Bei der Wasserstoff-Strategie von Wirtschaftsminister Robert Habeck klafft eine große Lücke zwischen den ambitionierten Zielsetzungen und der Realität. Die Parallelen zur kontroversen und sündhaft teuren Heizwende sind pikant.
Von den angekündigten 88 Elektrolyse-Anlagen, die grünen Wasserstoff mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energien herstellen, gibt es nur für 16 davon finale Investitionszusagen. Dies geht aus einer Analyse des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln (EWI) hervor, die der Energieversorger und Verteilnetzbetreiber Eon letzte Woche präsentierte.
Bei den durchfinanzierten Projekten handelt es sich eher um kleinere Elektrolyse-Anlagen, sodass mit den aktuell existenten und gesicherten Anlagen nur drei Prozent der angekündigten Elektrolysekapazität abgedeckt ist.
Überambitionierte Ziele?
Stand Februar waren im gesamten Land Elektolyseure mit einer Leistung von gerade einmal 66 Megawatt installiert. Die Bundesregierung will im Rahmen der nationalen Wasserstoff-Strategie bis 2030 eine Elektrolyse-Kapazität von 10 Gigawatt aufbauen, der Nachholbedarf ist also gigantisch. Die Anlagen sollen überwiegend in den norddeutschen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein entstehen. Der Wasserstoff ist aktuell vorwiegend für Industriebetriebe bestimmt und soll langfristig auch Kraftwerke versorgen. Bis 2028 soll zudem ein Startnetz mit mindestens 1.800 Kilometern an neuen Wasserstoff-Leitungen und umgerüsteten Erdgas-Pipelines entstehen.
Als Ursachen der großen Lücke zwischen den Zielen und der tatsächlich gesicherten Elektrolyse-Kapazität sieht die EWI-Studie unter anderem unzureichende Subventionen, verspätete Förderzusagen und strenge Auflagen. Zudem fehle es an der notwendigen Transport- und Speicherinfrastruktur für Wasserstoff, wie Eon kommentiert.
Der Energiekonzern bleibt dennoch positiv und erwartet einen positiven Trend für die Zukunft. „Deutschland befindet sich beim Wasserstoffhochlauf erst am Anfang eines langen Weges“, betonte der Geschäftsführer der Wasserstofftochter Eon Hydrogen, Gabriël Clemens.
Gescheiterte Wasserstoff-Projekte
Die neuen deutschen Klimaschutzverträge, bei denen der Staat die Mehrkosten einer „grünen“ Wasserstoffproduktion in Relation zu vergleichbaren fossilen Methoden kompensieren will, sollen die Wasserstoff-Infrastruktur perspektivisch vorantreiben, machen aber zugleich das größte Problem mit Wasserstoff als Energieträger allzu sichtbar: Die mangelnde Wirtschaftlichkeit.
Einige Vorzeige-Projekte in diesem Bereich sind schon gescheitert. Inbesondere der abrupte Baustopp einer Elektrolyse-Anlage in der Öl-Raffinerie Heide in Hemmingstedt sollte zu denken geben. Die Raffinierie hatte sich mit zwei Partnerfirmen zusammengeschlossen, um im Rahmen des Projektes „Westküste 100“ eine 30-Megawatt-Anlage zur Produktion von Wasserstoff aus Windstrom zu errichten. Es gab Millionen an Fördergeldern vom Wirtschaftsministerium und dem Bundesland Schleswig-Holstein.
Laut einer Pressemitteilung vom November 2023 waren steigende Investitionskosten und „damit einhergehende große wirtschaftliche Risiken“ der Hauptgrund für diese Entscheidung. Trotz der staatlichen Fördermittel lohne sich ein dauerhafter Betrieb der Anlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff in industriellem Maßstab nicht. Ein anderes ebenfalls von der Landesregierung bezuschusste Projekt namens „Hyscale 100“ ist derweil noch in der Planungphase. Als Teil des Projektes soll noch viel mehr grüner Wasserstoff bei der Raffinerie Heide erzeugt werden und mit gespeichertem Kohlendioxid aus einer lokalen Zementfabrik zu E-Methanol vermischt werden. Angesichts des Scheiterns des ersten Projektes ist stark anzuzweifeln, ob dasselbe in größer und komplexer gelingen wird.
Es gibt zahlreiche weitere mahnende Beispiele: Bei der größten bayerische Elektrolyseanlage in Wunsiedel wurde Anfang 2023 der Betrieb für mehrere Monate wegen mangelnder Rentabilität durch hohe Strompreise unterbrochen; der Ausbau wurde vorerst gänzlich auf Eis gelegt. In Hannover beendeten jüngst Ratspolitiker die Pläne einer Wasserstofffabrik im Klärwerk Herrenhausen, weil sich die Kosten verfünffacht hatten und die Hochwasserschutz-Auflagen verschärft worden waren. Auch die Pläne des Stromanbieters Pfalzwerke für einen Elektrolyseur in Bad Dürkheim mit einer Kapazität bis zu zehn Megawatt wurden wegen fehlender Wirtschaftlichkeit eingestampft.
