Politik

Von israelischen Soldaten getötete Gaza-Geiseln zeigten weiße Flagge

Die Gaza-Geiseln waren mit nacktem Oberkörper und einer weißen Flagge aus einem Gebäude gekommen, bevor sie von israelischen Soldaten erschossen wurden.
16.12.2023 17:16
Aktualisiert: 16.12.2023 17:16
Lesezeit: 3 min
Von israelischen Soldaten getötete Gaza-Geiseln zeigten weiße Flagge
Die Gaza-Geiseln kamen mit nackten Oberkörpern aus einem Gebäude und zeigten eine weiße Flagge. Dennoch wurden sie von israelischen Soldaten erschossen. (Foto: dpa) Foto: Abed Rahim Khatib

Nach der versehentlichen Tötung von drei israelischen Geiseln im Gazastreifen durch israelische Soldaten hat die Armee am Samstag beklemmende Details mitgeteilt. Bei der Tötung der drei Israelis, die am 7. Oktober von der islamistischen Hamas in den Küstenstreifen verschleppt worden waren, seien Einsatzregeln verletzt worden, sagte ein Sprecher der Armee.

Die getöteten Männer seien mehrere Dutzend Meter entfernt von den Truppen mit nacktem Oberkörper und einem Stock mit einem weißen Stück Stoff daran aus einem Gebäude gekommen. Zwei der Männer seien von einem Soldaten sofort getötet worden. Ein dritter Mann habe sich angeschossen noch zurück in das Haus flüchten können. Nachdem er Hebräisch um Hilfe gerufen habe, befahl ein Kommandeur zwar, das Feuer einzustellen. Doch als der Verletzte zurück ins Freie kam, sei auch er von einem anderen Soldaten erschossen worden.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bezeichnete den Vorfall als «unerträgliche Tragödie». Der Druck auf ihn, einer neuen Feuerpause für den Austausch von Geiseln gegen in Israel inhaftierte Palästinenser zuzustimmen, dürfte steigen. Nach israelischen Schätzungen werden derzeit noch 112 aus Israel verschleppte Menschen im Gazastreifen festgehalten. Weiterhin gebe die Hamas die Leichen von 20 am 7. Oktober Entführten nicht heraus, teilte das Büro Netanjahus mit.

Am Freitagabend demonstrierten Hunderte Menschen spontan in Tel Aviv wegen der Tötung der Geiseln. Auf Bildern im israelischen Fernsehen war zu sehen, wie sich eine große Menschenmenge im Zentrum der Küstenmetropole versammelte und eine Hauptstraße blockierte. Sie forderten von der Regierung, sich für die sofortige Freilassung der Geiseln aus dem Gazastreifen einzusetzen. Mit Plakaten, Spruchbändern und Postern mit den Namen und Bildern vieler anderer Geiseln marschierten die Demonstranten in Richtung des Hauptquartiers der israelischen Armee. Wie die Nachrichtenseite ynet berichtete, schütteten sie rote Farbe auf die Straße. «Ihre Zeit wird knapp! Bringt sie jetzt nach Hause», riefen die Menschen. Für Samstagabend war eine weitere Demonstration angekündigt.

Unterdessen gab es Berichte, dass das Golfemirat Katar erneut zwischen Israel und der islamistischen Hamas vermittelt. Dabei gehe es um Bemühungen zu weiteren Freilassungen von Geiseln, wie das The Wall Street Journal und das Nachrichtenportal Axios berichteten. Demnach soll der Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, David Barnea, in Oslo mit dem katarischen Ministerpräsidenten Mohammed bin Abdulrahman Al Thani zusammengekommen sein, um Gespräche über mögliche Überstellungen von Geiseln und Gefangenen zu führen. Dabei sei es auch um eine erneute Feuerpause gegangen.

Eine offizielle Bestätigung des Treffens gibt es bisher nicht. Gespräche über eine neue Feuerpause im Gaza-Krieg werden nach katarischen Angaben aber fortgesetzt. Das Golfemirat bekräftige seine laufenden diplomatischen Bemühungen zur Erneuerung der humanitären Pause, hieß es in einer Erklärung des Außenministeriums am Samstag. Katar unterhält gute Beziehungen zur Hamas.

