Der Architekt Matthias Sauerbruch hat sich schon am Anfang seiner über 30-jährigen Karriere mit nachhaltigen Bauen beschäftigt und in der Euphorie nach dem Mauerfall in Berlin eines der ersten maßgeblichen Niedrig-Energiehäuser gebaut - das berühmte GSW-Hochhaus an der Kochstraße (in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt) mitten im traditionsreichen Berliner Zeitungsviertel. Jahrzehnte später gilt es, vom neu benannten „Rocket Tower“ zu lernen.
Es war seinerzeit alles andere als en vogue, über CO2-Verbrauch und Energiesparen nachzudenken am Bau. Der zuständige Senatsbaudirektor Hans Stimmann und seine Kamarilla junger Architekten, ideologisch verbunden durch die IBA in Kreuzberg - die Internationale Bauausstellung Berlin anno 1987, hatten damals nur eines im Sinn: das steinerne Berlin zu bauen. Nicht nur moderne zeitgemäße Architektur war Teufelszeug aus ihrer Sicht, Energie-Effizienz war ein Fremdwort. Und sie wussten zu verhindern, dass das neue Berlin durch architektonische Vielfalt und Weltklasse bestach. Junge internationale Architekten wurden von den Fleischtöpfen ferngehalten, so gut es ging. Sauerbruch hatte schlicht Glück, dass die Entscheidung der GSW so früh in den 90er-Jahren fiel und die später eingefahrenen Strukturen noch nicht verfestigt waren.
Sauerbruch musste lange warten, bis er endlich die verdienten Folgeaufträge einheimsen konnte. Erst wieder, als der Bund eine knallige markante Feuerwache gegenüber vom Kanzleramt brauchte, kam sein Büro zum Zuge. Zusammen mit seiner Partnerin Laura Hutton hat sich Sauerbruch in London selbständig gemacht und nach Berlin begeben, als die Chance ihres Lebens kam, das frühere Ullstein-Areal für die Zentrale der Wohnungsbaugesellschaft GSW neu zu konzipieren. Beide Architekten machten intuitiv genau das Richtige, sie ließen die aus der Zeit gefallenen Altbauten von Schwebes und Schoszberger stehen und ergänzten das Areal um ein flächenreduziertes Neubauensemble, das bis heute zu den großen Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt gehört.
Dass damit reichlich „Graue Energie“ eingespart wurde, konnte man damals noch gar nicht ermessen. Heute muss man das, wenn man ernsthaft in Architekten-Wettbewerben teilnehmen und konkurrieren will. Der heutige Rocket-Tower ist in vielerlei Hinsicht ein „Landmark“ - als Gebäude und Programm. Heute kann man abschätzen, wieviel Beton äquivalent mit Jahren der Energieverbrauchs verrechnet werden kann - der Co2-Fußabdruck des Bauens.
Wir verweisen hier auf Wikipedia, die das Besondere des Hochhauses so beschreiben: „Das auffälligste Merkmal des Gebäudes ist die Sonnenschutzanlage der Westfassade. Anstatt Rollos oder Vorhänge planten Sauerbruch Hutton vertikale Metall-Lamellen. In dem Zwischenraum zwischen der inneren und der äußeren Verglasung wurden farbig beschichtete Aluminiumbleche angebracht. Jedes Fenster besitzt jeweils drei dieser Metallbleche. Je nach Lichteinfall drehen sich die Lamellen: parallel zur Fassadenebene für starke Verschattung, senkrecht zur Fassadenebene für maximalen Lichteinfall. Da die Sonnenschutzelemente mit neun aufeinander abgestimmten Farbtönen gestaltet wurden, ergibt sich bei komplett geschlossener Fassade ein unregelmäßiges Bild, ähnlich einem Mosaik oder abstrakter Pixel-Art – in verschiedenen Tönungen der Farben Rot, Orange und Rosa. Wenn wenig Licht auf die Westfassade scheint, können die Lamellen gedreht und zusammengeschoben werden, sodass in der Frontalansicht gar keine farbigen Flächen zu sehen sind. Dann erscheint das Gebäude als komplett transparenter Glasbau.“
Die Redakteure im gegenüberliegenden Hochhaus des Axel-Springer-Verlages, die das Ullstein-Gelände abgegeben hatten, waren hellauf begeistert. In der Bildredaktion der „Berliner Morgenpost“ wurde fast jeden Tag das Sonnenlicht hinter den GSW-Hochhaus fotografisch eingefangen - Magie aus Farben und Licht-Reflexen in einer zeitgemäßen Architektur.
