Das waren noch Zeiten. Die hippe Hauptstadt tanzte Techno und lud die Welt zur Love Parade nach Berlin. Prompt entschied die britische Billigfluglinie Easyjet, das EU-Festland zu erobern, um Städtetouristen von England in die neue Partytown zu befördern. Der regierende Bürgermeister war damals noch kultig und empfing persönlich im April 2004 den ersten Shuttle zwischen Berlin-Schönefeld und der Beatles-Stadt Liverpool. Aufbruch in eine neue Ära. „Wir haben die Luftfahrt demokratisiert“, lautet das Credo der Briten.
Der Brexit ist kein Thema mehr. Denn Easyjet hat sich längst europäisch aufgestellt, unterdessen. Berlin ist mit elf Flugzeugen und einer neuen Montagehalle für 500 Maintenance-Check-ups allein im vergangenen Jahr zum wichtigen Hub des Billigfliegers geworden. Für Flughafen-Chefin Aletta von Massenbach ist Easyjet gewissermaßen die Hauptstadt-Airline par excellence, seitdem AirBerlin pleitegegangen ist und die Lufthansa den neuen Flughafen Willy Brandt weiterhin nur als zweitrangig erachtet.
AirBerlin nur auf Warmwasser-Strecken unterwegs
Auch Berlins Ober-Sherpa Burkhard Kieker, Geschäftsführer von visitBerlin, der Tourismus- und Kongress GmbH, schwärmt von Easyjet. Ohne sie könnte er keine Touristen ins „Berghain“ lotsen, um sie auf den Gipfel zu führen. „AirBerlin war ja früher eher auf Warmwasserstrecken aktiv. Ohne Easyjet wäre Berlin niemals zu einem der drei Top-Städtetourismus-Ziele Europas avanciert (nach London und Paris)“, sagte Kieker jetzt anlässlich des ersten Easyjet-Fluges nach Berlin vor 20 Jahren.
Ein Jubiläum, das allerdings aus ökonomischer Sicht eher verhalten gefeiert wird von Thomas Haagensen, dem Europa-Direktor von Easyjet. Die Fluggesellschaft ist immer noch damit beschäftigt, Schulden abzuarbeiten und Verluste auszugleichen. Erst Corona, dann der Ukraine-Krieg und nun auch die Unsicherheit im Nahen Osten haben zwar die gesamte Branche gebeutelt. Im Gegensatz zu den Ferienfliegern, so Haagensen, „kommt das Punkt-zu-Punkt-Geschäft aber erst langsam wieder zurück.“
Doch nicht nur die jungen Abenteurer, die mit Easyjet in den vergangenen zwei Jahrzehnten Europa und den Mittelmeerraum für sich entdeckt haben – jeden Monat am liebsten bei einem neuen Kurztrip. Auch Geschäftsleute haben von den weitgespannten Direktverbindungen von Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart und München profitiert. Mal kurz nach Basel ans Schließfach oder Geld abheben im Transitbereich von Zürich. Shoppen in Mailand und Paris, zum Messebesuch nach Kopenhagen oder Nizza/Cannes. Allein aus Berlin hat Easyjet 84 Millionen Fluggäste in Europa verteilt – einst gab es wie selbstverständlich mal über 100 Ziele und Destinationen.
Easyjet versucht sich als Ferienflieger
Von damals in der Spitze 34 Maschinen in Berlin sind derzeit noch elf übrig geblieben. Das Versprechen auf neue Routen fällt überschaubar aus – nach Birmingham und Toulouse soll es im Sommer gehen. Es scheint so, dass Easyjet neuerdings lieber mit seinem neuen Service „Easyjet Holidays“ den Ferienfliegern Konkurrenz bereiten möchte. Wenn es nach Easyjet-Deutschland-Chef Stephan Erler geht, kehrt allmählich aber wieder Normalität ein. Peu à peu wird an der Wiederaufnahme attraktiver Städte-Verbindungen gearbeitet. Die jetzt für Deutschland vorgelegten Zahlen lassen auf sieben Prozent Wachstum in 2024 hoffen. Mit fünf Shuttles nach Paris pro Tag, vier nach Kopenhagen und London, dreimal nach Basel, Mailand und Palma kann man wieder an alte Zeiten anknüpfen.
