Weltwirtschaft

Digital Services Act (DSA): Shein und Temu im Visier der deutschen Behörden

Lesezeit: 4 min
15.05.2024 16:28  Aktualisiert: 15.05.2024 16:28
Der Digitale Service Act (DAS), die neue EU-Verordnung für Anbieter digitaler Dienste, ist seit dem 17. Februar 2024 in Kraft. Auch Nicht-EU-Unternehmen, die ihre Dienste in der Europäischen Union anbieten, müssen sich an die Vorgaben halten. Chinesische Handelsriesen wie Shein oder Temu agieren nicht immer regelkonform und bekommen nun Gegenwind von den deutschen Behörden.

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Es sind Zahlen, die es in sich haben: 108 Millionen Nutzer beim Modeversender Shein, 75 Million Nutzer bei Temu. So viele Nutzer erreichten die Anbieter im Zeitraum von Oktober 2023 bis März 2024. Zwei Handelsriesen aus China, die gerade dem deutschen Onlinehandel massiv zusetzen. Ihre Waren werden aggressiv im Internet zu unschlagbar günstigen Preisen beworben. Sie gelten als ernsthafte Bedrohung für hiesige Unternehmen aufgrund ihrer fragwürdigen Geschäftspraktiken.

Dazu gehört zum Beispiel die Falschdeklaration der Pakete, wie Harald Gutschi, Geschäftsführer der Unito Gruppe, es der österreichischen Kronenzeitung gegenüber äußert. Gutschi rechnet damit, dass über 65 Prozent der Pakete falsch deklariert sind. So werde der Warenwert zu niedrig angesetzt oder die Sendung werde auf mehrere Pakete verteilt, um unter der Zollfreigrenze zu bleiben. Doch damit ist nicht genug. Der Fantasie scheinen keine Grenzen zu geben, um Käufer zu überzeugen.

Temu Abmahnung: Gleich mehrere Verstöße

Die Praktiken der chinesischen Konkurrenz gingen auch der Verbraucherzentrale Bundesverband irgendwann zu weit (VZBZ). Sie mahnte die Handelsplattform Temu der Chinesen ab. Gleich mehrere Verstöße mit Produkten waren der Anlass dafür. Wer sich die Internetseite anschaut, kann sich vorstellen, warum die Verbraucherschützer die Reißleine gezogen haben. Überall dominieren die hohen Rabatte, wird runtergezählt wie viele Produkte vom Wunschprodukt noch da sind oder gibt es kostenlose Versandangebote. Eine wahre Preisschlacht, die sich kaum rechnen lässt. Es wird mit manipulativen Methoden gearbeitet, die unter dem Namen „Dark Patterns“ bekannt sind, aber welche laut dem DAS-Abkommen in der EU seit der Neuregelung verboten sind.

In vielen Fällen kann nicht überprüft werden, ob die in der EU gültigen Grenzwerte für Chemikalien oder die Sicherheitsstandards bei elektronischen Geräten eingehalten werden. Zusammenfassend lautet der Vorwurf, dass Temu Verbraucher verunsichere mit willkürlich erscheinenden Rabatten, fragwürdigen Bewertungen und manipulativen Design übervorurteile. Gleichzeitig sind die asiatischen Handelsriesen sehr erfolgreich mit ihrem Vorgehen. Sie sind anders aufgestellt als deutsche Unternehmen, vor allem, was die Produktion angeht. Sie produzieren „just in time“, erst wenn der Kunde bestellt. Die Sachen werden direkt beim Hersteller produziert, die Lieferketten funktionieren weitaus besser als hierzulande.

Fragwürdige Geschäftspraktiken bei Shein und Temu

Bereits im Februar dieses Jahres hatte der Handelsverband Deutschland (HDE) von der Politik Konsequenzen diesbezüglich gefordert, um gegen die Wettbewerbsverzerrungen vorzugehen. Er setzt sich für ein neues Verfahren beim Zoll an den EU-Außengrenzen ein. Der Vorschlag: Eine digitale Plattform, bei der jedes Paket angemeldet werden müsse. Pakete von Handelsunternehmen, die sich wiederholt nicht an Recht und Gesetz hielten, könnten dann künftig aussortiert werden.

