Politik

Wohnungsmangel: Bundesregierung setzt voll auf neuen Bau-Turbo

Lesezeit: 4 min
21.12.2023 13:58  Aktualisiert: 21.12.2023 13:58
Die Ampel hat sich erneut in das Dickicht des Baugesetzbuches begeben, die  unzähligen Vorschriften durchforstet und für 2024 eine weitreichende Reform angekündigt. „Die Koalition hat sich einiges vorgenommen“, versprach Elisabeth Kaiser (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Bauministerium, auf einer Fachtagung des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen (DV). Ein „Bau-Turbo“ soll (in Tradition von Doppel-Wumms und Bazooka des Bundeskanzlers) für Tempo im Wohnungsbau sorgen. Eine Revolution erwarten die einen, andere eher ein laues Lüftchen. 
Wohnungsmangel: Bundesregierung setzt voll auf neuen Bau-Turbo
Bauministerin Klara Geywitz (SPD) im Hamburger Pergolenviertel. Hier sind Kleingärten der Neubebauung gewichen. Die Ämter sollen so etwas schneller genehmigen. (Foto. dpa)

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Die Bundesregierung glaubt, sie habe endlich ein bundesweites „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ auf den Weg gebracht. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) hat den Begriff „Bau-Turbo-Pakt für Deutschland“ medienwirksam in der Öffentlichkeit eingeführt. Seither geht es hinter den Kulissen um technische Details und auch juristische Kniffe. Die Stellungnahmen der Verbände Ende November fielen alles andere als begeistert aus. Viele halten das Bauen in Deutschland sogar ganz grundsätzlich in Gefahr. Denn wer schont wohnt, welch beruhigendes Gefühl, braucht häufig keine neue Bleibe.

Historische Veränderung bei Baugenehmigungen?

Die alles entscheidende Frage ist: Wie halten es die Bundesländer? Werden sie Änderungen des Baugesetzbuches im Bundesrat stoppen? Wird der Wunsch nach beschleunigten Verfahren auf Landesebene hintertrieben, oder werden tatsächlich alle 16 Landesgesetze vereinheitlicht? Sind die Behörden in den Städte im Alltag zu mehr Tempo und Flexibilität bereit? Fest steht, die Hoffnung Elisabeth Kaisers aus dem Thüringer Städtchen Gera, die Novelle könnte schon Anfang 2024 Kraft enthalten, ist schon einmal perdu.

In Berlin hatte die Staatssekretärin Ende November noch voller Zuversicht vor Stadtplanern und Baupolitikern geworben, welch „mutige Schritte“ die Ampel der Baubehörden verordnen möchte, um die Genehmigungsprozesse in den Stadtplanungsämtern deutlich zu entschlacken und verkürzen. Vor allem den Paragraphen 246e pries Kaiser als eine Art Wunderwaffe an, um dem Amtsschimmel Beine zu machen. Versuchsweise erst einmal bis Ende 2026.

Ein Wohnhaus mitten auf dem Teufelsberg?

Der Berliner Rechtsanwalt und Verwaltungsrecht-Experte Mathias Hellriegel äußerte in einem Gastbeitrag für das Maklerbüro Engel & Völkers Commercial diese Woche die große Hoffnung, mit Einführung des Paragraph 246e werde sich im Jahr „2024 die Landschaft für Immobilieneigentümer und Bauherren in Deutschland auf historische Weise verändern“.

Statt Monate oder gar jahrelang auf eine Baugenehmigung warten zu müssen, soll testweise bis Ende 2026 bei Zustimmung der Gemeinde für ein Bauvorhaben auf ein langwieriges Bebauungsplanverfahren verzichtet werden. „Sollte dieses Gesetz tatsächlich verabschiedet werden, könnte sich die behördliche Genehmigungspraxis enorm wandeln“, ergänzt Hellriegel und glaubt, dass bisher undenkbare Projekte Chancen bekommen könnten.

Im Gewerbebereich erlaube der Bau-Turbo selbst die Umwandlung von Gewerbeflächen in Wohnraum. Ganz neue Aussichten in dicht besiedelten Gebieten. Hellriegel wörtlich: „Theoretisch könnte sogar auf dem Berliner Teufelsberg ein Wohnhaus errichtet werden, sofern die Gemeinde zustimmt.“ Entsprechend sehen die ersten Naturschützer und Umweltaktivisten natürlich die weitere Zersiedlung Deutschlands am Horizont aufziehen.

Wundertüte „Genehmigungsfiktion“

Die Koalition versucht mit ihrem Bau-Turbo „zusätzliche Investitionen in den Bau von bezahlbarem und klimagerechtem Wohnraum und zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Bau- und Immobilienwirtschaft“ beizutragen. Er umfasst konkrete Erleichterungen für Bauherren zum Beispiel beim Ausbau von Dachgeschossen und Aufstockungen für Wohnzwecke. Sie sollen in Zukunft genehmigungsfrei möglich sein, um geplante Umnutzungen insbesondere den größeren Städten zu forcieren. Der Hauptaugenmerk soll dabei auf „Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt“ gerichtet werden.

Was ist außerdem geplant? Bei Umbauten und Aufstockungen bestehender Gebäude soll die Kfz-Stellplatz-Pflicht entfallen. Das könnte Baukosten reduzieren helfen in den Innenstädten, wo es ohne teure Tiefgaragen-Plätze zumeist gar nicht mehr geht. Die große Wundertüte der Baunovelle freilich scheint die sogenannte „Genehmigungsfiktion von drei Monaten“ zu werden. Dies würde künftig bei Bauanträgen bedeuten, wenn die Ämter nicht binnen drei Monaten dem Antrag eines Bauherren widersprechen, gelte der Bescheid faktisch als erteilt, und das sogar bundesweit einheitlich.

