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Merz vs. Scholz: Mit Marktwirtschaft und Gesetzen der Physik die Bahn retten - vor 2070

Lesezeit: 4 min
22.07.2024 17:12
Es war ein bemerkenswertes Statement im Format des „Sommer-Interviews“. CDU-Parteichef Friedrich Merz hat vorgeschlagen (und der Bahn empfohlen), weniger Züge im maroden Schienennetz einzusetzen. Das Ziel ist klar: So könnte die Pünktlichkeit maßgeblich gesteigert werden - und zugleich die Zufriedenheit der Bahn-Kunden. Zugehört haben offenbar nicht sonderlich viele. Das’;ändert sich gerade. Allmählich wird klar, dass Merz eine sinnvolle Idee hat. Der Kanzler winkt reflexartig ab. Warum?
Merz vs. Scholz: Mit Marktwirtschaft und Gesetzen der Physik die Bahn retten - vor 2070
Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender, beim ARD-Sommerinterview am Bundestag mit Chefredakteur Fernsehen im ARD-Hauptstadtstudio, Markus Preiß. (Foto: dpa)
Foto: Michael Kappeler

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Friedrich Merz und der Nahverkehr - das ist bei Linken natürlich sofort eine Pointe wert. Bei Merz fällt da fast jedem das Privatflugzeug ein, mit dem der weltgewandte Oppositionsführer manches Verkehrschaos umfliegen kann.

Der Journalist Markus Preiß hatte Merz infolge der Fußball-Europameisterschaft auf die verheerende Berichterstattung von beispielsweise der „New York Times“ und der britischen „Sun“ angesprochen, die ihre Fassungslosigkeit über die Umstände im öffentlichen Nahverkehr Deutschlands kundgetan haben. „Vergessen Sie alles, was sie glauben über deutsche Effizienz zu wissen glaubten“, schrieben die Amerikaner, während in London über „Reisechaos und Alptraum-Zugfahrten“ geschimpft wurde. Und wie kommentierte Merz die „Luftnummer der Bahn“? Und die fehlenden Milliarden für Infrastruktur?

Investitionen ohne Kostendeckung: 92 Milliarden Euro erfordert die marode Infrastuktur

Zur Erinnerung: Die Bundesregierung hat jüngst erst Pläne für einen „Deutschland-Takt“ vorgelegt. Der allerdings erst anno 2070 greifen wird, also in 46 Jahren (sic!), wenn nämlich Volker Wissings Sanierungspläne final von den Nachfolgern des FDP-Verkehrsministers abgearbeitet werden konnten. Merz reagierte konstruktiv: Seine Fraktion habe nachgedacht und "ein Konzept aufgeschrieben". Schienennetz und Eisenbahn-Betrieb müssten Merz endlich juristisch und betriebswirtschaftlich voneinander getrennt werden.

Was Merz meint: Das Netz müsse im Eigentum des Staates bleiben, während der Betrieb darauf marktwirtschaftlich organisiert werden sollte. Und zwar frei von politischen unsinnigen und überfrachteten Vorgaben. „Wir müssen endlich aufhören, der Bahn weiter zusätzliche Aufgaben, zusätzliche Verbindungen und zusätzliche Angebote aufzuerlegen“, sagte Merz. „Die Bahn muss ihr Angebot reduzieren, damit das reduzierte Angebot wieder zuverlässig erbracht werden kann. Die Bahn AG wird überfordert und überfordert sich gerade selbst - strukturell.“ Worum es schlicht geht, sind die Gesetzmäßigkeiten der Physik. Die Anzahl der Zugverbindungen lässt sich im bestehenden Gleisnetz nicht mehr weiter erhöhen. Zu kleiner Durchmesser, zu viel Regenwasser, wie beim Gulli!

Warum der Kanzler den Vorschlag reflexartig ablehnt und verhohnepipelt

Ein Interview-Schnipsel, der beinahe völlig verpufft wäre im Nachrichten-Wust. Denn dann stand mit der Rente bereits Rente das nächste Thema auf dem Zettel des Moderators. Dann hakte jetzt doch ein Journalist von I-Online bei Olaf Scholz nach. „Nachdem CDU und CSU überwiegend die Verantwortung dafür haben, dass in den letzten Jahrzehnten zu wenig in die Infrastruktur der Schiene gesteckt worden ist (...), ist das natürlich eigentlich wie eine Verhöhnung derjenigen, die sich über die schlechte Qualität des Bahnangebots ärgern“, gab der SPD-Politiker zu Protokoll. Weniger Züge? „Ich glaube auch nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger das gut fänden“, so der Kanzler schnippisch.

