Politik

Verteidigungsetat: Bundesfinanzminister Lindner sieht Milliarden-Spielraum erst ab 2028

Wegen Milliardenlücken im Bundeshaushalt pocht vor allem die FDP auf das Einhalten der Schuldenbremse. Finanziellen Spielraum für den Verteidigungsetat sieht Bundesfinanzminister Christian Lindner auch deshalb erst ab 2028 - ob das nicht zu spät ist?
02.04.2024 14:11
Lesezeit: 3 min

Finanzminister Christian Lindner sieht im Bundeshaushalt ab 2028 einen Spielraum von bis zu neun Milliarden Euro zur Aufstockung des Verteidigungsetats. Bei disziplinierter Haushaltsführung werde die Schuldenquote dann wieder unter den in der EU vorgeschriebenen 60 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, sagte der FDP-Chef der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn wir diese Grenze unterschreiten, dann könnte die ab 2028 vorgesehene Tilgung der Corona-Schulden neu diskutiert werden." Das Geld könne stattdessen in den Verteidigungsetat fließen.

Der Bund hatte in den Jahren 2020, 2021 und 2022 wegen der Corona-Krise und des Ukraine-Kriegs Notlagenkredite in Höhe von rund 300 Milliarden Euro aufgenommen. Die Tilgung soll eigentlich im Jahr 2028 beginnen und über mehr als 30 Jahre laufen. Aktuell sei ab 2028 eine Schuldentilgung von jährlich neun Milliarden Euro vorgesehen, sagte Lindner. "Wenn aber die Belastung der Pandemie im Schuldenstand dann schon überwunden ist, könnte die Tilgung wesentlich reduziert werden", kündigte er an. "Damit stünde ein Milliardenbetrag zur Verfügung, der uns nach dem Ende des Sonderprogramms für die Bundeswehr helfen wird, den Sprung zum Nato-Ziel im Bundeshaushalt zu erreichen."

Die Union kritisierte, damit stelle Lindner die Schuldenbremse infrage. Die Tilgung der Notfallkredite sei verfassungsrechtlich vorgegeben, sagte Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU). Sie auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, sei "die neue verzweifelte Suche nach Möglichkeiten, die Schuldenbremse zu umgehen".

Auch aus den Reihen der Ampel-Koalition bekam Lindner Gegenwind: Der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz betonte, die neun Milliarden Euro reichten "nicht mal im Ansatz". "Es ist das falsche Zeichen an Putin und unsere Bündnispartner, wenn wie die Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels von Corona-Tilgungen oder Maastricht-Kriterien abhängig machen, die sowieso fast nur Deutschland in Europa erreichen kann", sagte er der Mediengruppe Bayern.

Vor der Corona-Pandemie im Jahr 2019 hatte der Bund bereits eine Schuldenquote von 59 Prozent erreicht und damit nach längerer Zeit wieder die europäischen Maastricht-Kriterien erfüllt. Durch die pandemiebedingten Kredite stieg die Quote rapide bis auf 69 Prozent an. Inzwischen liegt sie wieder bei rund 63 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. "Wenn wir diese Linie weiter verfolgen, können wir tatsächlich bereits 2028 auf dem Vor-Corona-Niveau sein", sagte Lindner.

Dieses Jahr galt bisher als haushaltspolitisch besonders schwierig, denn dann könnte auch das 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für die Bundeswehr aufgebraucht sein. Das bedeutet, der Bund muss die Verteidigungsausgaben komplett aus dem normalen Haushalt stemmen - und zwar in einer solchen Höhe, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllt.

Aus dem Umfeld des Finanzministeriums ist zu hören, dass dafür zusätzlich 25 Milliarden Euro aufgebracht werden müssten. Selbst wenn der Bund komplett auf die Tilgung der Corona-Schulden verzichten würde, bliebe also noch eine Lücke. Um den verbleibenden Betrag von etwa 15 Milliarden Euro aufzubringen, wären dann also Umschichtungen aus den anderen Etats nötig. Lindner zeigte sich dennoch optimistisch: "Wenn es uns gelingt, in den Jahren bis 2028 unser Wirtschaftswachstum zu stärken und wenn wir auf zusätzliche kostenträchtige, gesetzlich verpflichtende Sozialausgaben verzichten, dann schaffen wir es, das Zwei-Prozent-Ziel einzuhalten", sagte er.

Schwarz kritisierte, Lindner solle lieber über die Schuldenbremse nachdenken und die internationalen Zusagen im Haushalt abbilden. Middelberg dagegen forderte Einsparungen beim Bürgergeld, bei internationaler Finanzhilfe und Förderprogrammen. Lindner habe diese Sparpotenziale im Dezember selbst benannt, sich in der Ampel aber nicht durchsetzen können. "Daraus sollte er nun politisch die Konsequenz ziehen", erklärte Middelberg.

Der Linke-Verteidigungspolitiker Dietmar Bartsch dagegen betonte: "Eventuelle Spielräume im Haushalt sollten nicht für mehr Rüstung verschwendet werden, sondern primär der Bekämpfung von Kinderarmut dienen, die in Deutschland einen neuen Rekordwert erreicht hat." Die Bundeswehr habe kein Geld-, sondern ein Beschaffungsproblem. Solange das nicht gelöst sei, seien weitere Milliarden eine Verschwendung von Steuermitteln.

