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Landlust: Warum immer mehr junge Städter aufs Dorf ziehen

Lesezeit: 4 min
20.03.2024 06:42
Es nicht lange her, da entvölkerten sich die ländlichen Regionen Deutschlands zusehends. Die Strahlkraft der Städte mit gut bezahlten Jobs und breit gefächertem Kulturangebot lockte den Nachwuchs in die Metropolen, während auf dem Land meist nur die überalterte Bevölkerung zurückblieb. Das hat sich verändert. Die Landlust wächst.
Landlust: Warum immer mehr junge Städter aufs Dorf ziehen
Die Instandsetzung älterer Gebäude kann sich für viele lohnen - beudetet aber auch viel Arbeit. (Foto: dpa)
Foto: Soeren Stache

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In Berlin, Köln, Hamburg und München machen sich immer mehr junge Familien auf, ihr Glück auf dem Dorf zu finden. Anfangs waren es nur die Orte im Speckgürtel der Metropolen, die davon profitierten. Inzwischen ziehen selbst entlegene Gegenden wie Uckermark, Eifel oder Ostfriesland urbane Eliten aus dem Szene-Kiez in die Provinz – vorausgesetzt, das Wifi macht’s möglich.

Dass dies auch Probleme auf dem angespannten Wohnungsmarkt lösen kann, unterstreicht Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes. Es werde in der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet, dass mehr als 1,3 Millionen Wohnungen, insbesondere in ländlichen Regionen, leer stehen. „Es wäre sinnvoll, diese Regionen mit guten Verkehrsverbindungen besser zu erschließen, damit die Menschen dort gut und preiswert wohnen und leben können“, so sein Rat an die Politik. So deutlich sprechen das bislang nur wenige aus in der Politik. Stattdessen streiten die Parteien über Mietpreisbremsen und Enteignungen als Lösungen.

Katja und Ben galten als Inbegriff der hippen Berliner Kulturszene. Sie Designerin, er Veranstalter von Musik-Events. Das Nightlife haben sie seit ein paar Jahren ein Stück weit gegen die ländliche Stille, Entschleunigung und Kontemplation eingetauscht. Die beiden leben in der nordwestlichen Uckermark, einem Landstrich, der laut Vergleich nach EU-Kriterien als nahezu unbesiedeltes Gebiet gilt. Mit Regionalbahn und Bus geht es ganz weit ins Grüne raus. Zwischen Wäldern und Seenlandschaften haben sich beide ein Refugium geschaffen. Die Kontakte in die Hauptstadt sind natürlich bestehen geblieben, sie werden nur etwas anders organisiert.

Schöne bunte Welt – im Garten, aber längst auch politisch

Katjas bunte neue Welt besteht nun aus weißen Gänseblümchen (blühten bereits am 6. Februar) und lilafarbenen Krokussen (emporgeschossen am 17. Februar) – der Frühling steht vor der Tür.

Katja wohnt zwar weit weg, ab vom Schuss ist sie freilich nicht. Denn selbst politisch ist was los im ruralen Brandenburg: Mitte Februar war Demo in Angermünde, als nächstes wird Mitte März in Prenzlau „Gegen Rassismus. Zusammen für Demokratie“ mobilisiert. Die Zeiten, als es vor allem rechte Kreise und Parteien waren, die sich um die Identität der abgehängten ländlichen Bevölkerung kümmerten, sind ebenfalls vorbei. „National befreite Zonen“, wie es im Jargon und den Zeiten der Baseballschläger-Jahre hieß, gibt es wenige – das Bürgertum kehrt ein und versucht, auch gesellschaftlich und politisch neue Zeichen zu setzen.

Patrick Telligmann von den Grünen engagiert sich im Kreisverband für „ein gutes gesellschaftliches Mit- und Füreinander im ländlichen Raum“, wie er betont. „Dafür krempeln hier schon viele Menschen die Ärmel hoch. Sie bauen, planen und halten Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen in Stand. Sie pflügen, säen, ernten und produzieren ökologisch hochwertige Lebensmittel.“

Klingt fast zu schön, um wahr zu sein, und doch sind es längst nicht mehr nur Einzelfälle, dass sich Dörfer neu aufstellen und den Zuzug mit offenen Armen empfangen. Weil die Politiker in Dörfern und Kommunen natürlich wissen, dass mit den jungen Familien Kita-Plätze und Grundschulen ins Gesamtbild gesetzt werden. Tatsächlich sind es die „Familienwanderer“ im Alter zwischen 30 und 49 Jahren mit ihrem minderjährigen Nachwuchs, die den städtischen Problemen kopfschüttelnd den Rücken zukehren. Einfach durchatmen, und nicht über dieses und jenes aufregen.

