Immobilien

600.000 zu wenig: Der Wohungsnotstand spitzt sich zu

Lesezeit: 3 min
21.02.2024 10:32  Aktualisiert: 21.02.2024 10:32
Der Wohnungs-Notstand in Deutschland hat einen neuen Höchstwert erreicht. Die hohen Zinsen sind der Hauptfaktor, aber es hapert an vielen Ecken. Die Bauindustrie fordert jetzt massive Entlastungen von der Politik.
600.000 zu wenig: Der Wohungsnotstand spitzt sich zu
Die Wohnungs-Neubauten sinken weiter, die Bauindustrie steckt in einer tiefen Krise. (Foto: dpa)
Foto: Daniel Naupold

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Hohe Zinsen, gestiegene Materialkosten, teure Grundstücke: Die Bundesregierung wird ihr Wohnungsbauziel nach Prognose der sogenannten Immobilienweisen angesichts eines schwierigen Umfelds künftig noch deutlicher verfehlen. "Die Krise ist tiefer, als die Baufertigstellungs- und Baugenehmigungszahlen bislang zeigen", heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Frühjahrsgutachten des Expertengremiums.

Noch zehre der Wohnungsbau von Projekten, die vor den deutlichen Zinserhöhungen begonnen worden seien. Angesichts der stark rückläufigen Baugenehmigungen und der aktuell langen Bauzeiten dürften die Fertigstellungen voraussichtlich bis auf 150.000 pro Jahr sinken. Die von der Bundesregierung angestrebte Marke von 400.000 - ein zentrales Vorhaben der Ampel-Koalition - rückt damit in weite Ferne. "Mit den aktuellen Niveaus von Zinsen, Baulandpreisen, Baukosten und Mieten rechnet sich der Neubau von Wohnungen nicht", warnen die Experten. Bereits letztes Jahr wurde die Zielmarke mit schätzungsweise 270.000 neuen Wohnungen deutlich verfehlt.

Baubranche steckt in einer "tiefen Krise"

"Wir sind in Deutschland auch beim Bauen nicht mehr wettbewerbsfähig", sagte der Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), Andreas Mattner, in Berlin bei der Vorstellung des Gutachtens. In Deutschland fehlen in diesem Jahr mehr als 600.000 Wohnungen. Bis zum kommenden Jahr steige diese Zahl auf 720.000, bis 2027 sogar auf 830.000. "Die Analyse der Experten ist nicht nur ein Wake-up-Call, sondern in einigen Punkten ein regelrechter Sirenen-Alarm", gab Mattner zu bedenken. Er kritisierte hohe finanzielle Belastungen durch Steuern, Abgaben und staatliche Auflagen. Diese Staatsquote liegt laut ZIA bei 37 Prozent der Herstellungskosten. "Es ist der Staat, der hier die fette Beute macht", sagte der ZIA-Präsident.

Hauptgrund für die Entwicklung, durch die vor allem in Metropolen immer mehr bezahlbarer Wohnraum fehlt, sind die seit dem Frühjahr 2022 gestiegenen Zinsen. "Es war ein schneller Zinsanstieg", erklärt der Immobilienweise Lars Feld. Dadurch sei die zinssensible Baubranche in die Bredouille geraten. Fast schlagartig seien alle Wohnungsbauprojekte unwirtschaftlich geworden. Die Folge war de facto ein Stopp des Wohnungsbaus. "Der Wohnungsneubau befindet sich in einer tiefen Krise", sagt der Immobilienweise Harald Simons. Eine "schwarze Null" bei Wohnungsneuentwicklungen wird dem ZIA zufolge erst bei einer Durchschnittsmiete von 21 Euro pro Quadratmeter erzielt. "Das ist nicht möglich", sagte ZIA-Präsident Mattner. "Wer also baut, geht bankrott."

Stimmung ist schlecht, Klima-Vorschriften helfen nicht

Bezeichnend: Das vom Ifo-Institut ermittelte Barometer für das Geschäftsklima in der Branche befindet sich auf dem tiefsten Stand seit Beginn der Erhebungen 1991. Die Material-, Zins- und damit die gesamten Baukosten sind hoch. Zudem hagelt es aktuell Stornierungen. Ein weiterer belastender Faktor für den Bausektor sind die weitreichenden Klimavorschriften aus der Politik, welche die Kosten erhöhen und Unsicherheiten erzeugen. Insbesondere das von der Bundesregierung aufgelegte „Gebäude-Energien-Gesetz“ (GEG) mit dem darin enthaltenen mittel- bis langfristigem Verbot von fossilen Heizsystemen sorgt für Verwirrung. Als Folge können potenzielle Bauherren die Kosten und Bedingungen für Neuprojekte schlechter kalkulieren und halten sich zurück.

Ein weiteres Zeichen der Krise ist die Tatsache, dass die Immobilienpreise seit geraumer Zeit auf Talfahrt sind. Eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hat den Preisrückgang bei Wohnimmobilien errechnet. 2023 verbilligten sich Eigentumswohnungen im Schnitt um 8,9 Prozent, Einfamilienhäusern um 11,3 Prozent und Mehrfamilienhäusern um 20,1 Prozent, wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) am Donnerstag mitteilte. Nun scheint eine erste Bodenbildung stattzufinden. An der Wohnungs-Knappheit wird sich dadurch aber nichts ändern. Vor allem in den Großstädten suchen viele Menschen händeringend Wohnungen.

Um an der Misere etwas zu ändern, schlägt der ZIA etwa ein Programm der staatlichen Förderbank KfW vor, das die Marktzinsen auf zwei Prozent reduzieren soll. Das würde bei einer Fördersumme von drei Milliarden Euro etwa 100.000 zusätzliche Wohnungen bringen. Auch ein temporärer Verzicht auf die Grunderwerbsteuer oder kommunale Abschöpfungen beim Wohnungsbau wären "der Superturbo", so Mattner. Die von Bundesregierung und Bundestag gewünschte steuerlichen Anreize über die degressive Abschreibung hält der Verband ebenfalls für unverzichtbar. Dies ist Teil des sogenannten Wachstumschancengesetzes, das aber im Bundesrat auf Widerstand vor allem der Union stößt.

Bund will bis 2027 Rekordsumme in sozialen Wohnungsbau investieren

Bauministerin Klara Geywitz setzt darauf, dass der Wohnungsbau wieder anspringt und verwies auf staatliche Förderungen. Zudem seien die Zinsen wieder gesunken, während sich bei Baumaterialien die Preise normalisiert hätten und die realen Einkommen steigen dürften. Der Bund wolle bis 2027 18 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau investieren. "Das ist eine absolute Rekordsumme", sagte Geywitz.

Deutschland ist mit seinen Problemen auf dem Immobilienmarkt nicht alleine. In Europa würden die Investitionen in neue Wohngebäude 2026 um 6,4 Prozent niedriger ausfallen als 2023, wie das Münchner Ifo-Institut mitteilte. Es verwies auf Prognosen der Forschergruppe Euroconstruct, der das Ifo-Institut angehört. In Europa wird die Zahl der fertiggestellten Wohnungen demnach bis 2026 nur noch bei gut 1,5 Millionen Einheiten liegen - ein Minus von 13 Prozent gegenüber 2023. Besonders schwierig ist die Lage in Schweden mit einem Minus von 47 Prozent.


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