Politik

U-Ausschuss zum Atomausstieg: Wurde ergebnisoffen geprüft oder die Öffentlichkeit getäuscht?

Lesezeit: 4 min
04.07.2024 11:45  Aktualisiert: 04.07.2024 12:30
Hat Vizekanzler Robert Habeck die Öffentlichkeit über den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke wirklich hinters Licht geführt? Der Bundestag gibt grünes Licht für U-Ausschuss zu Atomausstieg
U-Ausschuss zum Atomausstieg: Wurde ergebnisoffen geprüft oder die Öffentlichkeit getäuscht?
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Steffi Lemke (beide Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, stehen wegen des Atomausstiegs in der Kritik (Foto: dpa).
Foto: Kay Nietfeld

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Die Unionsfraktion hat ihn verlangt, nun ist die Einsetzung offiziell abgesegnet: Der Untersuchungsausschuss zu den Fragen rund um den deutschen Atomausstieg kann mit der Arbeit beginnen. Der Bundestag hat die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum deutschen Atomausstieg abgesegnet. Für den entsprechenden Antrag der Unionsfraktion stimmten am Nachmittag die Abgeordneten von CDU/CSU sowie die der AfD. Damit erreichte der Antrag die für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erforderliche Zustimmung von mindestens einem Viertel der Abgeordneten des Deutschen Bundestags.

Der Ausschuss kann folglich, wie geplant, zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) wird die erste Sitzung, die der Öffentlichkeit zugänglich sein wird, am Abend eröffnen.

Vorwürfe gegen Habeck und Lemke

Die Unionsfraktion im Bundestag hatte den Untersuchungsausschuss beantragt, um Vorwürfe im Zusammenhang mit den Entscheidungen zum Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke näher zu beleuchten. Im Fokus stehen dabei die beiden Bundesminister für Klima und Umwelt, Robert Habeck und Steffi Lemke (beide Grüne). Die Union wirft ihnen vor, den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken nicht „ergebnisoffen“ und "unvoreingenommen“ geprüft zu haben.

Es gehe um nichts Geringeres als um die Frage, „ob die Öffentlichkeit bei der Entscheidung zur Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke getäuscht wurde“, sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete und Energiepolitiker, Andreas Lenz. Seine Fraktion werde bei der Aufarbeitung die notwendige Transparenz einfordern und die Verantwortung für die Abläufe rund um den Atomausstieg klären. Lenz ist eines der künftigen Ausschussmitglieder.

Lemke sieht Aufarbeitung „sehr gelassen“ entgegen

Bundesumweltministerin Steffi Lemke sagte, dass sie dem Ausschuss „sehr gelassen“ entgegenblicke. „Untersuchungsausschüsse einzusetzen, ist das Recht der Opposition“, betonte sie. Ihr Haus habe „von Anfang an alle Fragen des Parlamentes und der Öffentlichkeit transparent beantwortet“. Die Fakten lägen auf dem Tisch, so Lemke.

Deutschland war Mitte April 2023 aus der Nutzung von Kernenergie ausgestiegen. Die letzten drei Meiler wurden endgültig abgeschaltet. Davor hatte die Bundesregierung aufgrund der Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine entschieden, die Meiler noch für ein paar Monate länger laufen zu lassen. Ursprünglich sollte der Atomausstieg bereits zum 31. Dezember 2022 vollzogen sein. Die Dauer des Weiterbetriebs der Kraftwerke sowie die Entscheidung zum endgültigen Atomausstieg hatten sowohl regierungsintern als auch in der Opposition für heftige Debatten und Streit gesorgt.

Der nun beschlossene Untersuchungsausschuss ist neben dem Ausschuss zum Abzug der Truppen aus Afghanistan das zweite Gremium dieser Art in dieser Wahlperiode. Untersuchungsausschüsse gelten als das „schärfste Schwert der Opposition“. Um sie einzusetzen, müssen mindestens ein Viertel aller Mitglieder des Bundestags zustimmen. Mit 195 von insgesamt 733 Mitgliedern des Bundestags hätte die Unionsfraktion die Vorgabe auch ohne Unterstützung der AfD-Mitglieder erfüllt.

Zweite Untersuchungs-Ausschuss der Wahlperiode

Dies ist neben dem noch laufenden Ausschuss zum Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan der zweite Untersuchungsausschuss dieser Wahlperiode. Beantragt wurde er Mitte Juni von der Unionsfraktion im Bundestag. Das Plenum wird am Nachmittag über den Antrag zur Einberufung beraten, die Annahme gilt als sicher.

Laut CSU-Abgeordnetem Andreas Lenz gehe es bei diesem Untersuchungsausschuss um die entscheidende Frage, „ob die Öffentlichkeit bei der Entscheidung zur Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke getäuscht wurde“. Lenz betont, dass der Verdacht bestehe, die versprochene ergebnisoffene Prüfung eines Weiterbetriebs sei nie erfolgt.

Seine Fraktion werde Transparenz fordern und die Verantwortlichkeiten rund um den Atomausstieg klären.