„Jedes neue Hof-Café schließt eine Versorgungslücke“, weiß der Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz aus Potsdam. „Wer heutzutage aufs Land zieht, um im Home-Office zu arbeiten, braucht sich keine Sorgen mehr zu machen, vor dem Laptop am Küchentisch zu vereinsamen.“ In diesem Zusammenhang verweist Klingholz gerne auf das Netzwerk „zukunftsorte.land“, wo gut 70 Projekte und Kreativ-Orte in Ostdeutschland gelistet sind.

Kreative Stadtbewohner organisieren sich dort, zumeist akademisch gut ausgebildet und digital vernetzt. In eifrigen Meetup-Gruppen in Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Friedrichshain fangen die Überlegungen an. Sie reifen meist schnell, wenn einer im Auktionskatalog ein Schnäppchen findet und man gemeinsam einen Finanzierungsplan aufstellt. Nicht selten kommt es sogar zur Genossenschaftsgründung oder auch Vereinsmeierei bei größeren Hofanlagen oder alten Schlössern, die es im Osten Deutschlands immer noch wachzuküssen gilt – mancherorts.

Digitale Nomaden in der deutschen Sommerfrische

Es macht Spaß, die Zukunftsorte einmal anzusteuern auf einer Landpartie durch die blühenden Landschaften. Vom Musikbahnhof in Annahütte bis zur Akademie für Suffizienz in Groß Pankow in der Prignitz. Das Coconat in Klein Glien bei Bad Belzig etwa sieht sich als Ort „für konzentrierte Arbeit auf dem Lande“ – ein Coworking-Space auf 40 Hektar mit optimaler Internet-Versorgung.

Der Gutshof war ein Hochzeits-Hotel, jetzt ist er eine Destination für Bürozeit und Urlaub zugleich – „Workation“, nennt sich das im besten Marketing-Denglisch, die wir bei den DWN auch betreiben. Trendy und zweckmäßig halt! Ein Ort, der Nachahmer sucht und finden dürfte. Sowohl „New York Times“ als auch „Le Monde“ haben sich das fasziniert angeschaut und darüber Korrespondentenberichte in ihre Heimatländer abgesetzt. So ganz verschlafen ist Deutschland offenkundig gar nicht mehr auf dem platten Lande. Die Digital-Nomaden, so die überraschende Erkenntnis, reisen nicht mehr nur nach Thailand, Marokko oder Mexiko, sondern genießen durchaus gerne die moderaten Temperaturen der deutschen Sommerfrische.

„Abseits von medialer Aufmerksamkeit entwickeln sich ländliche Räume weiter, setzen Trends, bilden eigene kreative Mini-Hubs und lokale Netzwerke aus und werden zu Orten progressiver neuer Sozialstrukturen“, heißt es auch in einer Studie des Frankfurter Zukunftsinstituts. Wobei es keineswegs darum geht, neue Orte für den Tourismus vorzubereiten. Das wäre selbst für die vereinzelten Vermieter von Airbnb-Unterkünften auf dem Lande eher kontraproduktiv.

In den Worten der Trendforscher vom Zukunftsinstitut heißt es deshalb: „Vor allem Gemeinden, die nicht vollständig vom Tourismus abhängig sind, schaffen meist einen bleibenden Eindruck bei Reisenden – und auch die höchste Lebensqualität in den Orten selbst. Zentral sind also auch ansässige Unternehmen jenseits der Tourismusbranche. Sie können mehr schaffen als nur Arbeitsplätze. Als Treiber der Region, als Teil der ruralen Identität, als Anziehungspunkt für neue Mitarbeitende können sie einen echten Beitrag leisten, die ländlichen Regionen lebenswerter zu gestalten – im Gegenzug können sie auf eine loyale Mitarbeiterschaft setzen und verfügen oft über eine Menge Gestaltungsspielraum.“

Lesen Sie in Teil 2, wie die Integration in der ländlichen Gemeinschaft läuft.

Zum Autor:

Peter Schubert ist stellvertretender Chefredakteur. Seit dem 1. November schreibt er bei den DWN über Immobilien, Politik und Wirtschaft.


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