Das große Geld zieht nach Texas um
Anfang Juni haben sich die Wirtschaftsmeldungen aus dem Wilden Westen geradezu überschlagen. SpaceX-Chef Elon Musk hat wieder mal seinem Frust freien Lauf gelassen und den Drohungen Taten folgen lassen. Er hat sein Raumfahrtunternehmen SpaceX sowie das Neurotechnologie-Unternehmen Neuralink nach Texas umgesiedelt, weil er mit der Rechtsprechung in der traditionellen Steueroase Delaware unzufrieden war - die Aufsichtsbehörden dort wollten ihm ein Gehaltspaket von 55 Milliarden Euro verwehren. Musk beantragte bei seinen Aktionären den Umzug, und die Anhängerschaft stimmte prompt zu.
Dass die Wahl auf Texas fiel, kommt nur wenig überraschend. Unweit der Hauptstadt Austin in Bastorp County befindet sich bereits eines der großen Tesla-Werke. An der nahen Golf-Küste hat SpaceX einen Weltraumbahnhof eingerichtet - und Elon Musk auch sein neues Privathaus.
Zwei weitere Nachrichten vom Big Business komplettieren das Bild und unterstreichen einen wachsenden Trend: In den vergangenen Jahren haben mehr als 200.000 genervte Steuerzahler Kalifornien in Richtung Texas verlassen. Vor allem aus dem Großraum Los Angeles, doch selbst aus dem Silicon Valley und der Hi-Tech-Metropole San Francisco.
Die Gründe ähneln dem Trend in Deutschland: zunehmend verkrustete Strukturen, unbewegliche Behörden, zu hohe Steuer- und Sozialabgaben, Genehmigungsprozesse, die gefühlt eine Ewigkeit dauern. Und obendrein die sich verändernden politischen Attitüden, in einer Zeit, wo Mainstream-Amerika sich gerade neu orientiert und der Wokeness (an Westküste und in New York) den Konservatismus des Südens entgegenstellt.
Die USA sind mitten im Umbruch, und der Bundesstaat Texas, der sich von jeher als von Gott auserwählten "Lone Star State" der Union begriffen hat, profitiert davon am meisten. Texaner behaupten von sich, in ihrem Heimatstaat sei alles „ten times bigger“ - der Text der Verfassung tatsächlich, aber auch die Cattle-Ranches und die Steaks auf den Tellern der Cowboys. Nun folgt auch die Wirtschaft dem Credo.
Wie ein Blitz ist jedenfalls die überraschende Ankündigung von finanzstarken Investoren an der New Yorker Börse eingeschlagen, dass jetzt auch das Geld nach Texas umzuziehen gedenkt. In Dallas soll eine neue Wertpapierbörse entstehen. 120 Millionen Dollar Startkapital hätten der weltgrößte Vermögensverwalter Blackrock, der Hedgefonds Citadel und „andere Wirtschaftslenker aus dem gesamten Land“ zur Verfügung gestellt, bestätigte James Lee, der CEO der neuen Texas Stock Exchange (TXSE). Die Registrierung bei der US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) sei „bereits beantragt“ worden, so Lee. Die TXSE in Dallas soll eine vollelektronische nationale Wertpapierbörse werden und sowohl US-Firmen als auch Unternehmen aus dem Ausland den Zugang zum US-Kapitalmarkt ermöglichen. Der Start ist für 2025 avisiert - ab 2026 soll es dann die ersten regulären Börsennotierungen geben.
Big Business will sich vom Gängelband der Compliance lösen und lieber an die Börse nach Texas
Nicht nur die US-Gesellschaft scheint sich neu aufzustellen, indem es im November wohl (trotzig und von Fakten unbeirrt) Donald Trump ins White House zurückschicken wird. Auch die Wirtschaft möchte offenbar liebend gern das Gängelband abstreifen, dass ihnen die Kontrollgremien der etablierten US-Börsen an der Wall Street angelegt haben. Diversität bei der Besetzung des Aufsichtsrats mag zwar eine berechtigte Forderung sein, die in die neue Zeit weit gefasster Gleichberechtigung passt. Aber das Geld in den USA ist in aller Regel konservativ und ärgert sich über derlei von Political Correctness getriebene Zielmarken. Vor allem wurmt die Aktionäre und Investment-Gesellschaften, wie teuer die Compliance-Richtlinien in den vergangenen Jahren geworden sind und ihre Gewinn-Margen beeinträchtigt haben.
