Im so genannten CityLab werden Mobilitäts-Konzepte entwickelt, über den Einsatz künstlicher Intelligenz gefachsimpelt, die digitale Gesundheitsversorgung neu gedacht. Greifbar wird dies andernorts: Im Futurium des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung. Dort werden täglich gut 1000 Besucher mit museumspädagogischen Mitteln auf eine Reise in die Zukunft geschickt – ein wohl gehütetes Geheimnis, besser noch Geheimtipp.
Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben sich beide Flaggschiffe neuen deutschen Einfallsreichtums angesehen und etwas von der Aufbruchsstimmung einer neuen Generation gespürt, die an den Schaltstellen von Wissenschaft und Wirtschaft für frischen Wind sorgt.
Wobei es an beiden Schaustellen dezidiert nicht um Science-Fiction oder futuristische Visionen geht, sondern um die Veranschaulichung von Entscheidungsprozessen, von Wegmarken, an denen unsere Gesellschaft steht. „Jeder muss für sich persönlich entscheiden, wie er seine Zukunft gestalten möchte“, sagt Dr. Gabriele Zipf, die für die wechselnden Ausstellungen in ihren modularen Schauboxen zuständige Kuratorin des Futuriums. „Wir unterbreiten spielerische Angebote, auf dem Weg hin in eine digitale Gesellschaft.“ Vor allem die täglich in der Lobby eintrudelnden Schulklassen könnten ein Indikator sein, wie gut dies gelingt. Der Eintritt ist kostenlos, die Hemmschwelle sehr niedrig.
Beeindruckend ist die Dschungelwand, an der Besucher Wolkenkratzer präsentiert bekommen, nicht eben nicht aus Glas und Stahl erbaut sind wie in Tokio, Shanghai oder London, sondern eher aussehen wie aus Singapur, wo es in den Hochhäusern auf allen Etagen grünt und sprießt, um die Temperaturen ein, zwei Grad Celsius zu drücken. In der dritten Welt wuchern Bambus-Strukturen statt Stahlskelette, wachsen die Innenstädte als Mischung vertikaler Gärten und offener Marktplätze etagenweise in die Höhe, können freilich jederzeit auch wieder demontiert und andernorts eingesetzt werden. So wie die DNA-artige Neo-Struktur im Ausstellungs-Mittelpunkt aus 2000 Holzelementen und 11,500 Metallteilen und per Augmented-Reality-Brille zusammengesetzt.
Ursprünglich hatte sich Annette Schavan (CDU), Angela Merkels ehemalige Wissenschaftsministerin, überlegt, das in ihrer Amtszeit konzipierte Gebäude an der Spree in einem Showroom für deutsche Innovationen zu verwandeln. Davon gibt es inzwischen leider nicht mehr sehr viele. Als wurde „neu geplant und anders gedacht“, sagt Monique Luckas, die Kommunikationsdirektorin des Futuriums. Zwei Millionen Besucher haben das Futurium seit 2019 besucht, sich über bewohnbare Druckkabinen wie auf dem Mars und anhand einer Kugelbahn über Kreislautwirtschaft informiert. Smart City heißt allerorten das neue Zauberwort der gesellschaftlichen Transformation. In Europa, aber eben auch in Afrika, Asien und Arabien.
In Deutschland begegnen sie einem inzwischen gar auf Plakatwänden, in Stuttgart, Leipzig oder Wolfsburg natürlich, wo Verbrenner-Motoren zügig dem Elektroantrieb weichen müssen. Die Fördergelder für derlei Kampagnen sitzen locker. Die Frage ist nur, lassen sich die kraftvollen Pferdestärken wirklich zeitnah auf neue Verkehrswege übertragen?
Schnittstelle der Kreativen
Berlin setzt dabei im CityLAB auf ein hochmotiviertes junges Team von IT-Experten, die sofort zu prototypisieren anfangen, wie es hier heißt, wenn ihnen eine Anwendung erprobenswert scheint. „Wichtig ist, dass unsere Apps schnell online gehen, um sie einem Praxistest zu unterziehen“, sagt Dr. Benjamin Seibel, Direktor des Laboratoriums im ehemaligen Offiziershotel der US-Armee am Flughafen Tempelhof. Für die Senatskanzlei, die das von der Berliner Technologiestiftung betriebene Stadtlabor finanziert, agiert das CityLAB als „Experimentierfeld und Schnittstelle in die kreative Stadtgesellschaft“.
Seibel gibt sich überzeugt, dass die öffentliche Verwaltung durch die digitale Transformation revolutioniert werden kann – und das nicht nur für Berlin. „Schon 2024 können sich die Bürger mit ihrem digitalen Ausweis online an- oder ummelden und müssen nicht mehr auf die raren Termin-Slots warten.“ Zukünftig könnten auch KI-Anwendungen genutzt werden, um die Verwaltung weiter zu entlasten und die Kapazitäten der Mitarbeiter für die wichtigen Fragen in Bürgerämtern einsetzen.
„Wir entwickeln ausschließlich Open-Source-Anwendungen“, sagt Seibel. Es geht darum, dass die Behörden anderer Städte „die einmal entwickelten Werkzeuge unkompliziert adaptieren und weiterentwickeln“ können. Berlin will so möglichst schnell zu New York, Bologna, Kiew und Barcelona aufschließen, in denen ähnliche Open Source-Teams längst etabliert sind.
Die deutsche Hauptstadt hat Zeit verloren. Die Eröffnung des CityLabs war ja schon im Jahr 2019. „Wir wollen hier an diesem Ort zeigen, was Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung in Berlin können. Wir wollen aber insbesondere im Gespräch mit den Berlinern auch miteinander herausfinden, was wir in Zukunft zu bewältigen haben und wie wir diese Aufgaben vielleicht auch besser bewältigen können“, hatte der damalige Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) gesagt.