Nur so billig wie früher wird es wohl nicht wieder. Aletta von Massenbach forderte zwar die Bundesregierung auf, die 2023 erhöhten Gebühren und Steuern möglichst wieder zu senken, weil diese im Wettbewerb mit anderen Flughäfen in Europa zu unfairen Benachteiligungen führen würden. Um die Kosten der Flugsicherung allein geht es schon längst nicht mehr in der Diskussion.
48 Euro Gebühren, bevor der Flieger abhebt
„Deutschland ist nicht mehr wettbewerbsfähig“, beteuerten unisono alle Protagonisten der Easyjet-Veranstaltung. Wobei Flughafen-Chefin von Massenbach genau weiß, dass es der Ampel auch um ein Zeichen in Sachen Klimaschutz geht. So selbstverständlich wie früher fliegt es nicht mehr. Dass pro Passagier und Flug mittlerweile 48 Euro auf dem Taxameter stehen, bevor der Flieger abhebt am BER, wird sich nicht mehr revidieren lassen.
Für Deutschland geht es beim Fliegen um andere Dinge, als Touristen in Südeuropa an den Beach zu bringen. Berlin wiederum sollte mit Kultur und Kongressen locken statt mit billigem Wochenend-Vergnügen – mit der Bierflasche durch Friedrichshain kiezen, ist mehr oder weniger aus der Zeit gefallen. Das Bewusstsein hat sich verändert in der Stille der Corona-Zeit. City-Breaks als Dritt- oder Viert-Urlaub werden mehr als pauschal 200 Euro kosten in Zukunft.
Da kann Easyjet noch so viele kerosinsparende Airbus Neo in Toulouse optionieren, über die derzeit 315 eingesetzten und verbindlich georderten Flugzeuge bis 2034 hinaus. Weniger Sprit zwar, aber stattdessen wieder mehr fliegen, das verändert bislang nicht erheblich die Klimabilanz, würden Umweltschützer einwenden. Innovationen und Nachhaltigkeitsanstrengungen der No-frills-Airline hin oder her. Wasserstoff als grüner Antrieb – das sind bislang bekanntlich noch ferne Blütenträume.
Tatsächlich war jetzt auf der Pressekonferenz in Berlin das Thema Flugscham überhaupt kein Thema mehr – niemand hat dazu auch nur eine Frage gestellt. Die Vision ist eine andere: Die Rollkoffer-Kommandos werden in Europas Top-Destinationen zurückkehren. Und Berlin kämpft Kieker zufolge kräftig mit, will auf keinen Fall als Reiseziel „von Rom oder Barcelona überholt“ werden. Aletta von Massenbach würde es natürlich auch freuen, in Berlin-Schönefeld nicht länger im Abseits zu liegen und zu fliegen.
Die Bahn fährt weiterhin am BER vorbei
Sie hofft, dass endlich auch die Bahn den BER nicht mehr links liegen lässt. Während nämlich die ersten Regionalzüge aus Mecklenburg-Vorpommern direkt zum BER durchfahren und für Intermodalität sorgen, wie von Massenbachs neues Zauberwort lautet, gibt es weder nach Dresden oder Leipzig eine schnelle Anbindung und auch aus Polen und Sachsen-Anhalt und Niedersachsen auf der Ost-West-Achse bringen bestenfalls Flixbusse preisbewusste Passagiere zum Gate. Doch auf der Bahnstrecke passiert eigenartigerweise nichts – no give, no take! Das sollte die Airport-Managerin in Schönefeld stutzig machen.