Beobachter erwarten deshalb nun eine Neuaufstellung, die nicht nur Delaware beunruhigen dürfte, sondern auch die fortschrittlichen Bundesstaaten New York und Kalifornien. Derzeit reklamiert das kleine Steuerparadies Delaware noch immer für sich, juristischer und steuerrechtlicher Sitz von gut zwei Dritteln aller 500 umsatzstärksten US-Unternehmen zu sein, egal wo deren Hauptverwaltung de facto residiert in den USA.
Doch inzwischen ist der Bundesstaat Teas bereits zum zweiten Mal hintereinander in der Fortune-500-Liste auf Platz 1 der (mit 55 Head-Offices) meisten ansässigen Hauptverwaltungen - vor Kalifornien mit 53 Firmenzentralen und 50 in New York. „Texas ist das Hauptquartier aller US-Headquarters“, stichelt denn auch der texanische Governeur Greg Abbott. „Made in Texas ist mittlerweile ein mächtiges und weltweit bekanntes Gütezeichen“, sagt er. Er stellt sich auf den Umzug weiterer Konzerne ein - mit einem halben Dutzend gleichberechtigter Großstädte ist Texas damit ganz ähnlich wie das nur halb so große Deutschland regional bestens aufgestellt. Houston zum Beispiel lebt von seinem Hafen Galveston an der Golfküste und gilt auch unter deutschen Unternehmen als erste Wahl, um Waren in die USA oder aus den USA und Mexiko nach Europa zu schiffen.
Vor allem mit der aufstrebenden Metropole Dallas, die jahrzehntelang eher für Öl- und Energiegeschäfte sowie die Rinderwirtschaft (und die NBA-Mannschaft der „Mavericks“ um den deutschen Superstar Dirk Nowitzki) stand, entwickelt sich Texas allmählich zum neuen Wirtschafts-Powerhouse der USA. Gouverneur Greg Abbott von den Republikanern hat es mit Steuervergünstigungen und Investitions-Anreizen geschafft, nicht nur Elon Musk und andere Spitzen-Unternehmer ins goldene Dreieck von Dallas, San Antonio und Housten zu locken, sondern auch im sogenannten Hill Country südlich von Austin eine motivierte Mittelschicht von Professionals und Facharbeitern, die mit Einkommenssteuer Null inzwischen die Weiten des (nach Alaska) mit fast 700.000 Quadratkilometern zweitgrößten US-Bundesstaates bevölkern.
Wo Karl Marx den Aufbau einer kommunistischen Siedlung unterstützte
Keine andere Großstadt in den USA wächst derzeit so schnell wie die texanische Hauptstadt Austin, die einst zu Zeiten des Wilden Westens an der Grenze zum feindlichen Comanchen-Territorium in den Great Plains lag und Mitte des 19. Jahrhunderts nicht unmaßgeblich von deutschen Auswanderern besiedelt worden war. Selbst der Schwager von Karl Marx versuchte hier einst Fuß zu fassen.
In den USA schloss sich Edgar von Westphalen, der Bruder seiner Frau, in der Zeit um 1840 den Freidenkern und jungen Kommunisten im sogenannten Latin Settlement fünf deutscher Ortschaften in Kendall und Llano County an, die gerade ihre kommunistische Erst-Siedlung Bettina (westlich von Austin) aufgegeben hatten. In Texas fungierte Edgar von Westphalen dort einige Jahre als Verbindungsmann zu Karl Marx und dessen politischen Freunden in Deutschland.
Wo einst deutsche Siedler in Carlshafen von Bord gingen und nur ein Friedhof daran erinnert
Heutzutage hat Elon Musk dessen Rolle als ökonomischer Heilsbringer übernommen. SpaceX unterhält bereits einige Standorte in Texas, an denen zum Beispiel die Starship-Raketen sowie StarLink-Satelliten gebaut und Triebwerke entwickelt werden.
Spannend: Snailbrook heißt ein kleiner Ort (von einst nur zwölf Einwohnern anno 2023), wo Elon Musk unweit seiner Tesla-Fabrik derzeit ebenfalls in der Wachstumsregion Austin eine „utopische Arbeitersiedlung" für die Mitarbeiter der Unternehmen Boring Company und SpaceX errichten lässt. Systematisch hatte Elon Musk (offenbar mit einem größeren Masterplan im Hinterkopf) riesige Flächen erworben in den vergangenen Jahren. Nicht wenige glauben, es könnte dort nun eine künstliche Werkstadt entstehen, wie sie einst Volkswagen im niedersächsischen Wolfsburg hochgezogen hat.