Die Bundesregierung hat als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine militärische Zeitenwende ausgerufen. Russland wird nun wieder als Gefahr für die Sicherheit eingestuft, und es gibt Warnungen davor, dass Kremlherrscher Wladimir Putin auch andere europäische Staaten angreifen lassen könnte. Erklärtes Ziel von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist es, die Bundeswehr "kriegstüchtig" zu machen.

Die Bundesregierung hat zudem zugesagt, dass Deutschland von nun an den in der Nato vorgesehenen Mindestanteil am Bruttoinlandsprodukt ("Zwei-Prozent-Ziel") erreichen wird, erstmals wieder im laufenden Jahr. Mittel dazu ist der 100-Milliarden-Euro umfassende und kreditfinanzierte Sondertopf für die Bundeswehr, der aber bis zum Jahr 2027 ausgeschöpft sein soll. Unklar ist bisher, wie es danach weitergehen soll.

Die Aussicht auf Finanzierungsspielräume müsste aus Sicht des FDP-Chefs auch für Grüne und SPD ein Anreiz zu Disziplin beim Bundeshaushalt sein. "Ich nenne die Zahl neun Milliarden Euro zusätzlichen Spielraums im Jahr 2028, damit wir alle motiviert sind", sagte Lindner. Es gehe jetzt nicht darum, einfach Auswege zu suchen, sondern durchzuhalten. "Denn wenn wir jetzt diesen Weg weiter konsequent fortsetzen, im Bundeshaushalt und auch bei den Sondervermögen, dann winkt uns diese Belohnung. Das heißt, wir haben dann solide aufgestellte Finanzen, eine geringere Zinslast und können uns zugleich bei den Tilgungsplänen zusätzlichen finanziellen Spielraum erarbeiten", sagte Lindner.

Aktuell, so kritisierte der Finanzminister, stellten SPD und Grüne in der Debatte um die Schuldenbremse immer wieder das Grundgesetz und die Vereinbarung des Koalitionsvertrages infrage. "Für das Außenbild der Koalition ist diese permanente Uneinigkeit schädlich", betonte Lindner. Er ergänzte: "Mein Rat wäre, einfach bis zur Bundestagswahl den Status quo zu akzeptieren. Dann können die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, ob es mehr Staat, mehr Schulden und höhere Steuern geben soll oder einen schlanken Staat mit weniger Zinslasten und niedrigeren Steuern." (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen EU-Vermögensregister und Bargeldbeschränkungen: Risiko für Anleger

Das EU-Vermögensregister gehört derzeit zu den größten Risiken für Anleger. Daher ist es wichtig, sich jetzt zu überlegen, wie man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Euro-Kurs wird zur Gefahr: Europas Exporte brechen ein
06.07.2025

Ein starker Euro, schwaches Wachstum, neue US-Zölle – Europas Wirtschaft gerät unter Druck. Die EZB warnt, doch die Lage droht zu...

DWN
Politik
Politik Neuregelung der Vaterschaft: Mehr Rechte für leibliche Väter
06.07.2025

Die Bundesregierung plant eine Reform, die leiblichen Vätern zu mehr rechtlicher Anerkennung verhelfen soll. Der Entwurf aus dem...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnungstausch: Wie Sie Ihre Ferienwohnung herzaubern und worauf Sie achten müssen
06.07.2025

Der Wohnungstausch boomt – günstig, persönlich und spannend. Doch wie funktioniert das Ganze wirklich, und worauf muss man achten,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Jungmakler mit TikTok: Wie eine Generation den Versicherungsmarkt neu denkt
06.07.2025

TikTok-Reichweite, neue Rollenbilder, klare Erwartungen: Junge Makler treiben die Disruption im unabhängigen Versicherungsvertrieb voran....

DWN
Technologie
Technologie Wäschetrockner: Neues Energie-Label einfach erklärt
06.07.2025

Seit dem 1. Juli gelten für Wäschetrockner strengere Energiekennzeichnungen. Verbraucher sollen Geräte nun besser vergleichen können....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Praktika und Probearbeiten: Rechte, Pflichten und Fallstricke für Berufseinsteiger
06.07.2025

Viele Praktikanten kennen ihre Rechte nicht – und riskieren, ausgenutzt zu werden. Was wirklich erlaubt ist, wann Praktika bezahlt werden...

DWN
Technologie
Technologie Lithium: Schlüssel zur technologischen Unabhängigkeit – doch der Rohstoff ist knapp
06.07.2025

Lithium ist der Treibstoff moderner Technologien – von E-Autos bis Energiewende. Doch was passiert, wenn die Nachfrage explodiert und das...

DWN
Politik
Politik Rückkehr der Wehrplicht trotz Wirtschaftsflaute? Nato-Ziele nur mit Pflicht zum Wehrdienst möglich
05.07.2025

Die Nato drängt: „Um der Bedrohung durch Russland zu begegnen“, hat die Nato ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen. Doch wie...