Die Konferenz der Bauminister hat sich geeinigt: Die nächsten fünf Jahre sollen zur Abwechslung mal keine neuen Vorschriften das Bauen in den Bundesländern verteuern. Mit dem von Bundesbauministerin Klara Geywitz verfolgten Ziel, das Baugesetzbuch zu entstauben und Abkürzungen im Baugenehmigungsverfahren zu ermöglichen, hat das natürlich nur wenig zu tun. Es herrscht Wohnungsnot in den großen deutschen Städten, aber Lösungen, wie der Wohnungsbau schnellstens wieder angekurbelt werden könnte, sind nirgends in Sicht.
Auch in der Hauptstadt nicht, wo sich zwar regelmäßig die Crème de la Crème der Architektenschaft zusammen mit Juristen, Projektentwicklern, Beamten und Politikern (in den Räumlichkeiten des Architekturpreises Berlin am Kurfürstendamm) zum Austausch trifft. Diese Woche wurde eigens Bausenator Christian Gaebler (SPD) einvernommen, der sich „mehr Tempo am Bau“ wünscht und im Abgeordnetenhaus mit einer Reform des Berliner Baurechts vorangehen möchte. So kündigte er es jedenfalls selbstbewusst an - freilich ohne großes Überzeugungsvermögen. Dass die CDU/SPD-Koalition es durchwinkt, scheint sicher zu sein. Aufbruch indessen sieht anders aus.
Berichtet werden muss vom Bauprojekt Pankower Tor auf einem riesigen Bahngelände im Nordosten der Hauptstadt. Es gehört dem Familienunternehmer Kurt Krieger, der mit gut 10.000 Mitarbeitern und 75 Standorten bundesweit Baumärkte wie Höffner, Sconto oder Möbel Kraft betreibt. Vor fast 20 Jahren plante seine Entwicklungsabteilung in Berlin, auf dem brachliegenden Areal des alten Pankower Rangierbahnhofs einen neuen Markt (sowie einen Bürgerpark) zu errichten. „Inzwischen geht es um 2.500 neue Wohnungen“, sagt Edda Metz, die Geschäftsführerin der Krieger-Gruppe. Dass endlich gebaut wird, erscheint derzeit aber als unwahrscheinlich.
Wo Artenschutz den Wohnungsbau verhindert
„In der Politik wollen inzwischen eigentlich alle das Projekt“, glaubt die Juristin. Doch nun sind auf dem Gelände im vor Jahren mit Lastern abgekippten Kies, Spuren von Kreuzkröten aufgetaucht. Behaupten zumindest Naturschützer, die dort offenkundig eine bauliche Verdichtung verhindern wollen und auch keinen Wohnungsbau wünschen. Die Berliner Bauverwaltung ist seither hin und weg, was jetzt gilt und höher wiegt, der Naturschutz oder das Baugesetzbuch. Ein Gutachten jagt das nächste. Verhärtete Fronten, alle Seiten haben das Recht gepachtet. Ohne Gerichtsentscheidung, vermutlich erst in der letzten Instanz, wird es wohl nichts werden. „Dabei ist der Artenschutz doch kein Bauverhinderungsrecht“, klagte Metz den versammelten Bauexperten ihr Leid und konfrontierte den Bausenator mit der Realität jenseits seiner Amtsstube.
Kreuzkröten sind nicht hübsch, und auch nicht selten. In NRW auf der Essener Zeche Zollverein (siehe Foto) wurden sie auch bereits gesichtet. Man könnte sie umsiedeln, und sie würden dies kaum als fundamentalen Eingriff in ihr Dasein empfinden. Doch im täglichen Abwägungsprozess einer Verwaltung löst die Kreuzkröte erstaunliche Lähmungserscheinungen aus. „Es müsste jemand im Amt den Hut aufhaben und mal eine mutige Entscheidung treffen“, forderten die fassungslosen Zuhörer des „Gesprächs am langen Tisch“ im Kutscherhaus und pflichteten der Krieger-Geschäftsführerin zu.
