Politik

Nachwahl in Berlin: Zwischen Desinteresse und schlimmsten Befürchtungen

Am Sonntag wird in der Hauptstadt neu gewählt und in Teilen die Zusammensetzung des Deutschen Bundestags neu bestimmt. Während die Wahlbürger in der Hauptstadt eher verwundert sind, befürchtet das politische Berlin eine Denkzettelwahl. Prominente Parteienvertreter könnten eine Quittung erhalten.
08.02.2024 10:43
Aktualisiert: 08.02.2024 10:43
Lesezeit: 3 min
Nachwahl in Berlin: Zwischen Desinteresse und  schlimmsten Befürchtungen
Wahlwiederholung: Carsten Linnemann und Ottilie Klein, die Generalsekretäre von Bundes- und Berliner CDU am Konrad-Adenauer-Haus. Beide hoffen auf Rückenwind. (Foto. dpa) Foto: Michael Kappeler

Stefan Schneider reagiert genervt auf die Parteienvertreter mit Klapptisch und Sonnenschirm auf dem Dorfanger in Pankow. „Was für eine Wahl", weist der junge Mann brüsk das Werben um Unterstützung für die anstehende Nachwahl zum Deutschen Bundestag in Berlin ab.

550.000 Berliner sind aufgerufen, am Sonntag ihr designiertes Wahllokal aufzusuchen und erneut abzustimmen. Nicht überall in der Hauptstadt, sondern nur vereinzelt in jenen Wahlkreisen, wo es am 26. September 2021 komplett schief gegangen ist - weil Wahlzettel fehlten und teils lange Schlangen die Wahl bis nach 18 Uhr und damit der normalen Schließung des Wahllokals verzögerten. Bei der Kombi-Wahl zum Deutschen Bundestag, über die Vertreter des Landes-Parlaments sowie der Berliner Bezirke gab es so viele Pannen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Teilwiederholung angeordnet hat. Deshalb wird also nur in 455 von insgesamt 2256 Wahlbezirken neu gewählt.

Wahlplakate sind in der Stadt eher sparsam verteilt

Während die Bürger verständlicherweise zwischen Desinteresse und Pflichterfüllung schwanken, könnte es spannend werden bei der Auszählung. Personelle Überraschungen und die Neuverteilung bei einigen Direktmandaten stehen zu erwarten. Aber auch ein Denkzettel für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ampel-Koalition. Die CDU hofft auf Rückenwind, weil sie immer wieder vorzeitige Neuwahlen fordert. Gut möglich aber auch, dass die AfD Stimmen einheimst.

Zu Verschiebungen kommt es vielleicht gerade deshalb, weil vermutlich eher weniger als mehr Bürger sich nochmals zur Wahlurne schleppen wollen. Der Sinn der Nachwahl scheint manchem Berliner eher unverständlich. Das zeigt die Reaktion auf die spärlich besuchten Info-Stände der Parteien vor den Shopping-Centern und die generell sehr sparsame Verteilung von Wahlplakaten in der Stadt.

Die Besonderheiten der Wahl liegen in einigen Kopf- an Kopf-Rennen, die über Wohl und Wehe von Polit-Karrieren entscheiden könnten. Zumal in Berlin namentlich reichlich Polit-Prominenz auf den Wahlzetteln vertreten ist.

Denkzettel werden gerne mal verteilt in Berlin

Im bürgerlichen Charlottenburg-Wilmersdorf etwa schickt sich der CDU-Politiker Klaus-Dieter Gröhler an, das Direktmandat zu erobern - gegen den einst Regierenden Bürgermeister Michael Müller von der SPD und Lisa Paus, die Familienministerin von Bündnis 90/Grünen. Beide lagen 2021 noch vor Gröhler, gut möglich, dass dies nun anders ausgeht. Denkzettel werden gerne mal verteilt, wenn es so einfach möglich ist.

Hotspot der Berliner Nachwahl ist der aufstrebende und rasant wachsende Stadtbezirk Pankow im Nordosten der Hauptstadt. Hier hatte der Grüne Stefan Gelbhaar recht überraschend 2021 das Direktmandat geholt. Auf eine Wiederholung darf das unbeschriebene Blatt nicht noch einmal hoffen, angesichts der veränderten Stimmung im Lande. Robert Habeck und sein Heizungs-Drama stehen wohl eher zur Abstimmung. Ob aber wirklich Klaus Mindrup von der SPD an Gelbhaar vorbeizieht, erscheint ebenfalls fraglich. Von Kanzler-Bonus keine Spur. So hofft Manuela Anders-Granitzki von der CDU auf einen Scoop.

Richtig bitter könnte es für Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters von der CDU in Reinickendorf laufen. Sie lag gerade mal 1876 Stimmen vor ihrem SPD-Konkurrenten Torsten Einstmann. Der Bundestrend könnte Grütters das Direktmandat kosten, unken Wahlforscher. Sie wird natürlich vom Netz der Landesliste aufgefangen - ein Imageschaden wäre es trotzdem.

Auch Kevin Kühnert, der SPD-Generalsekretär aus Tempelhof-Schöneberg, ist ein möglicher Kandidat für eine politische Ohrfeige. Renate Künast, Urgestein der Grünen und frühere Bundeslandwirtschaftsministerin, lag 2021 nur knapp hinter Kühnert. Die Sympathie-Bekundungen könnten neu verteilt werden.

Auf die Wahlbeteiligung kommt es an - sie wird niedriger ausfallen

Auf die Wahlbeteiligung kommt es ganz maßgeblich an. Beim letzten Mal lag sie bei sehr ordentlichen 74,5 Prozent - das gilt diesmal als unwahrscheinliches Ziel. Wahlleiter Stephan Bröchler hofft auf 60 Prozent. 23,6 Prozent der Wahlberechtigten hat sich Briefwahl-Unterlagen zusenden lassen.

Skurril ist die anstehende Wiederwahl der Berliner Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe von der SPD. Sie will gar nicht mehr in den Bundestag, steht trotzdem auf dem Wahlzettel. Der Grund: Es müssen die selben Namen auf den Wahlzetteln stehen wie 2021. Dass Kiziltepe als Senatorin berufen wurde, ist quasi ein Fehler in der Matrix. Die Zeit ist ja nicht sehen geblieben.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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