Die nächsten sechs Monate hat Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft inne. Die Budapester Regierung hat sich vorgenommen, mit der Präsidentschaft die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der EU voranzutreiben. Um das Wachstum zu fördern, wolle man ein neues Abkommen dazu verabschieden, teilte die Regierung zur Übernahme des EU-Ratsvorsitzes an diesem Montag mit. Außerdem soll illegale Migration besser bekämpft werden - unter anderem durch Deals mit Drittstaaten.
Der Ratsvorsitz der EU wechselt alle sechs Monate zwischen den 27 Mitgliedstaaten. Regierungsvertreter aus Ungarn werden damit bis Ende Dezember die Leitung zahlreicher Ministertreffen übernehmen und bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Staaten vermitteln.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ist für seine EU-kritische Haltung bekannt. Immer wieder geriet er in der Vergangenheit mit den anderen Mitgliedstaaten aneinander und blockierte bei wichtigen Abstimmungen. So in letzter Zeit vor allem bei der Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine und Sanktionen gegen Moskau.
„Die Präsidentschaft bedeutet nicht, dass man der Chef von Europa ist. Die Präsidentschaft bedeutet, dass Sie derjenige sind, der den Kompromiss machen muss“, gab der scheidende belgische Ministerpräsident Alexander De Croo seinem Budapester Kollegen zuletzt in Brüssel mit auf den Weg. Zuvor hatte Belgien die EU-Ratspräsidentschaft inne.
Budapest will Europa „wieder großartig machen“
Inwiefern Orban das annehmen wird, ist fraglich. Und die Ukraine wird in den kommenden Wochen und Monaten weiter eine große Rolle für die EU spielen - wenn es um weitere Hilfen geht, aber auch bei den laufenden Beitrittsgesprächen mit dem Land. Die EU-Staats- und Regierungschefs verständigten sich zudem erst kürzlich darauf, dass Europa in militärischen Belangen weniger abhängig werden und seine Rüstungsindustrie deutlich stärken soll. Hier liegt es nun an Ungarn, diese Bestrebung voranzutreiben.
Zuvor hatte die rechtsnationale ungarische Regierung mit ihrem Motto für die Ratspräsidentschaft für Schlagzeilen gesorgt: „Make Europe Great Again“ - ein abgewandelter Wahlkampf-Slogan des umstrittenen amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump. Auf Deutsch bedeutet der Spruch so viel wie „Macht Europa wieder großartig“. In der Vergangenheit hatten sich Orban und Trump immer wieder gegenseitig gelobt. Erst im März pries Orban Trump bei einem Treffen als „Präsidenten des Friedens“, während der Amerikaner den Ungarn wiederum als „besten Führer“ überhaupt rühmte.
Wie genau die ungarische Führung mit Blick auf den Ratsvorsitz aussehen wird, wird sich zeigen. Doch am Ende ist auch die Macht der Ratspräsidentschaft begrenzt: Die Gesetzesvorschläge gehen von der EU-Kommission aus. Der Wortlaut der Rechtstexte wird dann vom EU-Staaten und Parlament final ausgehandelt. Zudem sind jetzt - drei Wochen nach der Europawahl - weder die Kommission noch das Parlament voll arbeitsfähig. Zahlreiche wichtige Positionen müssen noch vergeben werden. Viele neue Gesetzesinitiativen sind daher in dieser Phase nicht zu erwarten.
Orban schmiedet rechtes Parteienbündnis im EU-Parlament
Orban will aber auch im EU-Parlament seinen Einfluss ausbauen. Einen Tag vor Übernahme der Ratspräsidentschaft kündigte Orban die Gründung einer neuen Rechtsaußen-Fraktion im Parlament an. Die Gruppierung „Patrioten für Europa“ umfasst neben der ungarischen Regierungspartei Fidesz die rechte österreichische FPÖ und die liberal-populistische tschechische ANO. Das Bündnis ist für weitere Parteien offen, die sich zu dem am Sonntag von den drei Parteichefs in Wien unterzeichneten „Patriotischen Manifest“ bekennen.
Mit dem erhofften Zulauf würde die Gruppierung zur „größten Fraktion der rechtsgerichteten Kräfte Europas“, so Orban. Ihr Manifest enthält die bekannten Positionen rechter, rechts-populistischer und rechtsextremer Parteien: Ablehnung von Migration und Green Deal, keine Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine sowie Rückbau der Integration in der EU zwecks Stärkung der Souveränität der Nationalstaaten.
Schließt sich die AfD dem „Patrioten-Bündnis“ an?
Die drei Parteien bekamen bei der EU-Wahl in ihren jeweiligen Ländern die meisten Stimmen. Fidesz stellt elf Abgeordnete im neuen Europaparlament, ANO sieben und die FPÖ sechs. Insgesamt verfügen sie damit über 24 der 705 Vertreter in dem EU-Gremium. Für die Bildung einer Fraktion sind insgesamt mindestens 23 Abgeordnete aus 7 Ländern erforderlich.
Inhaltlich bestehen vor allem bei Fidesz und FPÖ viele Berührungspunkte mit der AfD, die kurz vor der Europawahl aus der rechten ID-Fraktion ausgeschlossen worden war und inzwischen auch formal ausgetreten ist. Am Rande des AfD-Bundesparteitags in Essen wollte sich AfD-Chef Tino Chrupalla am Sonntag auf Anfrage aber nicht zu Orbans Plänen äußern.
„Auch wenn die AfD zu diesem Zeitpunkt noch nicht in eine gemeinsame Fraktion mit Fidesz gehen kann, eröffnet das für die AfD neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Parteien“, sagte Daniel Tapp, Sprecher von AfD-Co-Chefin Alice Weidel, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Der AfD-Europaparlamentarier Marc Jongen äußerte sich hingegen im Deutschlandfunk wohlwollend. „Also wenn es nach mir ginge, dann würden wir dieser Fraktion auch sehr gerne beitreten.“ Das Patriotische Manifest könne seine Partei „sofort unterschreiben“. Inhaltlich sei man „Orban sehr nahe“ und arbeite daran, „eine formelle Zusammenarbeit in der Zukunft herzustellen.“