Die Krankenkassen warnen nun vor einer großen Finanzierungslücke. Nach der DAK rechnet auch der Verband der Ersatzkassen NRW (VdEK) mit einem Anstieg zum Jahreswechsel. „Die Pflegekassen gehen davon aus, dass die Finanzmittel im ersten Quartal 2025 insgesamt weniger als eine Monatsausgabe betragen. Für diesen Fall darf die Bundesregierung den Beitragssatz per Rechtsverordnung anheben“, erklärte der Verband der „Rheinischen Post“. „Die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit des Gesamtsystems macht nach aktueller Datenlage eine Beitragssatzanhebung voraussichtlich schon zu Beginn des Jahres 2025 erforderlich.“
Ähnlich hatte sich Anfang April DAK-Vorstandschef Andreas Storm geäußert. Er sprach von der Notwendigkeit, den Beitragssatz zur Pflegeversicherung voraussichtlich zum kommenden Jahreswechsel anzuheben – und zwar nach dem derzeitigen Rechenstand um etwa zwei Beitragszehntel. Der unabhängige Beirat des Stabilitätsrats rechnet auch mit einem Anstieg der Krankenkassenbeiträge. Der Beiratsvorsitzende Thiess Büttner sagte kürzlich eine Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge im nächsten Jahr um mindestens einen halben Prozentpunkt voraus.
Verbandschef: Bund soll die private Pflegeversicherung in die Pflicht nehmen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte am Montag deutlich gemacht, dass er keine Chance mehr auf eine Pflegereform in dieser Wahlperiode sieht – obwohl die Zahl der Pflegebedürftigen massiv steigt. Grund dafür seien die unterschiedlichen Ansichten der Ampel-Partner.
VdEK-Chef Dirk Ruiss nannte dies mehr als enttäuschend. Er fordert, die privaten Versicherer in die Pflicht zu nehmen: „Die Verpflichtung der privaten Pflegeversicherung, sich mit einem Finanzausgleich an der sozialen Pflegeversicherung zu beteiligen, könnte zu einer Entlastung von bis zu zwei Milliarden Euro jährlich führen“, sagte er. Zugleich fordert er die Finanzierung der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige durch Steuermittel. „Das würde 3,7 Milliarden Euro Entlastung für die Pflegeversicherung bedeuten.“
Eigentlich sollten die Finanzen der Pflegeversicherung bis 2025 abgesichert sein. Dafür hatte der Bundestag im vergangenen Jahr einen Beitragsanstieg für Kinderlose auf 4 Prozent und für Beitragszahler mit einem Kind auf 3,4 Prozent beschlossen. Der Arbeitgeberanteil ging auf 1,7 Prozent herauf. Bei mehr Kindern sinkt der Beitrag. Der Spitzenverband der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen prognostizierte noch im Oktober Handlungsbedarf bei den Beiträgen spätestens für 2025. Tatsächlich zeichnen sich nach Angaben der Experten aber bereits jetzt erhebliche Finanzierungslücken ab.
Sozialexperte: Pflegebedürftige sollen Pflegekosten das erste Jahr selbst zahlen
Der Freiburger Sozialexperte Bernd Raffelhüschen plädierte für eine einjährige Selbstbeteiligung der Betroffenen an den Kosten. „Die Kostenlawine ist nicht mehr aufzuhalten. Um die Folgen abzumildern, sollte eine Pflege-Karenzzeit schnellstmöglich eingeführt werden“, sagte er der „Bild“. Pflegebedürftige müssten dann das erste Jahr die Pflegekosten selbst zahlen. „Erst danach fließen Leistungen aus der Pflegeversicherung.“ Der Ökonom sagte einen stark steigenden Beitragssatz voraus: „Die Pflegeversicherung könnte bis 2040 auf circa sieben Prozent für Kinderlose steigen.“
Medizinischer Dienst erwartet weiter starken Anstieg der Pflegefälle
Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) erwartet einen weiteren deutlichen Anstieg der Pflegefälle wegen der Zunahme von Demenzerkrankungen. „Schätzungen zufolge wird sich die Anzahl von Menschen mit Demenz in Zukunft weiter stark erhöhen, sollte kein Durchbruch in Therapie und Prävention erzielt werden“, sagte die stellvertretende MDK-Bundesvorstandsvorsitzende Carola Engler der „Augsburger Allgemeinen“. Die Gutachter der Pflegekassen hätten im vergangenen Jahr 160 000 Erstanträge mehr bearbeiten müssen als im Vorjahr. Insgesamt sei die Zahl der Erstanträge auf 1,35 Millionen gestiegen.
Lauterbach hatte am Montag vor einem explosionsartigen Anstieg der Pflegefälle gewarnt. Im vergangenen Jahr kamen rund 35 000 Pflegebedürftige mehr als in den Vorjahren üblich dazu, wie der Spitzenverband der Krankenkassen mitteilte. Die Zahl stieg damit auf 361 000.