Finanzen

Firmeninsolvenzen: Drastischer Anstieg um 30 Prozent im ersten Halbjahr

Die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland erreichten im ersten Halbjahr 2024 den höchsten Stand seit 2016, bei einem Anstieg um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die wirtschaftliche Lage bleibt düster, beeinflusst von Rezessionsfolgen, einer schwachen Konjunktur und anhaltenden Krisen.
01.07.2024 16:00
Aktualisiert: 01.07.2024 16:17
Lesezeit: 2 min
Firmeninsolvenzen: Drastischer Anstieg um 30 Prozent im ersten Halbjahr
Der Modekonzern Esprit hat für seine Obergesellschaft, die Esprit Europe GmbH, sowie sechs weitere deutsche Töchter Anträge auf Insolvenz gestellt. Insolvenzen haben vor allem im Dienstleistungssektor, Baugewerbe, Handel und verarbeitenden Gewerbe zugenommen. (Foto: dpa) Foto: Sebastian Kahnert

Die Unternehmensinsolvenzen haben im ersten Halbjahr 2024 einen erneuten Höchststand seit 2016 erreicht, mit 11.000 Firmenpleiten, wie die Wirtschaftsauskunft Creditreform jetzt bekannt gab. Das sind 30 Prozent mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. In allen Wirtschaftssektoren sind dabei deutliche Anstiege zu verzeichnen. Die Branchenschwerpunkte liegen allerdings im Bereich der Dienstleistungen, dem Baugewerbe, dem Handel und dem verarbeitenden Gewerbe. Betroffen sind dabei nicht nur kleine und mittelständische Betriebe, auch zahlreiche prominente Fälle von Großunternehmen sind zu verzeichnen. In den Medien dominieren die Fälle von Esprit, Peek & Cloppenburg, Galeria Karstadt Kaufhof oder auch dem KaDeWe. Aber der Handel ist nicht die am stärksten betroffene Branche.

Starker Anstieg bei größeren Unternehmen

Im gesamten Dienstleistungsgewerbe gab es einen Anstieg um 35 Prozent mit 6500 Insolvenzen, gefolgt vom Baugewerbe mit 27,5 Prozent Zuwachs, dem verarbeitenden Gewerbe mit 21,5 Prozent und dem Handel mit 20,4 Prozent. Insbesondere bei größeren Unternehmen liegt dabei das Pleitenniveau deutlich über den Vorjahren. Die Anzahl der Pleiten von mittleren und großen Betrieben hat sich im ersten Halbjahr verdoppelt, im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt waren 133.000 Beschäftigte dieses Jahr schon von einer Insolvenz betroffen.

Baugewerbe: Wohnungsbau in Not

Die schlimme Lage im Baugewerbe ist nach Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe, insbesondere auf die katastrophale Lage im Wohnungsbau zurückzuführen. Hier seien sowohl die Genehmigungs- als auch die Auftragszahlen stark eingebrochen. Auch fehlt es an qualifizierten Fachkräften, um die Entwicklung im Wohnungsbau und bei der Energiewende voranzutreiben. Problematisch im Baugewerbe sei auch der Umstand, dass Bauunternehmer alle Kosten für Materialien und Löhne vorfinanzieren müssten. Stark gestiegene Baukosten und hohe Kreditzinsen haben zu einer deutlichen Verteuerung der Bauvorhaben geführt und treiben das Insolvenzrisiko in der Branche an. Besonders betroffen seien innerhalb der Branche Projektträger, die Lage bei mittelständischen und größeren Bauindustrieunternehmen sei hingegen stabil, so der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie.

Handel: Hohe Kosten und schwacher Konsum

Im Handel leiden die Unternehmen besonders unter einem schwachen privaten Konsum und einer hohen Kostenbelastung, so der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stefan Genth. Viele Handelsunternehmen kämpfen mit aktuell schwierigen Rahmenbedingungen und sind noch geschwächt aus den Jahren der Corona-Pandemie. HDE gab bekannt, dass seit 2020 insgesamt ca. 46.000 Geschäfte in Deutschland schließen mussten.

2024 keine Verbesserung in Sicht

Als Gründe für den insgesamt rasanten Anstieg der Insolvenzen nennt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung, die Auswirkungen der Rezession aus dem letzten Jahr, die aktuell lahmende konjunkturelle Entwicklung und die anhaltenden Krisen. Diese Kombination breche vielen Firmen das Genick. Er sieht die Stabilität der Unternehmen in Deutschland aktuell wackelig wie schon lange nicht mehr.

