DWN: Fangen wir mit Deutschland an. Wie ist hier die Situation?
Burkart Schulte: In Deutschland gibt es eigentlich kein wirkliches Müllproblem. Wir haben bundesweit ein gut funktionierendes Sammlung- und Entsorgungssystem. Dies hat aber auch dazu geführt, dass sich die Müllindustrie gut eingerichtet hat und Veränderungen nur schwer durchzusetzen sind. Statt Verbrennung - auch thermische Verwertung genannt - müsste deutlich stärker auf Recycling gesetzt werden. Im Prinzip ist alles, was brennt, auch recyclefähig. Wenn aber der ganze Kunststoff recycelt würde, dann würde in der Müllverbrennungsanlage nichts mehr brennen. Die ausgereiften bestehenden Systeme, die auf dieser Grundlage funktionieren, sind daher ein großes Hindernis für die erforderliche Weiterentwicklung.
Ein Beispiel ist die Verpackungsverordnung: Diese wurde 1990 in Deutschland entwickelt, um diese Verpackungen nicht deponieren zu müssen. Und zur damaligen Zeit war das ein sehr guter Ansatz. Hierfür hat man private Strukturen aufgebaut, die heute für viele Beteiligte recht lukrativ sind. Leider hat man es aber nicht geschafft, diese Verordnung auch auf andere Bereiche, die mit Verpackungen nichts zu tun haben, auszudehnen. Das ist im restlichen Europa mittlerweile geschehen, hier gilt die sogenannte EU-Wertstoffrichtlinie. Danach müssen alle Wertstoffe aus Kunststoff und Metall getrennt vom Restmüll eingesammelt werden, also auch Ihre Bade-Gummiente, sollten Sie sich von der einmal trennen wollen. In Deutschland konnte man sich hingegen nicht einigen, ob das eine private oder kommunale Aufgabe ist und wer die Kosten zu übernehmen hat. Wir waren fortschrittlich, hinken jetzt aber hinterher. Diese Hindernisse zu überwinden, ist eine große Herausforderung für Deutschland.
DWN: Sind die klassischen Müllverbrennungsanlagen, zumindest in Deutschland, also nicht geeignet, dieser Probleme Herr zu werden?
Burkart Schulte: Nein, denn diese brauchen den Kunststoffanteil, weil sonst das Feuer ausginge. Daher werden sich die Eigentümer ob privat oder kommunal noch lange gegen ein besseres Recycling sträuben. Deswegen sollten wir den Betreibern der Müllverbrennungsanlagen eine wirtschaftliche Unterstützung für eine Betriebsbeendigung anbieten. Bei der Kohleverstromung hat das ja auch geklappt. Und gleichzeitig sollten wir die Recyclingbemühungen unterstützen, um den Übergang einzuleiten.
DWN: Wir funktionierten derartige Recyclinganlagen?
Burkart Schulte: Recyclinganlagen sind sehr unterschiedlich, je nachdem, was recycelt werden soll. Der Betrieb einer derartigen Anlage ist aber in jedem Fall umweltfreundlicher als eine Müllverbrennungsanlage. Etwas problematisch ist allerdings der mögliche hohe Energieverbrauch bei der De-Polymerisierung von Kunststoffen. Der aber ist physikalisch bestimmt und lässt sich technisch nur in geringem Ausmaß beeinflussen. Wenn man jedoch selbst erzeugte Energie wie Solar- oder Windenergie nutzt, und seine Betriebszeiten nach dem jeweiligen Energieangebot richten kann, dann spielen die Energiekosten nur noch eine untergeordnete Rolle. Dies ist bei meinem Verfahren der Fall. Dadurch, dass ich einen Batch-betrieb gewählt habe, bin ich in der Lage auch Verbundstoffe, also etwa Kunststoff-Metallverbünde oder Stoffgemische, zu verarbeiten.
DWN: Den Begriff Batch- Betrieb müssen Sie uns erläutern.
Burkart Schulte: Damit ist gemeint, dass die Abfälle in verschiedenen Chargen – oder Batches – verarbeitet werden. Das machen wir auch. Wir sortieren die Materialien grob vor, versuchen also, Plastik, Gummi, Metall und andere Stoffe voneinander zu trennen. Aber – und das ist das Besondere – an den Anlagen, die unsere Firma ReSet entwickelt hat – können wir auch Verbundstoffe gut verwerten. Nehmen Sie zum Beispiel einen Schraubenzieher. Der besteht aus Metall und Plastik. Und den können wir, so wie er ist, auch in unsere Anlage werfen. Darin wird der Plastikanteil des Schraubenziehers dann zu Öl, während das Metall als Metall zurückbleibt. Und die organischen Abfälle werden, wenn sie in unserer Anlage erwärmt werden, zu Bio-Kohle.
