AMSTERDAM: Nach wochenlangen intensiven Verhandlungen hat sich die Europäische Union auf die Überarbeitung ihrer Fiskalregeln geeinigt. Das neue Regelwerk wird den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) ersetzen, der seit Beginn der COVID-19-Pandemie ausgesetzt ist, und das 25 Jahre alte fiskalische Regelwerk des Blocks modernisieren.
Während der SWP ein Einheitsmodell umfasste, das letztlich seine Glaubwürdigkeit untergrub, ermöglichen die aktualisierten Fiskalregeln einen differenzierteren Ansatz. Ziel ist es, die bestehenden Limite für Defizite und Staatsverschuldung aufrechtzuerhalten und zugleich die Mitgliedsstaaten weiterhin zu Investitionen in grüne und digitale Technologien zu ermutigen. Dabei werden den Mitgliedsstaaten Übergangsfristen von bis zu sieben Jahren eingeräumt, um ihre Schulden auf ein tragfähiges Niveau zu verringern, vorausgesetzt, sie verpflichten sich zu Reformen und zu Investitionen, die diese zweifache (grüne/digitale) Umstellung unterstützen.
Doch während die Bemühungen der EU um ein Gleichgewicht zwischen Haushaltsdisziplin und Wachstumsanreizen lobenswert sind, werden die nationalen Haushalte allein nicht ausreichen, um die ehrgeizige zweifache Umstellung der EU zu finanzieren. Die Europäische Kommission schätzt, dass jährliche Investitionen in Höhe von rund 650 Milliarden Euro erforderlich sind, um die Ziele für 2030 zu erfüllen, mindestens 42,5 Prozent der Energie der EU aus erneuerbaren Quellen zu produzieren und ihre Treibhausgasemissionen um 55 Prozent zu verringern.
Gemäß den neuen Fiskalregeln kann die Finanzierung digitaler und grüner Investitionen aus dem 800 Milliarden Euro schweren Fonds NextGenerationEU (NGEU) erfolgen, der 2020 eingerichtet wurde, um den europäischen Volkswirtschaften bei der Überwindung des COVID-19-Schocks zu helfen. Doch da NGEU 2026 enden soll, bedarf es dringend langlebigerer Finanzmechanismen, um die langfristigen Ziele der EU zu unterstützen.
Der bisherige NGEU-Fokus auf nationale Investitionen hat zu einer schwerwiegenden Unterfinanzierung von transnationalen Projekten wie Hochgeschwindigkeitszügen und Wasserstoffinfrastruktur geführt. Zudem hat der US Inflation Reduction Act die Investitionslücke zwischen Europa und den USA verbreitert. Um die strategische Autonomie Europas wiederherzustellen, sollte die europäische Politik auf dem Erfolg von NGEU aufbauen.
In einem in Kürze erscheinenden Aufsatz schlagen wir die Einrichtung eines 750 Milliarden Dollar schweren EU-Fonds für öffentliche Güter vor, der darauf zielt, Finanzierungslücken zwischen wichtigen Bereichen wie erneuerbarer Energie und digitaler Infrastruktur zu überbrücken. Der primäre Fokus des Fonds bestünde darin, grenzübergreifende Investitionen auszulösen und Projekte zu unterstützen, deren Finanzierung sich ohne finanzielle Förderung auf EU-Ebene nur schwer sicherstellen lässt. Dabei könnte die EU, indem sie die Einhaltung der neuen Fiskalregeln zur Voraussetzung für den Zugriff auf diesen Fonds macht, für die Wahrung der Haushaltsdisziplin in den Mitgliedsstaaten sorgen.
Der Fonds für öffentliche Güter würde den Zeitraum von 2026 bis 2030 abdecken und das Ziel einer nahtlosen Abstimmung mit EU-Klimazielen verfolgen. Aufbauend auf den erfolgreichen Präzedenzfällen früherer EU-Kreditinitiativen würde er durch die Ausgabe von EU-Anleihen finanziert, die über gemeinsame nationale Bürgschaften, den (durch ausreichend hohe Einnahmeströme gestützten) EU-Haushalt oder beides abgesichert wären. Seine vorgeschlagene Größe repräsentiert rund ein Fünftel des Gesamtinvestitionsbedarfs des Blocks bis 2030; die verbleibenden Investitionen würden durch Beiträge der Mitgliedsstaaten und des privaten Sektors finanziert.
Durch den Fokus auf grenzübergreifende Investitionen würde der Fonds den gemeinschaftlichen Ansatz der EU zur Bewältigung europäischer Herausforderungen unterstreichen. Zugleich würde der Zwang zur Einhaltung der neuen Fiskalregeln die durch das NGEU-Programm aufgestellten Rahmenbedingungen ausweiten, die den Zugriff an die Rechtsstaatlichkeit in den Empfängerländern knüpften.
Die vorgeschlagenen Rahmenbedingungen würden den Zugang zum neuen Fonds in ähnlicher Weise an die nationale Haushaltsdisziplin knüpfen und stünden also im Einklang mit den überarbeiteten Fiskalrichtlinien der EU. Statt sie bei Nichteinhaltung der Regeln zu bestrafen (so wie beim ehemaligen SWP) würden den Ländern Anreize gesetzt, ihre fiskalische Verantwortung unter Beweis zu stellen.
Die Rahmenbedingungen würden auf diese Weise gleichzeitig das Wachstumspotenzial der EU steigern, die Integrität der neuen Fiskalregeln wahren und die Mitgliedsstaaten zu fiskalischer Nachhaltigkeit ermutigen. Zudem könnte die vermehrte Ausgabe von Anleihen auf europäischer Ebene durch eine Verringerung der Ausgabe von Staatsanleihen auf nationaler Ebene ausgeglichen werden.
Nach Einrichtung des Fonds würden die Länder ermutigt werden, umfassende Vorschläge für Investitionen in transnationale Projekte zu machen. Die Europäische Investitionsbank würde dann ermitteln, ob sie auf der Grundlage der Übereinstimmung mit den doppelten Umstellungszielen der EU und der positiven grenzübergreifenden Auswirkungen Anspruch auf den Zugriff auf Fondsmittel hätten. Die Europäische Kommission derweil würde sicherstellen, dass die Länder, die diese Projekte vorschlagen, die Fiskalregeln einhalten.
Das vorgeschlagene Design des Fonds steht im Einklang mit dem Trend, EU-Mittel zum Erreichen breiter angelegter politischer Ziele zu verwenden. Durch Aufbau auf dem erfolgreichen Modell von NGEU und den aktuellen Rahmenregelungen des Blocks würde der Fonds die EU in die Lage versetzen, wichtige Klimaziele zu erreichen und zugleich seine gemeinsamen Werte hochzuhalten.
Age Bakker ist ehemaliger Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds und ehemaliger Direktor von De Nederlandsche Bank (DNB). Roel Beetsma ist Professor für Makroökonomie an der Universität Amsterdam und Mitglied des Europäischen Fiskalausschusses. Marco Buti ist Vorsitzender des Robert Schuman Center des European University Institute und External Fellow bei Bruegel.
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