Ende November hatten Israel und die Hamas unter Vermittlung Katars, Ägyptens und der USA erstmals eine Feuerpause vereinbart, die zwei Mal kurz verlängert wurde. In der Zeit ließ die Hamas 105 Geiseln frei, darunter 14 deutsche Staatsbürger, und Israel im Gegenzug 240 palästinensische Häftlinge.

Der israelische Militärsprecher betonte, dass das Vorgehen der an der Tötung der Geiseln beteiligten Soldaten nicht korrekt war. «Ich möchte sehr deutlich sagen, dass dieses Vorgehen gegen unsere Einsatzregeln war», sagte er. Gleichwohl machte der Militärvertreter deutlich, dass es sich bei dem Gebiet um eine aktive Kampfzone handelte. Truppen seien dort bereits in Hinterhalte gelockt worden. Zudem seien Angreifer oft in «Jeans und Sneakers» unterwegs.

Untersucht werde derzeit auch, ob es einen Zusammenhang mit einem Haus in der Nähe gebe, auf dem die Buchstaben SOS angebracht waren. Die Truppen im Gazastreifen seien an die Einsatzregeln erinnert worden, um solche tragischen Vorfälle zu vermeiden, hieß es. Unklar sei weiter, ob die Männer ihren Entführern entkommen konnten oder bewusst zurückgelassen wurden. «Dies ist für uns alle ein trauriger und schmerzhafter Vorfall und die Armee trägt die Verantwortung für alles, was passiert ist», hatte der Sprecher des israelischen Militärs, Daniel Hagari am Freitag gesagt.

Auslöser des Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Mehr als 1200 Menschen wurden dabei getötet und rund 240 Geiseln in den Küstenstreifen verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und begann Ende Oktober mit einer Bodenoffensive. Nach jüngsten Angaben der Hamas wurden bisher rund 18 700 Menschen bei Angriffen im Gazastreifen getötet. Mehr als 50 000 Menschen wurden verletzt. (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bundesbank: Deutsche Exportwirtschaft verliert deutlich an globaler Stärke
14.07.2025

Die deutsche Exportwirtschaft steht laut einer aktuellen Analyse der Bundesbank zunehmend unter Druck. Branchen wie Maschinenbau, Chemie...

DWN
Immobilien
Immobilien Gebäudeenergiegesetz: Milliardenprojekt für 1,4 Billionen Euro – hohe Belastung, unklare Wirkung, politisches Chaos
14.07.2025

Die kommende Gebäudesanierung in Deutschland kostet laut Studie rund 1,4 Billionen Euro. Ziel ist eine Reduktion der CO₂-Emissionen im...

DWN
Politik
Politik EU plant 18. Sanktionspaket gegen Russland: Ölpreisobergrenze im Visier
14.07.2025

Die EU verschärft den Druck auf Moskau – mit einer neuen Preisgrenze für russisches Öl. Doch wirkt die Maßnahme überhaupt? Und was...

DWN
Technologie
Technologie Datenschutzstreit um DeepSeek: Deutschland will China-KI aus App-Stores verbannen
14.07.2025

Die chinesische KI-App DeepSeek steht in Deutschland unter Druck. Wegen schwerwiegender Datenschutzbedenken fordert die...

DWN
Finanzen
Finanzen S&P 500 unter Druck – Sommerkrise nicht ausgeschlossen
14.07.2025

Donald Trump droht mit neuen Zöllen, Analysten warnen vor einer Sommerkrise – und die Prognosen für den S&P 500 könnten nicht...

DWN
Politik
Politik Wenn der Staat lahmt: Warum die Demokratie leidet
14.07.2025

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnt eindringlich vor den Folgen staatlicher Handlungsunfähigkeit. Ob kaputte Brücken,...

DWN
Politik
Politik Fluchtgrund Gewalt: Neue Angriffe in Syrien verstärken Ruf nach Schutz
14.07.2025

Trotz Versprechen auf nationale Einheit eskaliert in Syrien erneut die Gewalt. Im Süden des Landes kommt es zu schweren Zusammenstößen...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersarmut nach 45 Beitragsjahren: Jeder Vierte bekommt weniger als 1300 Euro Rente
14.07.2025

Auch wer sein Leben lang gearbeitet hat, kann oft nicht von seiner Rente leben. Dabei gibt es enorme regionale Unterschiede und ein starkes...