Technologie

ILA 2024 in Berlin: Scholz und halbes Kabinett schwören Luftfahrt auf Zeitenwende ein

Am Flughafen Willy Brandt in Berlin-Schönefeld (BER) hat gestern wieder die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) ihre Pforten für Fachbesucher und technikaffines Publikum eröffnet. Der große Umschlagpunkt für neue Flugzeug-Order ist die ILA bis zum 9. Juni zwar nicht mehr, dieses Rennen hat Berlin gegen Farnborough in England und Le Bourget bei Paris endgültig verloren. Dennoch ist die Regionalmesse angesichts Kriegs-schwangerer Zeiten dieser Tage ein Ort, um Präsenz zu zeigen und politische Zeichen zu setzen. Die DWN geben Orientierung.
06.06.2024 06:13
Lesezeit: 4 min
ILA 2024 in Berlin: Scholz und halbes Kabinett schwören Luftfahrt auf Zeitenwende ein
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht beim Eröffnungsrundgang auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) auf dem Gelände vom Flughafen BER an einem mit einem Taurus-Marschflugkörpern bestückten Eurofighter vorbei. (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Zur Eröffnung der Luftfahrtmesse hat ausgerechnet unsere Kranich-Linie für Aufmerksamkeit und Schlagzeilen gesorgt. Lufthansa Defense geht in die Offensive und plant, das Rüstungsgeschäft im Steilflug nach oben zu ziehen. Nicht dass die Passagiermaschinen mit Luft-Boden-Raketen bestückt werden sollen, so ein schlechter Scherz dieser Woche, aber an der Wartung von F-35-Jets der Firma Lockheed-Martin möchte der Lufthansa-Vorstand schon gerne mit verdienen. Die Margen sind beträchtlich und warum sollen nur Airbus und Rheinmetall kräftig abkassieren – die Lufthansa weitet ihr Geschäftsfeld, den Zeiten angepasst, aufs Militärische aus. Das halten manche für zynisch, entspricht aber dem Gedanken der Zeitenwende im Lande.

Die Messe der Zeitenwende: Was Deutschland in petto hat, sich zu verteidigen

Die hat bekanntlich Kanzler Olaf Scholz mit dem Angriff der Russen auf die Ukraine ausgerufen und der den zähneknirschenden Bürgern der Bundesrepublik verordnet. Und nach dem ständigen Lavieren, dem unwürdigen Hin und Her, ob und wie man dem attackierten Land am Schwarzen Meer helfen sollte, scheint der SPD-Politiker nun tatsächlich führen zu wollen. Gestern hat Scholz die Luft- und Raumfahrtausstellung ILA am südlichen Rand des Hauptstadtflughafens eröffnet.

„Die Bundesregierung hat größtes Interesse an einer starken Luft- und Raumfahrtbranche in Deutschland und Europa“, sagte der Kanzler nach einem knapp zweistündigen Rundgang über die Messe. „Ihre Innovationen und Erfindungen begeistern nicht nur das Publikum hier auf der ILA.“ Hört, hört! Rolf Mützenich, der Fraktionsvorsitzende der deutschen Sozialdemokraten, hätte das nie und nimmer so formuliert. Und das zeigt, da ist wieder was ins Rutschen gekommen. Scholz will sich als Realpolitiker in Szene setzen und Zeichen setzen – in Berlin, Washington auch, und bis nach Moskau abstrahlen.

Die Politik in Deutschland habe um die Rüstungsbranche „in der Vergangenheit einen zu großen Bogen gemacht“, sagte Scholz bei der Eröffnung. „Das ist vorbei. Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat ganz Deutschland vor eine neue sicherheitspolitische Realität gestellt.“ Aus Zeitgründen würden einige Waffensysteme auch von Partnern beschafft, die schon marktverfügbare Produkte haben. „Auf manches können wir schlicht nicht warten. Schnelligkeit ist aber nur ein wichtiger Aspekt“, sagte Scholz. „Zugleich setze ich mich mit Nachdruck für den Erhalt und den Ausbau von Produktionskapazitäten ein.“ Noch in dieser Legislaturperiode würden 20 Eurofighter bestellt, zusätzlich zu den 38 Flugzeugen, die derzeit in der Pipeline seien.

Selbst Robert Habeck (Grüne) und Volker Wissing (FDP) am Flugfeld versammelt angetreten

Am Dienstagabend war noch nicht absehbar, wer alles nach Schönefeld pilgern würde. Auf dem Programmzettel war der Kanzlerbesuch nicht angekündigt worden, und auch nicht, dass am Mittwoch noch weitere Minister wie Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ihre Aufwartung machen würden. Und nachmittags erschien sogar Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), um ein Statement anzugeben. Erstmals, dass inzwischen auch die Grünen Luftfahrt und Rüstung als Realität zur Kenntnis nehmen.