Auch andere europäische Länder haben große Probleme bei ihren Versuchen, eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. In Großbritannien etwa wurde ein geplantes Pilotprojekt zum Wasserstoff-Heizen in der nordenglischen Kleinstadt Redcar aufgrund erheblicher Sicherheitsbedenken und horrender Kosten abgebrochen. Und in Österreich wurde nach vier Jahren dem Projekt „H2Carinthia“ vorläufig der Stecker gezogen. In Kärnten sollte grüner Wasserstoff aus einer Halbleiter-Fabrik von Infineon als Zweitverwertung eine Tankstelle für Wasserstoff-Fahrzeuge, vor allem LKW, speisen. Von täglich bis zu 300 Kilogramm recyceltem Wasserstoff pro Tag war die Rede.
Wasserstoff als Energieträger extrem ineffizient und teurer
Die neuesten Daten und Projektentwicklungen sind bedenklich im Hinblick auf Deutschlands ambitionierte Energiewende, die zu einem erheblichen Teil auf Wasserstoff setzt, um ab 2035 ohne den Einsatz fossiler Brennstoff auszukommen.
Warum ist eine Energieversorgung mit Wasserstofff eigentlich so teuer? Im Wasserstoff-Atom steckt zwar ein gewaltiges energetisches Potential. Aber in der Praxis ist Wasserstoff ein äußerst ineffizienter Energieträger, der nur unter sehr hohen Aufbereitungs-, Transport- und Infrastrukturkosten zum Einsatz kommen kann.
Um Wasserstoff energetisch nutzbar zu machen, muss er zunächst unter hohem Energieaufwand vom Sauerstoff getrennt werden, denn in größeren Mengen existiert Wasserstoff auf der Erde nur als Molekül-Bestandteil von Wasser. Die Elektrolyse ist das Verfahren, welches Wasser unter Einsatz von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufspaltet. In der Brennstoffzelle wird dann die Knallgasreaktion von Wasser- und Sauerstoff genutzt, um Strom zu erzeugen. Wasserstoff als Wärmequelle muss genauso aufwendig gewonnen werden. Die wirtschaftlicheren Alternativen, das „Verkoken“ von Steinkohle und die „Dampfreformierung“ von Erdgas, liefern keinen grünen Wasserstoff, weil im Prozess Kohlendioxid freigesetzt wird.
Für grünen Wasserstoff muss man also erst sehr viel Strom (ergo Energie) einsetzen, um Strom (Energie) zu bekommen. Das ist reichlich ineffizient. Der Energieverlust alleine durch die Elektrolyse beträgt circa 40 bis 50 Prozent. Durch die notwendige Wasseraufbereitung, Reibungsverluste sowie Transport und Lagerung des Wasserstoffs (Kühlung, Verflüssigung und Re-Verdampfung oder als Hochdruckgas) summieren sich die Energieverluste auf mindestens 80 Prozent – also ein Gesamt-Wirkungsgrad von unter 20 Prozent. Die Pkw-Alternative zur Brennstoffzellen-Antrieb – das Wasserstoff-Verbrenner-Auto – erfordert keine so aufwendige Aufbereitung des Wasserstoffs, hat dafür aber noch höhere Energieverluste.
Noch absurder wird es, wenn man Wasserstoff und Kohlendioxid zu besser transportierbaren „E-Fuels“ (etwa Methanol) vermischt, diese anstelle von Wasserstoff als Brennstoff für die Brennstoffzelle verwendet, wobei das gesamte Kohlendioxid wieder frei wird. Das ist zwar CO2-neutral, senkt aber den Wirkungsgrad der gesamten Kette auf rund 10 Prozent.
Habecks verrückte Wasserstoff-Strategie
Die Probleme mit Habecks Wasserstoff-Strategie fangen jedoch schon ganz am Anfang in der Elektrolyse-Kette an, also bei der Stromerzeugung. Eine Speisung von Elektrolyse-Anlagen mit Solar- und Windkraft ist vielleicht gut gedacht, funktioniert aber in der Praxis aufgrund der unsteten Natur dieser Erneuerbaren Energieträger nicht. Teilzeit-Elektrolyse rechnet sich offensichtlich nicht, weshalb die Pilotprojekte auf kurz oder lang alle scheitern dürften.
Man bedenke auch, dass beispielsweise im April der Anteil der EEG-Umlage an der Einspeisevergütung der Ökostrom-Erzeuger rund 90 Prozent ausmachte, der eigentliche Stromverkauf zu Marktpreisen nur 10 Prozent. Ohne massive staatliche Subventionen würde es in Deutschland überhaupt keinen sogenannten Ökostrom geben, weil sich kein Stromerzeuger fände, der freiwillig mit garantierten Verlusten produziert. Für das laufende Jahr erwarten die das EEG-Konto verwaltenden Übertragungsnetz-Betreiber eine Finanzierungslücke von 7,8 Milliarden Euro.
