die russisch-bulgarische South-Stream-Pipeline mit politischem Druck verhindert hatten. Das Projekt hätte russisches Gas durch das Schwarze Meer nach Bulgarien transportiert, von wo aus es durch Serbien und Ungarn nach Österreich geleitet worden wäre. Doch dann schwenkte Russland auf die Türkei um und eröffnete Anfang 2020 TurkStream.
Darüber hinaus haben die USA Anfang letzten Jahres der EastMed-Pipeline die Unterstützung entzogen, die Erdgas aus Lagerstätten vor Israel und Ägypten über Zypern nach Griechenland und in andere europäische Länder hätte leiten sollen. US-Unterstaatssekretärin Victoria Nuland sagte damals, dass dies zu lange dauern würde. Während einer Reise in die Region forderte sie damals schnellere Lösungen durch verstärkte LNG-Lieferungen.
Tatsächlich bauen Griechenland und die Balkanländer ihre LNG-Importkapazitäten zunehmend aus. So hat Griechenlands größter Gasversorger vor kurzem eine Vereinbarung mit TotalEnergies über LNG-Lieferungen abgeschlossen, falls die Gaslieferungen über TurkStream gedrosselt oder sogar gestoppt werden. Griechenland importierte letztes Jahr LNG im Rekordumfang, was es dem Land ermöglichte, mehr Gas nach Südosteuropa zu exportieren.
Westen bringt Bulgarien gegen TurkStream in Stellung
Neben den anhaltenden Drohnen-Angriffen auf TurkStream steht die Pipeline auch politisch unter Druck. Denn der Westen bringt Bulgarien in Stellung. Im Oktober erhob das Land eine zusätzliche Steuer auf russisches Erdgas, das durch Turkstream geliefert wird. Dieser Schritt verärgerte nicht nur Bürger im eigenen Land, sondern auch Serbien und Ungarn, die einzigen europäischen Länder, die noch freundschaftliche Beziehungen zu Moskau pflegen.
Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto bezeichnete den Schritt Bulgariens als einen weiteren Versuch, die ungarisch-russische Zusammenarbeit im Energiebereich unmöglich zu machen. „Das ist inakzeptabel. Dass ein EU-Mitgliedstaat die Gasversorgung eines anderen EU-Mitgliedstaates gefährdet, verstößt ganz einfach gegen die europäische Solidarität und gegen europäische Regeln“, zitierte ihn BalkanInsight.
Ende Oktober erklärte die EU-Kommission hingegen, dass Bulgarien sehr wohl das Recht habe, die Steuer auf russisches Gas einzuführen. In jedem Fall treibt Sofia den Steuerplan voran, obwohl Gazprom die neue Steuer offenbar nicht bezahlen will, wie Euractiv berichtet. Bulgarien erwartete, dass die Einnahmen aus der neuen Gebühr bis Mitte November gezahlt werden, aber das Land war bisher nicht in der Lage, Geld von einem russischen Unternehmen einzutreiben.
Der bulgarische Finanzminister Asen Vassilev hat dem Bericht zufolge bereits erklärt, dass im Falle einer Zahlungsverweigerung des russischen Gasmonopolisten dessen finanzielle Sicherheiten aus Verträgen in Bulgarien oder Vermögenswerte im Land beschlagnahmt würden. Zudem plant die bulgarisch Regierung auch, den Export von Erdölprodukten zu verbieten, die in der Lukoil-Raffinerie aus russischem Öl hergestellt werden.
Daher hat die Leitung der Raffinerie in der bulgarischen Schwarzmeerregion Burgas damit gedroht, den gesamten Betrieb einzustellen, wenn die Importe aus Russland zu schnell unterbrochen werden, was die Arbeitsplätze Tausender Menschen kosten würde. Während die Energiepolitik die Regierung an den Rand des Zusammenbruchs bringt, verschlechtert sie auch die Beziehungen zu Russland, Serbien und Ungarn weiter.
Orbán warnt vor Zerstörung der Pipeline
Ungarns Premierminister Viktor Orbán sagte im August gegenüber dem US-Journalisten Tucker Carlson, dass Ungarn und Serbien die internationale Gemeinschaft gewarnt hätten, dass sie jede Gefährdung der Gasversorgung aus der Russland als Casus Belli betrachtet würden. Ungarn habe die Sabotage von Nord Stream sofort als terroristischen Akt eingestuft. Das Ausbleiben einer starken Reaktion Deutschlands sei „Manifestation mangelnder Souveränität“.
„Gemeinsam mit dem serbischen Ministerpräsidenten haben wir betont, dass, wenn jemand mit dem südlichen Korridor [TurkStream] dasselbe tun will wie mit dem nördlichen [Nord Stream], wir dies als Kriegsgrund, als Terroranschlag betrachten und sofort reagieren werden“, sagte der ungarische Ministerpräsident und schloss Russland als Urheber des Nord-Stream-Anschlags aus. „Vielleicht kann man das mit den Deutschen machen, aber nicht mit dieser Region.“