Das versammelte Kabinett am Flughafen – das war überraschend! Der Verband BDLI als Mitveranstalter kann froh sein. Die Messe in Berlin ist bis 2030 gesichert und unlängst wiedermal verlängert worden. Und zu sehen, gibt auch so einiges auf dem Flugfeld bei Berlin. Am Wochenende auch für das breite Publikum.

Die Industrie antwortet auf die geopolitischen Herausforderungen dieser Zeit mit Innovationen, sagte Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie, Michael Schöllhorn, bei Eröffnung der Messe. „Die zivile Luftfahrt präsentiert Fortschritte bei der Nachhaltigkeit, die auch ein Wettbewerbsvorteil werden.“ Die militärische Luftfahrt zeige die Systeme der Zukunft. Und die Raumfahrt führe vor Augen, „wie Europa einen unabhängigen Zugang zur Nutzung des Alls gewährleisten kann“, sagte er. Doch die technologische Spitzenstellung bei diesen Themen ist umkämpft. Die Engländer profitieren bei ihrer Messe von der weltweiten Nachfrage des Commonwealth, während Le Bourget durch die kapitalstarke französische Rüstungsindustrie gepimpt wird. Die ILA hatte da lange Jahre nicht viel entgegenzusetzen, zumal der alte Flughafen Schönefeld zwar ob seiner Nähe zu Berlin Attraktivität ausstrahlt, freilich als aktiver Passagierflughafen mit Beschränkungen zu kämpfen hat. Besucher spazieren wie auf einem Parkplatz am Fluggerät vorbei, woanders die Technik am Himmel live und in Farbe im Einsatz zu erleben ist.

Wann nimmt der Finanzminister bei der Rüstung den Fuß von der Schuldenbremse?

„Die Branche steht auch unter Druck“, sagte Schöllhorn und sprach von der deutschen Wirtschaft und der eigenen Leitmesse. Um bestehen zu können, brauche es den richtigen politischen Rahmen. „Auch benötigen wir Planbarkeit beim Verteidigungsbudget und letztlich auch Bestellungen, sonst brechen uns heute die Mittelständler und die Zulieferer weg, dessen Kapazitäten und Fähigkeiten in Zukunft entscheidend sein werden.“ Das ist der Punkt, der vielleicht jetzt im Kanzleramt und der Koalition durchzudringen scheint. Die Frage bleibt, wie lange eigentlich Finanzminister Christian Lindner (FDP) weiter mit dem Fuß auf der Schuldenbremse verharren kann, bevor der Sparkommissar erkennt, dass die Verteidigung und Sicherheit eins Landes nicht der Haushaltsdisziplin unterliegen sollte.

Fachverbände der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik forderten, die Finanzierung der weiteren Ausrüstung der Bundeswehr über das Jahr 2025 hinaus sicherzustellen. Das Bundeswehr-Sondervermögen in Höhe 100 Milliarden Euro reiche zur Deckung des Bedarfs bei Weitem nicht aus. „Die 'Schere' zwischen aktueller mittelfristiger Finanzplanung und den real von der Bundeswehr benötigten Mitteln öffnet sich bereits im Jahr 2025“, warnten die neun Verbände in einer Erklärung. Sie verwiesen auf die Forderung von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), für das kommende Jahr zusätzliche 6,5 Milliarden Euro im regulären Verteidigungsetat bereitzustellen. Die Unterzeichner forderten, dass der Bundeswehr die Mittel zugewiesen werden.

Bei Drohnen hinkt Berlin immer noch hinterher: Was am BER zu sehen gibt – und was zu kurz kommt

Auf der Leistungsschau der Luft- und Raumfahrtindustrie stellen noch bis Sonntag rund 600 Aussteller aus 30 Ländern aus. Bis Freitag ist die Messe nur für Fachpublikum geöffnet, am Samstag und Sonntag können aber auch alle anderen Interessierten auf das Ausstellungsgelände kommen. Inhaltlich stehen vor allem die nachhaltige Transformation der zivilen Luftfahrt sowie Verteidigungs- und Sicherheitsthemen im Fokus. So ist etwa die Heron-Kampfdrohne zu bestaunen, die sich auch der Kanzler hat zeigen lassen, von den Offizieren der Bundeswehr.

Experten zeigten sich indessen enttäuscht, dass gerade das Thema Drohnen in Sachen Verteidigungsfähigkeit „leider nur auf Sparflamme köchelt“, wie ein hochrangiger Luftwaffen-Offizier auf seinem Rundgang monierte. Bei der ILA gibt es noch reichlich Luft nach oben. Aber das Thema Luftfahrt bekommt plötzlich wieder neue Bedeutung, Wichtigkeit und Dringlichkeit.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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