Paragraph 246e erst mal nur im Kabinett abgestimmt

Das Wörtchen „Wenn“ freilich könnte zum Haken der ganzen Angelegenheit werden, weshalb nicht wenige Kritiker vom frischen Koalitionsschwung nur heiße Luft erwarten. Letztlich soll bei den meisten Punkten praktisch die gesetzgeberische Zuständigkeit bei den 16 Bundesländern verbleiben. Die Novellierung des Paragraph 246e indessen wäre ein fundamentaler Eingriff auf Bundesebene. Derlei Gesetzesänderungen seien bislang nur „im Kabinett abgestimmt“, bestätigte Larissa Schulz-Trieglaff, Sprecherin im Bundes-Bauministerium gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten.

Immerhin ist der Gesetzesgebungs-Prozess angelaufen. Stellungnahmen der Verbände wurden abgefragt. Wann Bundestag und Bundesrat zustimmen, steht in den Sternen. Einige der erwünschten Erleichterungen und Vereinfachungen sollen in den 16 Ländern als Landesgesetze adaptiert werden, dies ist mit dem Pakt gemeint, den Geywitz vom Turm gerufen hat.

Die Hoffnung im Ministerium besteht nun darin, dass alle das gleiche „Interesse verfolgen, endlich den Reformstau aufzulösen“, so Schulz-Trieglaff. Den Gemeinden soll freilich nur ermöglicht werden, auf einen B-Plan zu verzichten, wenn sie es „für angemessen halten“, verweist der Jurist Hellriegel auf mögliche Fallstricke in der Wortwahl. Hellriegel hofft auf mehr „Dynamik und weniger Bürokratie“. Die Praxis wird dies erweisen müssen.

„Einfaches Bauen“ - einfach durchwinken

Genauso, ob die angestrebte „Leitlinie und Prozessempfehlung für den Gebäudetyp E“ wirkt. Sie soll (nach einer ursprünglichen Initiative der bayerischen Architektenkammer) das „Einfache Bauen“ erleichtern und für alle Baubehörden im Land Verbindlichkeit entfalten. Rechtsanwalt Hellriegel erhofft sich hier „die Vereinfachung der Vertragsgestaltung und Baupraxis“.

Messbare Fortschritte gibt es immerhin beim seriellen Bauen. Hier hat sich der Bund mittels Rahmenvereinbarung im November mit der Bauwirtschaft auf mittlerweile 25 Konzepte geeinigt, auf die Mitgliedsunternehmen ohne gesonderte Genehmigungen in Zukunft praktisch zurückgreifen können. Ein gesondertes Gesetz war nicht notwendig, hier regiert das Portemonnaie.

Wirtschaft hofft auf serielles Bauen

Für den Spitzenverband der Wohnungswirtschaft (GdW) bedeutet die Einigung „ein starkes Preissignal in den Markt, da die Baukosten bei rund der Hälfte der Angebote unter dem Mittelwert von 3000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche liegen“. Der GdW hofft auf Kostenerleichterungen bei den Baupreisen für Mehrfamilienhäuser, insbesondere durch Mengenrabatt bei Ausschreibungen und eine damit einhergehende Preisstabilität.

Verblüffend sind dabei die technisch neuen Möglichkeiten: Sowohl Holzbau als auch Stahlbeton oder die Hybrid-Bauweise werden in den genehmigten Fertigungsmethoden für serielles, moduläres und systematisches Bauen berücksichtigt, weshalb so mancher den (gleichfalls im Turbo-Paket enthaltenen) Gebäudetyp E bereits mit experimentellem Bauen zu verwechseln droht. Weil beim seriellen Bauen die Typengenehmigungen künftig bundesweit Gültigkeit genießen, dürften Baustellenzeiten kürzer und Produktivität höher ausfallen, geben sich viele Bauunternehmer zuversichtlich.

Nabu sieht Verstoß gegen das Grundgesetz

Wie geht es also weiter mit dem Bau-Turbo? Ende November sind reichlich kritische Stellungnahmen im Bundes-Bauministerium eingegangen. Bund, Architektenkammer, Anwaltszunft, DGB, Mieterbund - fast alle sind am Mosern. Der Naturschutzbund (Nabu) spricht von einem „beispiellosem Vorgang, der sogar Fragen nach der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz aufwirft“. Paragraph 246e bedeute in der Praxis „eine Generalklausel, um sämtliche Regeln in angespannten Wohnungsmärkten auszusetzen“.

Namhafte Hochschullehrer aus ganz Deutschland haben ihrerseits eine Petition vorgelegt und warnen vor einem Handstreich: „Der Bau-Turbo-Pakt unterminiert die Planungskultur in Deutschland.“

Professoren befürchten „soziale Folgeprobleme“

Es würden einfach nur „die Notstandsregelungen für Flüchtlingsunterkünfte auf den regulären Wohnungsbau übertragen“, heißt es in der umfassenden Stellungnahme der Professoren. Sie befürchten „gravierende städtebauliche, vernehmliche und soziale Folgeprobleme“, bestreiten energisch, dass das Planungsinstrumentarium für den angespannten Wohnungsmarkt gesorgt habe.

Sie glauben vielmehr, Bauträger könnten stattdessen den Paragraph 246e „für die spekulative Wertsteigerung geringwertiger Grundstücke nutzen, ohne wirklich Bauabsichten zu hegen“. Vielleicht geht es bei den Plänen der Bundesregierung also doch um eine kleine Revolution, so möchte man meinen.

Zum Autor:

Peter Schubert ist stellvertretender Chefredakteur. Seit dem 1. November schreibt er bei den DWN über Immobilien, Politik und Wirtschaft.


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