Berlin-Wilmersdorf. Kalkhorster Straße 13. Eine Adresse, die sich Deutschlands Wirtschafts-Kapitäne mal genauer anschauen sollte, wenn sie wieder einen Termin in der Hauptstadt haben - oder sie machen sich im Internet einfach unter dem Stichwort Mitarbeiterwohnungen schlau. Es handelt sich um einen Neubau, der Zeichen setzen könnte bundesweit - in diesen Zeiten von Wohnungskrise und Facharbeitermangel. Eine Lösung für beide Probleme.
Dort hat die Fachgemeinschaft Bau Berlin und Brandenburg nach mehr als einem halben Jahrhundert als Verband wieder einmal selbst ein Haus errichtet und anno 2023 nun auch gerade fertiggestellt. Mitgliedsbetriebe des Verbandes können die dort 36 neu entstandenen Wohnungen ab sofort ihren Fachkräften anbieten. Der Block ist nämlich gezielt für Mitarbeiter von Baufirmen konzipiert worden. Derlei Angebote für Facharbeiter der Branche hat durchaus Tradition - in konkreten Fall nicht nur bei der Fachgemeinschaft Bau, sondern sogar an Ort und Stelle. Es handelt sich um eine bemerkenswerte Rückbesinnung.
Mauerbau 1961: Als Arbeiter und Zimmer fehlten
Es war anno 1961, als wegen des Mauerbaus schlagartig 3000 Bauarbeiter in West-Berlin fehlten, weil sie nicht mehr auf ihre Baustellen konnten. Um Ersatz zu finden, mussten damals Kollegen aus der Bundesrepublik angeworben und nach Berlin gelockt werden. Es herrschte die gleiche Lage wie heute - sowohl die Fachkräfte fehlen, aber auch geeigneter Wohnraum vor Ort. Die Fachgemeinschaft Bau fackelte nicht lange und wartete auch nicht erst auf politische Unterstützung oder Steuerbegünstigungen, sondern baute ad hoc mit ihrer eigens gegründeten Unterkunfts-GmbH drei Wohnheime mit 500 Betten. Einer der damaligen Standorte: jenes Grundstück Kalkhorster Straße.
2017 wurde das in die Jahre gekommene Haus abgerissen, der Standort für ein ähnliches Projekt für die Neuzeit herangezogen. Die Bedürfnisse haben sich verändert, nun ist es kein Wohnheim mehr für die Kollegen vom Bau, sondern ein veritables Mehrfamilienhaus mit Einraumwohnungen von 37 Quadratmetern Größe bis hin zur Vier-Zimmer-Wohnungen mit 8o Quadratmetern. Der Mietpreis liegt bei verträglichen 11,50 Euro - normal wären vermutlich in dieser Lage über 14 Euro. Die Wohnungen sollen die Übersiedlung neuer Mitarbeiter erleichtern und den Familien einen Einstieg ermöglichen. Die Hoffnung ist natürlich, dass die Bauarbeiter, in der Hauptstadt angekommen, hier oder im Umland später selber bauen und Platz machen für Nachzügler. Ein Beispiel von vielen, das Schule machen könnte.
Arnt von Bodelschwingh, Inhaber der Firma Regio-Kontext GmbH in Berlin, hat schon 2020 im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), dem Deutschen Mieterbund, dem Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) und anderen Verbänden weitere anschauliche Beispiele für eine Broschüre zusammengetragen. Die Liste ist lang, und man wundert sich, warum über Mitarbeiter- oder Werkswohnungen so wenig in der Öffentlichkeit diskutiert wird.
Dabei hat es sich sogar bis zu den Maklern von Engel & Völkers herumgesprochen. „Zwei Mängel - ein neuer Trend: Der Fachkräftemangel einerseits und der Mangel an bezahlbaren Wohnraum in teuren Großstadtlagen andererseits könnten Treiber für das Konzept Mitarbeiterwohnungen werden", heißt es dort. BMW, Audi und BASF - alle zeigen wieder Interesse, obwohl sie schon vor Jahrzehnten mal davon Abstand genommen hatten.