Der Senator mochte indessen nicht seine Hand heben, um diesen Part zu übernehmen. Er delegiert lieber und ordnet die Abläufe in der Verwaltung. 16 Jahre Berliner Abgeordneter, danach Staatssekretär für Umwelt und Verkehr, in Diensten gleich mehrerer Regierender Bürgermeister, zuletzt sogar Chef der Senatskanzlei. Aktenfresser, nennt man derlei Politiker üblicherweise. Führungskräfte sind sie eher selten. Seit dem Regierungswechsel im Land Berlin setzt der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nun darauf, dass Gaebler, der alle kennt und bestens vernetzt ist, das dringendste Problem der Metropole löst: die grassierende Wohnungsnot und den fast zum Erliegen gekommenen Neubau. Schafft er die Quadratur des Kreises?
Wer mit allen redet und nichts entscheidet
Gaebler hofft, dass es von Vorteil ist, die meisten Akteure schon seit Jahren zu kennen - vor allem die Überzeugungstäter im Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die haben noch alle invasiven Arten im Land entdeckt, bevor ein Bagger kam oder gar ein Kran. Und sind über ihre ehrenamtlichen Mitglieder innerhalb der Verwaltung, wie Gaebler vermutet, immer bestens im Bilde oder bereits auf direktem Wege in die örtlichen Zeitungsredaktionen. Als Wunderwaffe versucht Gaebler deshalb nun seinen persönlichen Bau-Turbo zum Einsatz zu bringen und es Bundesbauministerin Klara Geywitz (ebenfalls von der SPD) zu beweisen, wie politische Probleme ruckzuck gelöst werden. Der Senator glaubt, sein geplantes „Schneller-Bauen-Gesetz“, wie er es nennt, werde die Verkrustungen und den Rost schon lösen. „Gut 700 Anregungen“, sagt Gäbler, hätten er und sein Haus geprüft. „41 gesetzliche Vorschriften und 69 untergesetzliche Regelungen“ sollen nun vom Parlament modifiziert oder aufgehoben werden.
Seine Verwaltung werde künftig vor allem dazu angehalten sein, in fixen Fristen zu entscheiden - „am besten in drei Monaten und nicht erst in drei Jahren“. Vor allem sollen sich alle Beteiligten gleich von Anfang an „zu einer Art Auftaktkonferenz“ an einen Tisch setzen, um die drohenden Probleme und Hürden zu identifizieren, sodass das Verfahren nicht länger durch immer neue Einwände aufgehalten wird. Klingt gut, nach wirklich gutem Willen, allerdings nicht sonderlich nach verbindlichen Vorschriften für die Sachbearbeiter und Beamten. „Man muss sehen: Was ist möglich, was ist machbar“, so Gaeblers große Hoffnung. „Ganzheitliche Betrachtung“ ist ein weiteres seiner Schlagworte - und „die Berechenbarkeit“.
Das soll was zum Ruckeln bringen, auch wenn es vielleicht keinen Ruck geben wird, der durch Berlin geht. Dass die Hauptstadt unter einer völlig dysfunktionalen Bauverwaltung leidet und ächzt, weiß Gaebler natürlich schon lange. Aber die letzte Fundamentalreform gab es in der Hauptstadt anno 1920 - als die Umlandgemeinden zu Großberlin vereinigt und eingemeindet wurden. Die letzte Reform anno 2001 war lediglich ein verkapptes Spardiktat, bei dem die Anzahl der kommunalen Bezirke von 23 auf zwölf reduziert wurde - seither funktioniert kaum noch etwas reibungslos in Berlins Behörden. Warum auch?
Todeszone Kreuzberg - wo alles verhindert wird
Was hat etwa der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt von den Grünen davon, wenn in seinem Bezirk gebaut wird? Nur Arbeit, allerdings keine extra Steuereinnahmen, die als Anreiz dienen können. Und so gilt Schmidts Verwaltungsbereich Investoren und Bauherren als eine Art Todeszone - nichts geht voran, fast alles wird ausgebremst. Bis endlich ein Richter (und manchmal auch die übergeordnete Senatsverwaltung) ein Machtwort spricht.
