Politik

Frankreich-Wahl: Macron hat sich verzockt - Le Pen vor Machtübernahme

Lesezeit: 3 min
01.07.2024 12:06
Die erste Runde der vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich kommt einem politischen Beben gleich. Die Rechtsnationalen um Marine Le Pen werden sehr wahrscheinlich stärkste Kraft werden. Präsident Macron scheint sich grandios verzockt zu haben.
Frankreich-Wahl: Macron hat sich verzockt - Le Pen vor Machtübernahme
Die rechtspopulistische französische Politikerin Marine Le Pen spricht nach der Veröffentlichung von ersten Hochrechnungen der vorgezogenen Parlamentswahlen. Für ihre Partei, den rechtsnationalen "Rassemblement National" (RN), sieht es gut aus. (Foto: dpa)
Foto: Thibault Camus

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die riskante Entscheidung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, vorzeitig neue Parlamentswahlen einzuberufen, scheint ihm nun vor die Füße zu fallen. Marine Le Pens Rassemblement National“ (RN) hofft nach ihrem herausragenden Abschneiden in der ersten Runde, die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung zu holen und so an die Regierung zu kommen. Die Bürgerlichen mit Präsident Macron an der Spitze und das linke Lager wollen versuchen, dies mit einer gemeinsamen Front bei den Stichwahlen am 7. Juli zu verhindern.

Nach vorläufigem Endergebnis erzielte das RN mit seinen Verbündeten in der ersten Runde 33,15 Prozent der Stimmen, wie das Innenministerium mitteilte. Die klare Führung war schon nach den ersten Hochrechnungen erwartet worden. Damit könnten die Rechtspopulisten Prognosen zufolge im Unterhaus mit 230 bis 280 Sitzen stärkste Kraft werden. An der absoluten Mehrheit mit 289 Sitzen schrammen sie aber womöglich knapp vorbei.

Das Mittelager von Macron landete demnach mit 20,7 bis 22 Prozent auf Platz drei hinter dem Linksbündnis Nouveau Front Populaire mit 28,1 bis 29,1 Prozent. Die Linken könnten auf 125 bis 200 Sitze kommen. Macrons Liberalen droht, auf nur noch 60 bis 100 Sitze abzusacken.

Kandidaten ziehen aus taktischen Gründen zurück

Wie viele Sitze die Blöcke in der Nationalversammlung bekommen, wird erst in Stichwahlen am kommenden Sonntag entschieden. Sowohl aus dem Linksbündnis als auch von Macrons Partei hieß es, man werde in den Wahlkreisen, in denen man auf dem dritten Platz gelandet sei, zugunsten der Kandidatinnen und Kandidaten zurücktreten, die in der Lage sind, das Rassemblement National zu schlagen.

Premier Gabriel Attal, der um seinen Posten bangen muss, mahnte: „Noch nie in unserer Demokratie war die Nationalversammlung wie heute Abend dem Risiko ausgesetzt, von der extremen Rechten dominiert zu werden.“ Es sei eine moralische Pflicht, alles zu tun, um das Schlimmste zu verhindern.

Le Pen rief hingegen dazu auf, ihrer Partei bei den kommenden Stichwahlen zu einer absoluten Mehrheit zu verhelfen. „Nichts ist gewonnen, die zweite Runde ist entscheidend.“ RN-Parteichef Jordan Bardella kündigte an, mit einer absoluten Mehrheit im Parlament als Ministerpräsident die Regierung übernehmen zu wollen.

Rechtsruck in Frankreich hätte internationale Folgen

Nichts deutet darauf hin, dass nach dem Rekordergebnis in der ersten Wahlrunde nun die Zustimmung für die Rechtsnationalisten um Le Pen bröckelt. Nach einer Umfrage des Instituts Ipsos sind 74 Prozent der Wähler in Frankreich mit Macron unzufrieden. Und seine Strategie für die Neuwahl, die Parteien links und rechts seines Mitte-Lagers als unwählbare Extremisten oder deren Verbündete zu disqualifizieren, ging erkennbar nicht auf.

Sollte das RN tatsächlich die absolute Mehrheit holen, wäre Macron faktisch gezwungen, einen Premier aus den Reihen der Rechtsnationalen zu ernennen. Denn das Unterhaus kann die Regierung stürzen. Während die Anhänger des RN auf den Machtwechsel hoffen, fürchtet ein Großteil der Franzosen sich vor einer Machtübernahme der Rechtsnationalen. Am Sonntagabend demonstrierten Tausende Menschen in Paris und etlichen anderen Städten gegen die extreme Rechte.

Deutschland und Europa müssten sich in dem Fall darauf einstellen, dass das gespaltene Land keinen klaren Kurs mehr verfolgt und unzuverlässiger wird. Als Präsident hat zwar Macron in der Außenpolitik Vorrang. Sollte aber der 28-jährige Bardella Premier werden, dürfte er seine Linie schwerlich ungehindert fortsetzen können. Statt neuen Initiativen stünde in Frankreich Verwaltung an der Tagesordnung.

Im Gegensatz zu Macron gibt das RN wenig auf die enge Zusammenarbeit mit Deutschland. Auch möchte die Partei den Einfluss der Europäischen Union in Frankreich eindämmen.

Frankreich droht Stillstand

Sollten sich die aktuellen Prognosen hingegen bewahrheiten und keines der Lager eine absolute Mehrheit erlangen, stünde Frankreich vor zähen Koalitionsverhandlungen. Derzeit ist nicht absehbar, wie die grundverschiedenen politischen Akteure für eine Regierung zusammenkommen können.

Wird keine Lösung gefunden, könnte die aktuelle Regierung als eine Art Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich würde in einem solchen Szenario politischer Stillstand drohen. Neue Vorhaben könnte eine Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg bringen.


Mehr zum Thema:  

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
22.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Aktien sind heiß gelaufen: Warum immer mehr Analysten den europäischen Aktienmarkt in den Blick nehmen
22.11.2024

Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht zunehmend Risiken für US-Aktien. Nach der jüngsten Rekordjagd an den US-Börsen verlieren...

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...