Leider hat es lange gedauert, bis weitere aufstrebende Baumeister - hie und da - Chancen wie Sauerbruch und Hutton bekamen, Zeichen zu setzen in der Hauptstadt. Der Münchener Stephan Braunfels etwa mit seiner imposanten Bundestags-Spange (als Verklammerung von Ost und West) und als Brückenkonstruktion über die Spree konzipiert. Armand Grüntuch und Almut Ernst sind gerade dabei, ein Wohnhaus am Moabiter Spreebord zu vollenden, dass man als Besucher und Flaneur, von der Straße kommend, über eine Art Wendeltreppe zum Dachgarten besteigen kann. Statt weiter Flächen zu versiegeln, wird ein Haus zur Grünfläche.
Orte schaffen für den sozialen Austausch
Das frühere GSW-Hochhaus mit seiner kleinen „Pillbox“ (dem farbenfrohen Pillendöschen an der Kreuzungsspitze) hat viele wachgerüttelt, vor allem Farbe ins Stadtbild gebracht, wo bislang nur Stein, Beton und kühles Glas vorherrschte. Was erst jetzt so richtig gewürdigt wird, ist vor allem, das Bewusstsein für die Natur. Neuerdings wird endlich in den elitären Architektenzirkeln beratschlagt wird, was die Zunft der Baumeister zum Klimaschutz beitragen kann.
Sauerbruch, inzwischen Professor und Partner von über 1000 Architekten weltweit, hat diese Woche im Kutscherhaus des Vereins Architekturpreis Berlin referiert, wie wichtig und vordringlich „eine Zukunftsmoderne für die Architektur“ ist. Er hat weitere Anstöße gegeben und sogar einen 10-Punkte-Programm vorgelegt. Darin hat er zusammengefasst, um nur drei der zehn zu nennen, „wie Stadtstruktur erlebbar gemacht werden kann“, „Orte geschaffen werden für den sozialen Austausch“ und wo - last but not least - „der liebe Gott im Detail“ der schönen Architektur steckt und entdeckt werden kann vom neugierigen und inspirierten Betrachter.
In seiner Werkschau hat Prof. Sauerbruch veranschaulicht, wie das Kreuzberger Hochhaus den Werdegang des Büros Sauerbruch & Hutton bestimmt hat. Und wie es später zum Beispiel eine kongeniale und programmatische Fortsetzung in Bauten wie dem Bundesumweltamt in Dessau gefunden hat - stilistisch und farblich, aber vor allem fortschrittlich und umweltbewusst.
Neuerdings ein Apologet des Holzbaus
Inzwischen ist auch Sauerbrauch ein Apologet und Fan des Holzbaus. Freilich nur, wenn die Gebäude nicht als Förster-Häuschen in der Landschaft stehen, sondern geeigneten Baustoff für die Schönheit echter Architektur bieten. In Berlin-Weißensee ist er gerade dabei ein Holz-Kompetenz-Zentrum hochzuziehen - ein neues Holzwerk in Frankfurt/Oder ist mit von der Partie, um gemeinsam zu erforschen und Fundamente zu legen für einen kostengünstigen Einsatz des nachwachsenden Rohstoffs. Holz, Stroh, alles wird auf seine Verwertbarkeit betrachtet. Vor allem der wegen des notwendigen Waldumbaus in Brandenburg erforderliche Holz-Einschlag. Das billige Kiefernholz erfüllt vollkommen den Zweck als Baustoff, sagt Sauerbruch, auch wenn er teils einen Blaustich hat und es schöneres Holz gibt in der Maserung. Für das ökologische Ziel reicht dies jedoch allemal aus.
Die Frage wird sein, ob die Politik genug Zeit hat, das Problem mit dem knappen Wohnraum in den großen Städten zu lösen, indem es auf Messergebnisse wartet. „Die Politiker hören leider den Architekten nur selten zu“, beklagt Sauerbruch und hofft inständig, dass Deutschland von neuen Trabantenstädten auf der grünen Wiese verschont bleibt. Das Gute ist, dass ihm wenigstens seine Kollegen zuhören und offenbar sogar angespornt sind, neue Wege am Bau mitzubeschreiten.