Der umstrittene Ausstieg aus der Atomkraft erscheint vor dem Hintergrund der ambitionierten Elektrolyse-Ziele noch irrationaler als ohnehin schon. Denn die AKWs hätten dafür stetigen, CO2-neutralen und relativ günstigen Strom bereitstellen können. In Anbetracht der hohen Stromkosten und mangelnden Kapazitäten des Stromnetzes wird Deutschland deutlich mehr grünen Wasserstoffs importieren müssen als die für 2030 geplanten zwei Drittel des bundesweiten Bedarfs. Entsprechende Rechnungen, aus welchen Ländern der Import am günstigsten wäre, kursieren bereits. Die Gesamtkosten bleiben freilich auch in diesem Szenario sehr hoch, obwohl unser Wirtschaftsminister davon ausgeht, dass die Import-Preise bei höheren Volumina letztlich sinken werden.
Bezüglich der unrealistischen Wasserstoffpläne scheint zumindest langsam ein wenig Weisheit in die Kammern der Wirtschaftsplaner durchzusickern. Die letzten Sommer in Aussicht gestellten Ausschreibungen für reine Wasserstoffkraftwerke und Erdgas-Wasserstoff-Hybrid-Anlagen fanden beim letzten Update des Wirtschaftsministers Anfang Februar fast gar keine Erwähnung mehr. „Kraftwerke, die ausschließlich mit Wasserstoff laufen, werden bis zu 500 MW im Rahmen der Energieforschung gefördert“, heißt es hierzu in dem Pressebericht. „Richtigerweise werden teurere Hybrid- und Sprinter-Kraftwerke in der Strategie zurückgestellt“, kommentierte damals der Branchenverband BDEW.
Jetzt ist lediglich die Rede von einer kurzfristigen Ausschreibung für neue Kraftwerkskapazitäten im Umfang von bis zu vier Mal 2,5 Gigawatt als „H2-ready-Gaskraftwerke“ und einem Umstiegszeitraum zwischen 2035 und 2040. Als solches werden Gaskraftwerke bezeichnet, die von Beginn an auch auf einen vollständigen Wasserstoff-Betrieb ausgelegt sind und daher besonders schnell umrüstbar sein sollen.
„Diese Kraftwerke sollen an systemdienlichen Standorten stehen. Die Förderungen werden aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert“, vermeldete das Ministerium. Nun wird die Zeit knapp, wenn die ersten Ausschreibungen der H2-ready-Gasraftwerke wie geplant im laufenden Jahr finalisiert werden sollen. Die gesamte Kraftwerksstrategie muss zudem mit der EU-Kommission abgestimmt sein und hier laufen noch die Verhandlungen.
Wer soll die Umrüstung von Gaskraftwerken bezahlen?
Maximal fragwürdig sind die Habeck´schen Pläne, das deutsche Gasnetz bis 2045 in weiten Teilen abzubauen. Ersetzt werden soll es in Teilen durch das Wasserstoff-Netz. Wasserstoffkraftwerke sollen also auch einspringen, wenn Windkraft- und Photovoltaikanlagen nicht genügend Strom generieren. Diese Idee ist reichlich paradox, wenn die Kraftwerke mit grünem Wasserstoff aus Elektrolyseuren versorgt werden sollen, die auf eben jenen unsteten Wind- und Solarstrom angewiesen sind, und erfordert mindestens eine bundesweite Abdeckung mit teuren Wasserstoff-Speichern. Diese hohen Investitionskosten wären selbst dann erforderlich, wenn Ökostrom schlagartig um ein Vielfaches billiger werden würde.
Geplant ist unter anderem auch, Gaskraftwerke und Gasleitungen bis 2035 auf Wasserstoff umzurüsten. Die Umrüstung ist technisch anspruchsvoll und kostenintensiv – etwa, weil die Innenflächen der Gaskraftwerke mit Keramik ausgekleidet werden müssten, um den durch die Wasserstoffverbrennung erzeugten hohen Temperaturen standhalten zu können.
Ein weiteres Problem: Wasserstoff-Atome weisen einen sehr geringen Durchmesser auf und begünstigen dadurch die Diffusion, also das Entweichen des Elements aus unter Druck stehenden Pipelines oder Tanks. Man wird also nur begrenzt auf die bestehende Gas-Infrastruktur zurückgreifen können. Es müsste deshalb zusätzlich eine komplett neue Infrastruktur aus neuen Wasserstoff-Kraftwerken und -Pipelines aufgebaut werden.
Dieses gewaltige Unterfangen zu bezahlen, erscheint aus heutiger Sicht fast unmöglich. Die Finanzierung des Wasserstoff-Netzes soll neben staatlichen Fördermitteln vor allem über Nutzer-Entgelte erfolgen, vergleichbar mit der alten Regelung bei der EEG-Umlage. Die Kosten der deutschen Energiewende für Verbraucher und Steuerzahler dürften demnach auch in 10 Jahren noch exorbitant sein.