Fehlt eigentlich nur noch, dass Elon Musk die alte deutsche Hafenstadt Carlshafen (später Indianola genannt) an der nahen Matagorda-Bucht im Golf von Mexiko wieder aufbauen lässt. Die hatten einst Mitglieder des sogenannten Mainzer Adelsvereins „zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas“ (1842–1848) errichtet, um von dort mit Zeltwagen das steinige texanische Hügelland zu besiedeln.
Heute ist dort, wo einst die Schiffe direkt angelandet waren, ohne über den Hafen New York zu müssen, nur noch der alte deutsche Friedhof erhalten - Indianola wurde im August 1886 von einem der bis heute schwersten Hurricanes dem Erdboden gleichgemacht. An die deutschen Siedler von dereinst erinnert heute vor allem die nach Prinz Carl von Solms-Braunfels benannte Boomtown New Braunfels - die seit dem letzten amtlichen Zensus um 76,3 Prozent gewachsen ist und damit jüngst die Schwelle von über 100,000 Einwohnern überschritten hat. Ganz Texas kennt den Ort wegen seines klaren Wassers und einem beliebten Wasserpark.
Nirgendwo sonst sind die Wachstum-Raten amerikanischer Städte derzeit größer als in Texas
Das Wachstum in Texas ist wahrlich atemberaubend: Mit Houston, San Antonio und der Twin-City Dallas/Fort Worth sind drei weitere Metropolen in den Top 10 der USA. Besonders eindrücklich ist die Liste der am schnellsten wachsenden Kleinstädte rund um Dallas - mit Celina, Fulshear und Princeton City liegen gleich die Top 3 mit Zuwachsraten von über 20 bis zu 30 Prozent ganz vorne. Fünf weitere Orte liegen auf Platz 4 und auf den Rängen 8 bis 11 - mit Lathrop City, östlich von San Francisco, kann nur eine einzige kalifornische Kleinstadt da noch mithalten.
Da hat sich in der Gunst Amerikas so einiges verschoben. Elon Musks erste Fabrik ist noch im nordkalifornischen Fremont entstanden. Zu den größten Projekten seiner Boring Company zählten einst Tunnelbauten in Hawthorne bei Los Angeles, der unterirdisch eine neue Route zum Meer erschließen sollte, sowie der Convention Center-Loop unterhalb von Las Vegas in Nevada. Selbst der operative Hauptsitz von Tesla ist von Kalifornien nach Austin verlagert worden. Inzwischen lebt Musk wohl nicht einmal mehr sonderlich gerne im Westen der USA. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Tesla-Aktionäre über den offiziellen Umzug nach Texas abstimmen müssen.
Bis dahin dürfte wohl auch die TXSE-Börse am Start sei und neue Anleger-Millionen bereitstellen für neue gigantische Umbau-Pläne im Wilden Westen. Die USA erfinden sich dort jedenfalls gerade neu. Und auch deutsche Firmen sind bereits dabei zu eruieren, wie und wo sie mitmischen können. Davon künden die Zahlen der IHK Düsseldorf, die den besten Überblick über deutsche Investitionen in den USA hat. „860.700 amerikanische Jobs wurden direkt und indirekt durch deutsche Tochtergesellschaften in den USA geschaffen“, besagt deren aktuelle Statistik. Texas liegt voll im Trend.
Früher mögen deutsche Unternehmen vor allem vom Fracking-Boom angelockt worden sein. Inzwischen siedeln sich aber auch immer Technologie-orientierte Firmen mit Niederlassungen in Texas an. Austin und deren Technologiemesse South by Southwest (SXSW) war in dieser Hinsicht der Gamechanger, hört man von deutschen Managern und Startup-Gründern allenthalben.
Im Frühjahr war deshalb zum Beispiel auch Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut aus Baden-Württemberg mit einer Delegation nach Texas angereist, um in Austin jene weltweit größte Innovations- und Start-up-Messe zu besuchen. Wie angetan die CDU-Politikerin von ihrem Besuch war, ist einem Statement auf ihrer Homepage zu entnehmen: „Texas gehört zu den vielversprechendsten Technologiemärkten in den USA. Der Staat beherbergt dynamische Innovationszentren, insbesondere im Technologiesektor. Texas wird oft für sein unternehmerfreundliches Umfeld, die niedrige Steuerlast und die geringe staatliche Regulierung gelobt. Dies in Verbindung mit einer lebendigen Venture-Capital-Szene und einem innovativen Start-up Ökosystem macht den Bundesstaat für Start-ups besonders attraktiv.“