Stunden-Takt oder gar halbstündige Verbindungen ist die Vorgabe, die die Bahn überfordert

Das war vielen war wieder zu viel - vor allem an Unkenntnis. Selbst die Vertreter des Fahrdastverbandes Pro Bahn, alles andere als Freunde von Cessna-Privatflugzeugen der Volocoptern als Verkehrsmittel der Zukunft, pflichten Merz bei. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Lukas Iffländer hält die Bahn gleichfalls für „strukturell überfordert“. Es gehe um punktuelle Entlastungen auf überfüllten Hauptstrecken. Weniger Züge sollten überall dort unterwegs sein, wo der Fahrplan Iffländer zufolge schon jetzt nicht stabil eingehalten werden kann. Ein krasser Widerspruch zu den Zielen des Bahnchefs, der der amtierenden Regierung nach dem Mund redet, wie jüngst in einen Interview. „Wir wollen im Interesse des Klimas und der Mobilität vor allem mehr Züge fahren lassen, auch wenn das aufgrund der Gesamtsituation die Pünktlichkeit zusätzlich belastet“, sagte Richard Lutz ganz bewusst, obwohl er die Probleme des in Deutschland von der Politik favorisierten Stunden-Takts im ICE-Verkehr nur zu genau kennt. Denn sein Geschäftsmodell basiert maßgeblich auf Zugbindung.

Wenn „Pufferküsser“ und Bahnchef von Fernverbindungen im Halbstunden-Rhythmus träumen

Ein Wahnsinn, dass es sogar Utopisten gibt, die aktuell von halbstündigen Verbindungen zwischen den Großstädten träumen - bis der Abfluss endgültig verstopft ist, um im oberen Bild mit dem Regenguss zu bleiben. „Besser ein herkömmlicher ICE alle halbe Stunde als ein Doppelstock-ICE jede Stunde“, so Bahnchef Lutz. „Dann kommt bei einer Verspätung auch schneller der nächste Anschlusszug.“ Voraussetzung wären freilich der gewünschte vierspurige Streckenausbau am Sankt Nimmerleinstag in 2070. Wie das aktuell funktionieren soll, angesichts der aufeinander abgestimmten Anschlusszüge, sollte der Bahnchef einmal wissenschaftlich seinen Kunden zu erklären versuchen. Wie kommt denn ein Folgezug am Bahnstau vorbei? Oder geht es darum, dass - ganz und gar demokratisch - möglichst alle Bahnkunden gleichermaßen zu spät an ihrem Reiseziel ankommen sollen?

Eine Fehlallokation, wie sich nicht mal die Ökonomen Marx und Engels hätten vorstellen können

Dass es auch anders geht, zeigen die ausländischen Erfahrungen etwa der französischen Bahn mit ihren Schnellzügen. Dort werden auf stark frequentierten Strecken regelmäßig zwei TGV-Doppelstockzüge mit bis zu 1020 Sitzplätzen gekoppelt und auf die Fahrt geschickt. Der Billiganbieter Ouigo bringt sogar 1268 Passagiere in so einer Zug-Schlange unter. In Deutschland fährt selbst der neueste ICE mit 13 Waggons offiziell 918 Fahrgäste. Immer wieder steht man als Passagier aber auch staunend vor siebenteiligen Kurzzügen mit nur 444 Plätzen. Eine Fehlallokation auf den Trassen der Eisenbahn, wie sie sich nicht mal unsere Eisenbahn-Pioniere Marx und Engels 1867 hätten vorstellen können.

Anhänger der Marktwirtschaft würden argumentieren, dass Passagiere sich auf das Angebot von weniger Zügen einstellen könnten, indem sie für kurzfristige Buchungen zum Beispiel auf Fernbusse umsteigen. Nach den Regeln von Angebot und Nachfrage könnte sich das Bahnfahren jedenfalls wieder in der Normalität pünktlicher Züge einpendeln, was bei einer gestiegener Kunden-Zufriedenheit am Ende allen zu Gute kommt. Seltsam, dass unser Bundeskanzler davon patout nichts wissen will.

 

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.



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