Hantzsch erwartet in absehbarer Zeit keine Trendumkehr. Er geht von einer weiterhin schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland dieses Jahr aus. Auch die weiterhin hohen Zinsen für die Unternehmensfinanzierung seien für viele Unternehmen eine ernste Herausforderung. Seiner Meinung nach könnten die Insolvenzzahlen dieses Jahr zum ersten Mal wieder das Niveau vor der Corona-Pandemie übersteigen. Im Jahr 2019 gab es in Deutschland insgesamt 18.830 Firmenpleiten. Der Kreditversicherer Allianz Trade korrigierte seine Prognose für 2024 sogar noch weiter nach oben. Er rechnet mit ca. 21.500 Firmeninsolvenzen dieses Jahr und erst 2025 wieder mit einer Stabilisierung.

Im internationalen Vergleich von Creditreform zeigt sich, dass in den allermeisten Ländern in Westeuropa die Unternehmensinsolvenzen deutlich zugelegt haben. Noch höher als in Deutschland lagen sie letztes Jahr in den Niederlanden, mit einem Anstieg um 54,9 Prozent zum Vorjahr, und Frankreich, mit einem Plus von 35,6 Prozent.

Trend bei Verbraucherinsolvenzen

Auch die Verbraucherinsolvenzen sind mit 35.400 Fällen im ersten Halbjahr 2024 um 7 Prozent zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Experten sehen die Gründe hierfür in der hohen Inflation und den hohen Zinsen. Aber auch die Novelle des Verbraucherinsolvenzrechts, die Privatpersonen eine schnellere Restschuldbefreiung erlaubt, treibt die Privatinsolvenzen an.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Immer mehr XRP- und ETH-Inhaber wenden sich still und leise an OPTO-Miner, um 3.000 Dollar pro Tag zu verdienen

Im derzeit unberechenbaren Kryptomarkt entscheiden sich immer mehr Anleger dafür, langsamer zu werden und sich nicht mehr von...

 

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Grünes Image unter Druck: EU plant strengere Regeln für Umweltwerbung
09.07.2025

Begriffe wie „klimaneutral“ oder „biologisch abbaubar“ begegnen Verbraucherinnen und Verbrauchern inzwischen fast überall – von...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturplan: Eine Chance für europäische Bauunternehmen?
09.07.2025

Deutschland plant das größte Infrastrukturprogramm seiner Geschichte. Doch es fehlen Bauarbeiter. Können andere europäische Firmen und...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs stabil trotzt Milliardenbewegung: Anleger bleiben dennoch vorsichtig
08.07.2025

80.000 Bitcoin aus der Satoshi-Ära wurden bewegt – doch der Bitcoin-Kurs blieb stabil. Was hinter dem Rätsel steckt, warum Investoren...

DWN
Politik
Politik Steinmeier drängt auf mehr gemeinsame Rüstungsprojekte in Europa
08.07.2025

Bei seinem Besuch in Lettland hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für mehr Zusammenarbeit in der europäischen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schwäche in China bremst Porsche: Absatz geht im ersten Halbjahr zurück
08.07.2025

Porsche muss im ersten Halbjahr 2025 einen spürbaren Rückgang beim Fahrzeugabsatz hinnehmen. Besonders in China läuft das Geschäft...

DWN
Politik
Politik Trump verspricht Raketen für die Ukraine – doch zu welchem Preis?
08.07.2025

Donald Trump kündigt neue Waffenlieferungen an die Ukraine an – obwohl er sich lange zurückhielt. Ein Signal der Stärke oder Teil...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nvidia-Aktie auf Höhenflug: Wie realistisch ist das 250-Dollar-Ziel?
08.07.2025

Die Nvidia-Aktie eilt von Rekord zu Rekord – doch Analysten sehen noch Luft nach oben. Wie realistisch ist das Kursziel von 250 Dollar?...

DWN
Politik
Politik NATO-Chef erwartet Doppelangriff: China greift Taiwan an, Russland die NATO
08.07.2025

Ein gleichzeitiger Angriff Chinas auf Taiwan und Russlands auf die NATO – ausgerechnet NATO-Chef Mark Rutte hält dieses...