Eisenbahner-Wohnungen prägten einst die Städte
Das Rad wird ja nicht neu erfunden. Schon vor über 100 Jahren entstanden die ersten Eisenbahner-Wohnungen. Sie gehörten einst wie selbstverständlich zum Stadtbild an den Bahnknoten Deutschlands. Auch große Industrie-Konzern wie die BASF in Ludwigshafen-Hemsdorf (siehe Foto) schufen markante Stadtteile für ihre Arbeiter. Anschauliches Beispiel ist auch die die Siemensstadt in Berlin.
Tatsächlich hat der inzwischen in München heimisch gewordene Dax-Konzern dort wieder neue Pläne. Die Siemensstadt soll verdichtet werden - Grundstücke zu besitzen wie die Siemens AG ist der Schlüssel für so ein Engagement. Wenn sie sich mit Unterstützung der Planungsämter die Grundstücke ntsprechend umwidmen lassen, könnten in Nähe der Industrieanlagen auch Wohnungen entstehen. Es wird sich zeigen, ob es in Siemensstadt ein herkömmliches Immobiliengeschäft wird - oder auch den Angestellten des Konzerns zugute kommt.
Die meisten Unternehmen haben sich freilich sukzessive von ihren Wohnungsbeständen getrennt. Das Bundeseisenbahnvermögen hat etwa 135.000 ihrer alten Wohnungen abgestoßen seit der Bahnreform anno 1994. Die Deutsche Annington übernahm sie damals blockweise und billig in ihren Bestand - heute gehören sie somit der Vonovia, dem größten Immobilienkonzern im Land. Der ist nun immerhin bereit, der Bahn Belegungsrechte für Mitarbeiter einzuräumen. Das Umdenken hat bei der Bahn sehr spät eingesetzt, zu spät für schnelle Erfolge bei der Rekrutierung von Schaffnern und Lokführern. In München und an anderen Standorten mit einem angespannten Wohnungsmarkt soll nun aber auch wieder neu gebaut werden.
Ähnlich lief es bei den privaten Unternehmen, die in die Jahre gekommene Werkswohnungen geerbt hatten und dann mit dem Abverkauf immerhin ihre Bilanzen verschönern konnten in Krisenjahren. Noch in den 7oer-Jahren wurden in Deutschland 450.000 Mitarbeiterwohnungen neu von Firmen errichtet, die nach stetigem Abverkauf auf bestenfalls noch 100.ooo Wohnungen bundesweit zusammengeschrumpft sind. Die Unternehmen glaubten lange, dass die Immobilien-Verwaltung zu teuer und unter dem Strich unproduktiv sei. Streichvermerk und Verkauf waren die Folge. Volle Konzentration auf das Kerngeschäft, so das Argument.
Heute indessen sind gute Mitarbeiter der Hauptaugenmerk eines erfolgreichen Arbeitgebers. Dabei muss man nicht unbedingt selbst bauen. Belegungsrechte, möblierte Apartments, langfristig angemietete Wohngebäude - es gibt heute vielerlei Optionen. Der GdW als Verband der Wohnungswirtschaft verweist in besagter Broschüre „ Mitarbeiter Wohnen - Der Kampf um die Köpfe geht übers Wohnen" darauf, dass es vor allem auch unterschiedliche Modell gibt, wie Unternehmen steuerlich profitieren können von ihrem Engagement in die Wohnraumversorgung - als Konzern oder mittels einer separaten Immobilien-Gesellschaft etwa. Der GdW will dafür nun sogar Beratung anbieten.
Auch der Bund trennte sich zuletzt von Beständen
Selbst der Bund, der eigentlich den Mangel beheben möchte an bezahlbarem Wohnraum, hatte zuletzt noch über seine Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) unvermindert Bestände auf den Immobilienmarkt geworfen, obwohl sich die Krise am Wohnungsmarkt schon seit Jahren abgezeichnet hat. Bis 2022 waren es 5600 Wohnungen, die die Bima verkauft hat, nach und nach. Weitere 6600 wurden immerhin an Länder und Kommunen weitergereicht. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung 2023 auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die das Immobilienthema bekanntlich generell kritisch beäugt. Mittlerweile hat die Bima umgeschwenkt, wie der Broschüre des Verbände-Bündnisses zu entnehmen ist.