Nicht selten kommt es zum Schluss sogar auf Polizeikräfte an, die etwaige Anordnungen wie Räumungsbefehle vor Ort durchsetzen musste - auch gegen den erklärten politischen Willen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Dann lieber eine Schule bauen in Madrid, wie Baumeister Armand Grüntuch, der ernsthaft glaubt, dass er mit „schönen Bildern“ die Verwaltung vom hehren Bauen überzeugen könne.
Wenn Zuhörer vegetativ die Augen rollen
Die meisten Architekten, vor allem die Investoren-Vertreter, mussten bei den eingeworfenen Vorschlägen („Mehrwertsteuer für Wohnungsbau abschaffen!“, „Eine zentrale Rufnummer für Beschwerden und verzögerte Baugenehmigungen!“, „Eine neue Berliner Bauausstellung!“) bereits vegetativ die Augen rollen, ob der Aussichten auf greifbare Verbesserungen in Berlin.
Immerhin ist Senator Gaebler schon seit Jahren dafür bekannt, dass er zwar mit allen Seiten ausgiebig redet und es am liebsten allen recht machen möchte. Dass sich jedoch die Lobbyisten und Interessengruppen nach seinen Interventionen konstruktiv aufeinander zu bewegen würden, davon hat man nur selten etwas gelesen oder gehört. Die meisten großen Baupläne landen ohnehin vor Gericht - die Richter müssen dann im Namen des Volkes für Baugenehmigungen sorgen, oder mindestens neue Gutachten auf Kosten der Bauherren einfordern.
Dass Bauen damit unter dem Strich immer teurer wird, und nun seit der Zinswende fast unbezahlbar geworden ist, hat zum schlagartigen Baustopp geführt. Im ganzen Land, vor allem aber in Berlin. Wo es Bedarf ohne Ende für neue Wohnungen gibt und die Young Urban Professionals, die die Stadt dringend braucht, inzwischen das Weite suchen, weil sie für ihre Familie keinen adäquaten Wohnraum in der Hauptstadt finden. „Bei Baukosten von 5000 Euro pro Quadratmeter müsse die Miete bei 27 Euro liegen“, rechnete Edda Metz vor, „wer soll das bezahlen?“
Also müssten günstige Grundstücke zur Verfügung gestellt werden. Zum Beispiel auf den 66.000 Kleingarten-Parzellen, die gefühlt gut die Hälfte der Berliner Innenstadt einnehmen, in besonders idyllischen Wasserlagen oder an Grünzügen, überall dort, wo die heiligen Kühe auf der grünen Wiese grasen. Berlin könnte dort beträchtliche Baureserven auf nicht selten sogar landeseigenen Flächen schöpfen - nur freilich nicht im freundschaftlichen Dialog mit den Laubenpiepern. Dazu müssten Politiker wie Gaebler mal vorangehen und unbequeme Wahrheiten verkünden. In einer Demokratie das größte Problem für Berufspolitiker, die an ihren Posten kleben oder wiedergewählt werden wollen.
„Wir haben immerhin unsere Wohnungsbau-Leitstelle“, erinnerte Gaebler, um seine exzellente, wenn auch notorische unterbesetzte Verwaltung zu verteidigen. Am Ende des Abends verlor selbst Gaebler etwas die Geduld. „So viel Zeit habe ich nicht“, warnte der Bausenator. Das Wohnungsproblem müsse zügig angegangen werden. Er glaubt, dass er es wie in den 70er-Jahren auf der grünen Wiese am Stadtrand hinbekommen wird. Eine Idee, die auch schon Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) öffentlich propagiert hat. Fakt ist, dass Berlin nicht einmal Baurecht auf dem alten Flughafen Tempelhof schaffen wird, absehbar. Dort werden die Naturschützer sicherlich auch vom Aussterben bedrohte Arten entdecken - oder im Zweifelsfall persönlich aussetzen. Auf zur nächsten Runde im Stellungskrieg der Lobbyisten.