„Durch Neuwahlen würde nach meiner persönlichen Einschätzung vor allem viel Zeit ins Land gehen durch eine Hängepartie, Wahlkampf und wachsende Unsicherheiten", sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, in einem Interview: „Es braucht nicht noch mehr Unruhe durch Neuwahlen, sondern eine Regierung, die sich der Realität stellt", warnte auch der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura.
In den vergangenen Tagen haben CDU-Fraktionschef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt eine vorgezogene Neuwahl am 9. Juni 2024 parallel zur Europawahl ins Spiel gebracht. „Mit Wahlen werden unsere aktuellen Herausforderungen - geopolitische Konflikte, hohe Staatsschulden, geringe Investitionstätigkeit, gravierende Mängel in der Infrastruktur, sinkende Wettbewerbsfähigkeit, Digitalisierungsdefizite – nicht gelöst", sagte Außenhandelspräsident Jandura. Die DIHK sehe Regierung und Opposition sowie Bundesländer und Bund gleichermaßen gefordert, Lösungen für die aktuellen Probleme anzugehen. „Wir brauchen jetzt vor allem Entscheidungen für bessere Wachstumschancen", betonte ihr Präsident Adrian.
In den nächsten Wochen werde sich zeigen, ob die derzeitige Koalition auf Bundesebene noch über genügend gemeinsamen Gestaltungswillen verfüge, hieß es beim Verband der Familienunternehmer. „Eigentlich hat Deutschland mit Blick auf die diversen großen Aufgaben keine zwei Jahre mehr zu verschenken, in denen Stillstand nur verwaltet wird", sagte deren Präsidentin Marie-Christine Ostermann. Allerdings habe das Grundgesetz aus guten Gründen hohe Hürden für ein vorzeitiges Ende der Wahlperiode gesetzt. „Da sehe ich derzeit nicht, wie Neuwahlen möglich werden könnten", sagte Ostermann.
PROBLEME ANPACKEN
Auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) äußerte sich zurückhaltend zu einer möglichen Neuwahl. „Das ist eine Frage, die politisch entschieden werden muss", hieß es dazu. Zentral sei, dass Probleme anpackt werden - etwa Fachkräftesicherung, Bürokratieabbau, bezahlbare und verlässliche Energie oder eine geringere Steuer- und Sozialabgabenbelastung.
Zuletzt hatte auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder eine Neuwahl im Juni 2024 zusammen mit der Europawahl gefordert. "Die Frage ist, ob die Ampel überhaupt noch die Kraft hat, die jetzigen Probleme zu bewältigen", sagte der CSU-Chef. „Ich glaube es nicht mehr.“ Regulär steht erst im Herbst 2025 eine neue Bundestagswahl an. Die Union liegt in den Umfragen derzeit klar vorn.
Gleichzeitig aber hält die Mehrheit der Deutschen vorgezogene Neuwahlen für unausweichlich. In einer aktuellen Umfrage des Instituts YouGov gaben 27 Prozent der Befragten an, dass die Regierung im kommenden Jahr auseinanderbrechen werde und es dann zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, 21 Prozent der Deutsche glauben, dass die Ampel 2025 vorzeitig auseinanderbrechen werde. Demnach gehen, laut Umfrage, 48 Prozent der Deutschen von einem vorzeitigen Ende der Ampelkoalition aus, nur 34 Prozent der Befragten glauben, dass die Ampel-Regierung bis zum regulären Ende der Legislaturperiode bestehen bleibt.
Ampel ohne Mehrheit
Bei den Wählern der drei Ampel-Parteien fallen die Prognosen zur Zukunft des Bündnisses unterschiedlich aus. Von den Grünen-Anhängern glaubt eine große Mehrheit von 58 Prozent an ein Fortbestehen des Bündnisses bis zur Wahl 2025. Unter den SPD-Anhängern sind es dagegen 43 Prozent und im FDP-Lager nur 40 Prozent.
Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA kämen derzeit bei einer Bundestagswahl CDU und CSU auf 32 Prozent, die SPD auf 15, die Grünen auf zwölf. Die FDP liegt bei fünf Prozent und müsste um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Die Linke kommt der Umfrage zufolge auf vier Prozent, die Freien Wähler auf drei Prozent. Die AfD kommt der INSA-Umfrage zufolge auf 22 Prozent. Nach dieser Umfrage, die sich grundsätzlich mit den Ergebnissen andere Umfragen deckt, wären die Parteien der Ampelregierung von einer Mehrheit weit entfernt. SPD, Grüne und FDP würden auf insgesamt nur noch 32 Prozent der Stimmen kommen, soviel wie die Union allein.