Die Bima gibt dort an, gut 8000 Wohnungen für Angestellte des öffentlichen Dienstes neu zu planen, wofür 180 geeignete Grundstücke im Bundeseigentum identifiziert wurden. Zum Beispiel die Spessart-Gärten in Aschaffenburg, das Wohngebiet Hohe Düne in Rostock-Warnemünde und in der Cité Foch in Berlin-Reinickendorf, wo früher die französischen Alliierten ihre Wohnsiedlung hatten.
Der Berliner Senat wiederum hat erkannt, dass zur Daseinsfürsorge etwa von Polizisten und Feuerwehrkräften ein bezahlbares Wohnungsangebot gehört. „Für ihre Anwärter hat die Polizei Berlin bereits eine Wohnungsfürsorgestelle eingerichtet, um schnell Wohnraum bereitstellen zu können", betonte Andreas Geisel (SPD), der frühere Innensenator. „Für die Menschen, die unsere Stadt am Laufen halten, brauchen wir bezahlbare Wohnungen. Der Werkswohnungsbau ist der richtige Schritt in diese Richtung." In Berlin gibt es mit der landeseigenen Berlinovo im übrigen seit bereits 50 Jahren ein Immobilienunternehmen, dass sich nur der Aufgabe widmet, Mitarbeiterwohnungen zu unterhalten und zu vermieten - West-Berlin war nun einmal lange Jahre geübt, darin Arbeitskräfte auf ihre Insel zu lotsen.
Wohnraum-Experte Arnt von Bodelschwingh ist von einer bevorstehenden Renaissance überzeugt. Er selbst hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, nun auch beratend am Markt tätig zu sein. Er glaubt, dass immer mehr Unternehmen über kurz oder lang die Chancen erkennen, die Mitarbeiterwohnungen ihnen bei der Rekrutierung von Arbeitskräften bieten. Bislang waren es oft Stiftungen, im Gesundheitsbereich etwa, die ihren Pflegern und Krankenschwestern bezahlbare Unterkünfte stellen müssen, um in Großstädten bestehen zu können. „Viele Unternehmen haben dabei Angst vor dem Aufwand, den das Mitarbeiterwohnen mit sich bringt." Von Bodelschwingh empfiehlt deshalb nun auch Kooperationsmodelle. „Kleine und mittelständische Unternehmen schließen sich zusammen, um gemeinsam zu bauen. Dadurch sinken Kosten, Risiko und Aufwand."
Pflegedienste und Reinigungsbetriebe scheinen hierfür prädestiniert zu sein. Sie erhalten regelmäßig Bewerbungen, die zumeist nur am Wohnraum-Problem scheitern. Markus Wasserle, der in Bayern eine Reinigungsfirma betreibt und 400 Gebäudereiniger in der Region München beschäftigt, hat 50 von ihnen eine Mitarbeiterwohnung gestellt, um sie anzustellen und halten zu können. „Verbundenheit zum Unternehmen", sagt Wasserle, darauf komme es durchaus wieder an heutzutage.
Und Arnt von Bodelschwingh hat noch einen Trumpf im Ärmel, wenn er in der Wirtschaft Überzeugungsarbeit leistet. Er verweist auf die steuerlichen Anreize, die die Unternehmen inzwischen nutzen können. Seit 2020 gibt es nämlich für Mieter und Vermieter von Mitarbeiterwohnungen lohnenswerte Neuregelungen im Steuer-Gesetzbuch. Es scheint nur so, dass immer noch zu viele Unternehmen von den Vorzügen gar nichts wissen.
Der Gesetzgeber hat die Bestimmungen des geldwerten Vorteils neu geregelt. Seitdem müssen Arbeitnehmer keine Steuerforderung mehr befürchten, wenn ihnen der Chef eine vergünstigte Wohnung überlässt. Worauf es ankommt, ist dass die Wohnung bei der Miete nicht mehr als ein Drittel günstiger ist als die Vergleichsmieten am Ort. Der Mietwert darf außerdem 25 Euro pro Quadratmeter nicht überschreiten - es geht ja um Mitarbeiterwohnungen, nicht das Dachgeschoss der Geschäftsleitung.