DWN: Was genau ist Bio- Kohle und wofür lässt sie sich verwenden?
Burkart Schulte: Eigentlich ist jede Kohle eine Bio-Kohle, denn jede Art von Kohle ist pflanzlichen Ursprungs. Man unterscheidet allerdings die fossil eingelagerte Kohle von der neu aus nachwachsenden Pflanzen gewonnener Kohle. Die nennt man dann Bio-Kohle. Diese Bio-Kohle hat im Prinzip die gleichen Eigenschaften wie fossile Kohle. Man kann die Eigenschaften aber durch Auswahl der eingesetzten Rohstoffe und der Verfahrensbedingungen - etwa der Behandlungsdauer, der Temperatur und des Drucks - beeinflussen. Da diese Bio-Kohle teurer ist als die einfach zu gewinnende Braun- oder Steinkohle, wurde bisher nur wenig Aufwand in Versuche und Entwicklung gesteckt. Dies wird sich erst ändern, wenn ein Verzicht auf fossile Kohle stärker durchgesetzt wird. Dann wäre es möglich, nahezu den gesamten technischen Bedarf an Kohlenstoff über Bio-Kohle zu decken. Auch für den Betrieb elektrisch betriebener Wärmepumpen beispielsweise könnte Bio-Kohle in Zukunft verstärkt eingesetzt werden.
DWN: Für welche Länder kämen Anlagen wie die von Ihnen entwickelten in Frage?
Burkart Schulte: Karbonisierungs-Anlagen kommen für alle Länder infrage. Und sie sollten direkt da aufgebaut werden, wo organische Stoffe anfallen, denn deren Transport von A nach B wäre zu teuer. Transportieren sollte man besser nur die Produkte, die durch den Recyclingprozess entstehen, also Bio-Kohle, recycelter Kunststoff oder Öl. Für diese Produkte besteht in Deutschland und anderen Ländern eine große Nachfrage. Deswegen können wir auch eine Abnahmegarantie dafür geben. Die örtlichen Betreiber der Anlagen können also davon ausgehen, dass sie recht schnell einen positiven Return of Investment erreichen. Ihr Risiko bleibt äußerst überschaubar. Und auch für uns liegt der Reiz gar nicht so sehr im Verkauf der Anlagen, als vielmehr darin, die Produkte, die bei dem Recycling anfallen, nach Deutschland und in andere Länder zu einem festgelegten Preis zu importieren und deren Vermarktung zu übernehmen. Damit schaffen wir eine Win-Win-Situation und können vor Ort direkt mit lokalen Partnern kooperieren, was vor Ort auch wieder ökologisch sinnvolle Arbeitsplätze schafft. Beispiel Agrarsektor. Wenn beispielsweise irgendwo Zuckerrohr angebaut wird, ließe sich aus dem Abfall leicht hochwertige Bio-Kohle herstellen.
DWN: Wie lange wird es Ihrer Erwartung nach noch dauern, bis sich derartige Anlagen weltweit flächendeckend verbreitet haben? Und wie groß kann ihr Beitrag zu der Lösung unserer Müllprobleme sein?
Burkart Schulte: Um diese Technik weltweit einsetzen zu können, benötigen wir zunächst eine gute Pilotanlage in Deutschland. Diese ließe sich innerhalb eines Jahres errichten. Dann müsste eine Anlage in einem Schwellenland eingesetzt werden. Danach wäre ein weltweiter Einsatz möglich. Ich rede hier von mittelgroßen, dezentralen Anlagen, denn nur mit solchen ließe sich unser Konzept sinnvoll umsetzen.
Unsere Müllprobleme in Deutschland wären damit zwar noch nicht gelöst. Denn wie eingangs erläutert, dürfte es zu starken Widerständen seitens der Betreiber etablierter Müllverbrennungsanlagen kommen. Doch die Lösung der Probleme in den Schwellenländern- und dazu zähle ich alle Länder ohne große Müllverbrennungsanlagen - ist wichtiger und dabei wirtschaftlich auch sinnvoller. Wir können einen Beitrag für einen sauberen Planeten leisten und dadurch Ökonomie und Ökologie sinnvoll miteinander verbinden.
Info zur Person: Burkart Schulte ist Diplomingenieur. Seine beruflichen Schwerpunkte sind Abfallbehandlung und Recycling. Er hat in zahlreichen Ländern der Welt gearbeitet und ist nun CEO und geschäftsführender Gesellschafter der ReSet GmbH mit Sitz in Minden.