Dann kamen die Franziska-Giffey-Jahre von Rot-Rot-Grün, als Zukunft vor allem Pop-up-Radwege bedeutete, viele neue Stellen für die treuen Unterstützer, als kräftig konsumiert wurde, statt gezielt zu investieren.
Seibel findet, die Stadt habe politisch „aus den Pop-up-Radwegen viel gelernt“. „Ist es nicht beeindruckend, wie in der Stadt einfach etwas ausprobiert wurde, wo sonst lange diskutiert wird“, fragt Seibel. „Dafür braucht es manchmal nur den Willen und ein paar Eimer Farbe. „Einfach mal machen, und wenn es schiefgeht, daraus lernen und nochmal probieren“, lautet Seibels Credo.
Kann er seinen neuen obersten Dienstherrn da mitreißen? Jetzt, wo Kai Wegner (CDU) am Start ist, der auch ganz begeistert von KI schwärmt, und fantastischen Dingen, die da so kommen mögen. Eine pointierte Vision zu formulieren, etwa bei der Smart Country Convention, die Anfang November im Berliner Messegelände stattgefunden hat, fiel dem Novizen sichtlich schwer. Wegner will delegieren, hofft auf sein neues Team im Roten Rathaus. Vorerst ist es in der Einarbeitungsphase.
CityLab und Zukunftsstiftung können deshalb noch mal tief Luft holen, bevor es hoffentlich an die Implementierung des Neuen und Besseren gehen muss. Gewerkelt und programmiert wird ja nicht nur experimentell, sondern insbesondere für wirtschaftlichen Profit. An den Info-Tresen auf der Smart-Country-Messe ging es da eklektisch zu. Berater, IT-Dienstleister buhlten um Aufträge. Die Bundesministerien betrieben erheblichen Aufwand, sich positiv darzustellen, zum Beispiel im zwei-geschossigen Sattelschlepper als begehbarer Galerie-Lounge.
Luftblasen platzen
Und sieh einer an: ein mobiles Rathaus, an dem man seinen Pin für den E-Personalausweis freigeben konnte, gab es auch. Vier Koffer ausgepackt, die Flexibilität und Bürgernähe vorgaukelten. An einem großen Kooperationsstand der Berliner Wasserbetriebe und einigen smarten Start-ups sorgte ein (als Schaukasten gestalteter) digitaler Zwilling der Berliner Innenstadt für Neugier. Ein Planungsinstrument für die Immobilienwirtschaft, konzipiert von der Form follows you GmbH für WBM, Howoge und andere landeseigene Wohnungsgesellschaften. Es soll die Bauplanung und Stadtentwicklung in die Zukunft überführen.
Doch die aufgeräumte Begeisterung aller Schausteller und Akteure stand im auffälligen Kontrast zum tatsächlich Erreichten. Vor allem Stadt-Dezernentin Eileen O`Sullivan, seit 2021 in Frankfurt/Main für Digitalisierung verantwortlich, brachte es auf einem Podium reihenweise die Luftblasen zum Platzen, als sie zugab: „Vieles macht sich gut in einem Presseartikel, findet nur nicht Entsprechung in den Ämtern.“
O`Sullivan benannte es kritisch als „Greenwashing der Digitalisierung“. Wie könne es angehen, dass nicht nur digital von Grund auf neu aufgebaute Estland, sondern inzwischen selbst Dänemark Deutschland in beinahe allen Bereichen es Verwaltungsumbaus den Rang abläuft?
Im Moment befinden sich die deutschen Rathäuser wohl noch in der Quel-Surpise-Phase im Kellergeschoss, wo es anscheinend viele verstaubte Aktenberge abzutragen gilt, mit Informationen über Bürger und Stadt, die mühsam digitalisiert wahren „Goldstaub“ bedeuten.
Deshalb setzt auch Benjamin Seibel im CityLAB voll auf den „Trend zum digitalen Zwilling, um Planungsprozesse in den Baubehörden zu beschleunigen“. Das Zusammenführen der oft über verschiedene Behörden verteilten Planungsdaten können an vielen Stellen aufwendige Abstimmungen ersetzen. Doch bis alles einmal per Knopfdruck in einer einzigen digitalen Bürgerakte versammelt, kann noch dauern.
Dass im CityLab in Berlin eine App entwickelt wurde, um als Baumpate städtisch die Bewässerung der 840,000 Straßenbäume zu kontrollieren und protokollieren klingt zwar schön, gibt es aber auch schon in Essen, Karlsruhe, Leipzig. Ist es in allen Städten wirklich dieselbe App – oder überall nur ähnlich?
Es gibt viele Ideen, großen Enthusiasmus, aber die Leitungsebene setzt dies nicht im Behördenalltag ein oder effektives Verwaltungshandeln um. Das gleiche mit Wasser-Sensoren an neuralgischen Punkten in Berlin, um vor Trockenheit während der sommerlichen Hitzewellen zu warnen. In Kirchheim bei München gibt es die auch, nur weniger halt.
Benjamin Seibel berichtet von einer gelungenen Kooperation mit dem Berliner Ausbildungs-Bürgeramt und schwärmt von der „Motivation und Kreativität einer neuen Generation von Verwaltungsmitarbeitern“, die sich im CityLAB für das Machbare begeistern, ohne gleich am Alltag zu verzweifeln. „Sie stehen neuen Technologien wie Künstlicher Intelligenz sehr offen gegenüber, hinterfragen bestehende Strukturen und suchen pragmatische Lösungen.“, lobt Seibel. Der Wettbewerb der Smart Cities ist auch in Deutschland endlich eröffnet und kann besichtigt werden.