Atomkraftwerke: Weiterbetrieb in der Energiekrise

Lenz ist eines der 14 Mitglieder des neuen Ausschusses. Deutschland verabschiedete sich Mitte April 2023 endgültig von der Kernenergie, die letzten drei Meiler wurden abgeschaltet. Aufgrund der Energiekrise durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine hatte die Bundesregierung entschieden, die Meiler noch einige Monate länger laufen zu lassen.

Der Atomausstieg sollte ursprünglich zum 31. Dezember 2022 vollzogen sein. Die Verlängerung des Betriebs und die Entscheidung zum endgültigen Ausstieg führten sowohl in der Regierung als auch in der Opposition zu heftigen Debatten und Streit.

Scholz' Machtwort im Oktober 2022

Die Grünen wehrten sich lange gegen eine Laufzeitverlängerung, stimmten jedoch schließlich dem von Habeck und den AKW-Betreibern im September 2022 vorgeschlagenen Konzept einer vorübergehenden Einsatzreserve für zwei der drei letzten Meiler zu. Die FDP setzte sich für eine Laufzeit über April 2023 hinaus ein.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) entschied im Oktober 2022, dass alle drei Meiler bis spätestens Frühjahr 2023 weiterbetrieben werden. Die Union zweifelt jedoch daran, dass diese Entscheidungen „unvoreingenommen“ und „ergebnisoffen“ getroffen wurden.

Ergebnisoffene Prüfung: Realität oder Farce?

Diese Zweifel stützt ein Bericht des Magazins „Cicero“, laut dem im Frühjahr 2022 im Wirtschafts- und im Umweltministerium interne Bedenken zum Atomausstieg unterdrückt worden sein sollen. Beide Ministerien bestreiten dies.

Laut Unionsantrag zur Einberufung des Untersuchungsausschusses hatte Bundeswirtschaftsminister Habeck am 27. Februar 2022 eine ergebnisoffene Prüfung eines möglichen Weiterbetriebs der Kernkraftwerke zugesagt und am 1. März 2022 eine Prüfung angekündigt, die „keine Tabus“ kennen sollte.

Am 7. März 2022 veröffentlichten Habecks Ministerium und das grüne Bundesumweltministerium von Steffi Lemke dann einen gemeinsamen „Prüfvermerk“, der einen Weiterbetrieb aus Sicherheitsgründen ablehnte.

Es sei nicht auszuschließen, dass „fachliche Expertise politischen und parteipolitischen Vorgaben weichen musste“, heißt es im Antrag. Der Untersuchungsausschuss soll klären, ob die von Habeck zugesagten Prüfungen stattgefunden haben und ob „kritische Stimmen systematisch unterdrückt“ wurden, so Lenz.

Minister unter Beschuss

Lemke und Habeck weisen die Anschuldigungen zurück. In Anhörungen und Debatten versicherten sie, stets nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben. Lemkes Ministerium hält die Vorwürfe für „ausgeräumt“. Habeck betonte nach einer Anhörung im April: „Die Versorgungssicherheit hatte für mich absolute Priorität und das ganze Haus hat ohne Denkverbote, allerdings natürlich immer auf der Basis von Fakten, Daten und Rechtsnormen, gearbeitet.“

Ob diese Aussage bestehen bleibt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Beide Minister müssen dem Ausschuss als Zeugen Rede und Antwort stehen. Dieser Untersuchungsausschuss wirft ein scharfes Licht auf die politischen Entscheidungen rund um den Atomausstieg. Gerade in der aktuellen politischen Landschaft, in der die Grünen vielfach als Treiber radikaler Veränderungen wahrgenommen werden, ist die Frage nach Transparenz und Ehrlichkeit in der Politik besonders brisant. Dies nicht nur eine Frage der Energiepolitik, sondern auch eine der politischen Glaubwürdigkeit und der Verantwortung gegenüber der deutschen Wirtschaft sowie den Bürgern hierzulande.

Die Grünen, die oft für ihre ideologisch geprägten Entscheidungen kritisiert werden, stehen nun im Kreuzfeuer. Die Frage, ob Habeck und Lemke tatsächlich eine ergebnisoffene Prüfung durchgeführt haben oder ob politische Ziele im Vordergrund standen, ist zentral. Wenn sich herausstellt, dass die versprochene Offenheit nur eine Fassade war, könnte dies weitreichende Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit der Grünen und ihrer Politik haben.

Die Entscheidungen zum Atomausstieg beeinflussen nicht nur die Energieversorgung, sondern auch die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands. Unternehmen und Bürger, die auf eine verlässliche Energieversorgung angewiesen sind, könnten die Politik der Grünen zunehmend kritisch sehen. Der U-Ausschuss ist daher nicht nur ein politisches Instrument, sondern auch ein Spiegel der aktuellen gesellschaftlichen Spannungen und Bedenken gegenüber einer Regierungspolitik, die oft als zu radikal und wenig pragmatisch empfunden wird.

In einer Zeit, in der die Energiepreise steigen und die Versorgungssicherheit zunehmend infrage gestellt wird, sind die Ergebnisse dieses Ausschusses von entscheidender Bedeutung. Sie werden zeigen, ob ideologische Ziele über das Wohl der Bürger und die Stabilität der Wirtschaft gestellt wurden. Die liberal-konservative Zielgruppe wird diese Entwicklungen mit besonderem Interesse verfolgen und ihre politischen Schlüsse daraus ziehen.


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