Auch der chinesische Onlineriese und E-Commerce Anbieter „Shein“ wurde jüngst neu bewertet. Die Europäische Kommission hat den chinesischen Handelsriesen im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienstleistungen (DSA) zu einer sehr großen Online-Plattform (VLOP) erklärt. Das hat Konsequenzen für den Anbieter und erfordert eine Anpassung seinerseits. „Shein“ muss Maßnahmen ergreifen, um Risiken wie die Auflistung und den Verkauf von gefälschten Waren, unsicheren Produkten und Artikeln, die geistige Eigentumsrechte verletzen, zu vermeiden. Für ein Unternehmen, das bereits mehrfach wegen Produktpiraterie auf seiner Website verklagt wurde, ist dies eine willkommene Nachricht für Markeninhaber. Bis Ende August 2024 hat das Unternehmen dafür Zeit, um die strengen Regeln des DAS zu erfüllen. Bei Nichteinhaltung des DSA droht eine Geldstrafe von bis zu 6 Prozent des weltweiten Umsatzes des Unternehmens führen.

Hinter „Shein“ steht das junge Unternehmen Infinite Styles Ecommerce Deutschland GmbH, mit Sitz in Berlin. Der deutsche Ableger wurde erst im Frühling 2022 gegründet und wird von der Chinesin Shiwei Yu geleitet. Seit September 2023 agieren vier PR-Manager im Deutschen Bundestag als Interessenvertreter für den Online-Modehändler laut dem Lobbyregister des Bundestages. Der Hauptsitz der unscheinbaren GmbH auf dem Kurfürstendamm in Berlin befindet sich in Dublin. In Asien ist der 2008 gegründete Anbieter bereits sehr erfolgreich. 2022 erzielte das Unternehmen laut der Deutschen Verkehrszeitung (DVZ) einen Umsatz von knapp 30 Milliarden US-Dollar.

Bei Temu steht die Einstufung noch bevor, wird aber aller Voraussetzung nach ähnlich bewertet werden. Hinter dem Unternehmen steht das chinesische Unternehmen Pinduoduo (PDD), welches 2022 einen Umsatz von 19 Milliarden Dollar erzielte. Shein und Temu sind unter den Onlineriesen die einzigen beiden Plattformen, die 2023 deutlich an Marktanteile zugelegt haben, laut einer Marktuntersuchung der International Post Corporation.

Dass die Gesetzeshüter Vergehen nicht auf die leichte Schulter nehmen, zeigt auch das jüngste Urteil des Landesgerichts Düsseldorf gegen Amazon. Laut der Entscheidung von August 2023 muss Amazon für eine Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters haften, wegen Produkte, die von Dritten auf ihrem Marktplatz angeboten werden. Als Plattformbetreiber ist Amazon dazu verpflichtet, die Einhaltung des Designrechts seiner Händler zu überprüfen.

Sieben Fußballfelder Warenlager

Sowohl Shein als auch Temu gehören bei der globalen Luftfracht mit extrem großen Ladungsmengen aktuell zu den größten Luftfrachtverlader der Welt. Die Rede ist laut Berechnungen der Unternehmensberatung Cargo Facts Consulting von 5000 Tonnen täglicher Ladefracht für Shein aus China und 4000 Tonnen täglicher Luftfracht für Temu.

Shein scheint sich auf die regulatorischen Veränderungen besser einstellen zu wollen. Dies zeigen Aktivitäten bei der Personalsuche, die Hinweise geben. So scheint sich das Unternehmen beim Import von Sendungen aus China neu ausrichten zu wollen und sucht einen „Produktmanager Fulfillment“. Im Jobprofil soll dieser maßgeblich für die Koordinierung von Importfrachtströmen wachen. Es wird vermutet, dass Shein in Zukunft die Weiterleitung der Ladungsströme in Eigenregie organisieren möchte in Form einer Lagerlogistik. Dazu möchte Shein ein Verteilerzentrum in Polen eröffnen. Im polnischen Breslau wurden laut DVZ, Lagerflächen von 40.000 Quadratmetern dazu angemietet.

Es ist ein riesiger lukrativer Markt, den die Plattformbetreiber nicht ohne weiteres aufgeben werden. Im Gegenteil, auch Social-Media-Plattformen wie TikTok denken seit längerem darüber nach, in Europa die Shopping-Funktionen zu integrieren. Social Selling und Social Commerce haben sich mittlerweile als eigenständige Verkaufskanäle im digitalen Commerz etabliert. Temu hat seinen Marktplatz nun auch für Onlinehändler aus den USA geöffnet, später sollen auch Händler aus Europa über die Temu-Plattform verkaufen können.

Die erstarkende Konkurrenz aus China erfordert entsprechende Maßnahmen hierzulande. Es muss sichergestellt werden, dass die gleichen Vorschriften und Verpflichtung für sie wie für ihre europäischen Konkurrenten gelten. Nur so kann fairer Wettbewerb funktionieren. Es bleibt abzuwarten, ob die Mitgliedstaaten oder die EU-Kommission Untersuchungen zu den Praktiken von Shein im Rahmen des DSA einleiten.

                                                                            ***

Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 


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