Politik

DWN-Interview: Ukraine - Bedarf bei intelligenter Artilleriemunition höher als die Liefermöglichkeiten

Lesezeit: 10 min
16.08.2024 17:01
Im Krieg in der Ukraine erleben fast totgesagte Waffensysteme wie Rohr- und Raketenartillerie eine Renaissance. Inzwischen spielen sie sogar eine entscheidende Rolle auf den Schlachtfeldern.
DWN-Interview: Ukraine - Bedarf bei intelligenter Artilleriemunition höher als die Liefermöglichkeiten
GPS-basierte Steuerungssysteme erhöhen die Treffgenauigkeit von Artilleriemunition und spielen eine zentrale Rolle in modernen militärischen Strategien (Foto: dpa).

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Die heutigen Artilleriegranaten und -raketen sind dabei deutlich zielgenauer als noch in Zeiten des Kalten Krieges. Denn sie verfügen heute über automatische und GPS-gestützte Lenkmechanismen, die eine sehr hohe Zielgenauigkeit auf große Distanzen ermöglichen. So kann die Rohrartillerie auf über 40 km ein anvisiertes Ziel, wie eine Fensterscheibe in der Größe 30x30 cm, mit nur einem Schuss treffen. Die Raketenartillerie hingegen trifft Ziele von einer Größe von nur 100x100 cm aus einer Entfernung von 300 km. Dies ist mit Hilfe von satellitengestützten Lenksystemen an den Artilleriegeschossen und Raketen möglich. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen mit dem Rüstungsexperten Thomas Meuter über „intelligente Artilleriemunition“.

DWN: Die militärische Bedeutung von insbesondere von endphasengelenkten Artilleriemunitionen hat im Ukrainekrieg deutlich zugenommen. Wie kam es dazu?

Thomas Meuter: In den letzten 20 Jahren wurden die militärischen Fähigkeiten auf große Entfernungen von 30 oder mehr Kilometern mit nur wenig Munitionseinsatz Ziele punktgenau zu treffen immer größer. In der Vergangenheit wirkte die Artillerie immer mit Masse und belegte die zu bekämpfenden Ziele immer mit einem erheblichen Munitionseinsatz, was zu großen Zerstörungen im Zielgebiet führte, da die Munition nicht so zielgenau war. Die verwendeten Artilleriegranaten flogen ungelenkt, um ein Ziel über eine Distanz von über 30 km zu treffen. Ob dies gelang, hing aber von vielen Faktoren ab, wie beispielsweise dem Wetter, der Qualität des Geschützes oder dem verwendeten Geschosstyp.

Aus diesem Grunde war die damalige Faustregel der Artillerie: Wenn eine Granate in einem Umkreis von 50 Metern um das Ziel herum einschlug, war dies, artilleristisch gesehen, ein Volltreffer. Die Explosionswirkung war dabei meist stark genug, um ein beschossenes Ziel zu bekämpfen und auszuschalten. Dies ist heute militärisch nur schwer verantwortbar, denn man will heute punktgenau treffen, um unnötige Schäden zu vermeiden und wenig Munition auf dem Gefechtsfeld zu haben. Verwendet werden deshalb heute automatisch gesteuerte Artilleriegranaten, die in der Lage sind, mit Hilfe einer GPS-Steuerung zielgenau und in einer Entfernung von über 30 km zu fliegen und sicher treffen zu können. Die Zielgenauigkeit ist dabei der entscheidende Faktor. Technisch gesehen ist dies seit einigen Jahren schon abbildbar und realisiert. Darüber hinaus werden Kollateralschäden verhindert oder minimiert sowie der Munitionseinsatz auf ein Minimum im Einsatz reduziert.

Das Gleiche gilt für artilleristische Lenkwaffensysteme wie die amerikanische HIMARS, welches über große Entfernungen, ebenfalls sehr genau treffen kann. Wie wirkungsvoll diese gelenkte Munition ist, belegte nachdrücklich die ukrainische Armee in den letzten 20 Monaten. Diese brachte den russischen Kräften starke Verluste bei, verlangsamte deren Vormarsch und erschwerte deren Logistische Versorgung mit militärischen Gütern. Der Kampf in der Tiefe des gegnerischen Raumes konnte damit besser geführt werden. Zusammenfassend muss gesagt werden, dass endphasengelenkte Granaten oder Raketen effektiver bzw. zielgenauer als eine ungelenkte Munition wirken kann. Dabei wird der Masseneinsatz von Granaten verhindert und eine punktgenaue Bekämpfung eines Zieles, selbst in einem stark bebauten Bereich, leichter möglich.

DWN: Was genau brachte die gelenkte 155mm Artilleriemunition den ukrainischen Streitkräften?

Thomas Meuter: Zunächst einmal verfügte die Ukraine über keinerlei endphasengelenkte Artilleriemunition des Kalibers 155mm, um sehr gezielt russische Kräfte angreifen zu können, als der Krieg begann. Zudem ist dies ist ein westliches Kaliber. Die ukrainischen Streitkräfte hatten das russische Kaliber 152mm, was etwas kleiner als das NATO-Kaliber ist, und das Kaliber 122mm in ihren Beständen. Dabei handelts es sich um rein ballistische und nicht endphasengelenkte Geschosse, die zudem keine guten endballistischen Leistungen hatten.

Als Deutschland, Frankreich, England und die USA die ersten Rohrartilleriesysteme mit dem NATO-Kaliber 155m lieferten, wurde dann auch endphasengelenkte Munition mitgeliefert. Damit können Punktziele wie Panzerfahrzeuge, Gefechtsstände oder feindliche Stellungen aller Art schnell und sehr genau bekämpft werden. Damit erhielt die ukrainische Artillerie erstmals eine deutlich höhere Kampfkraft als die russische, die auch noch in der Überzahl war. Präzisionsschläge waren nun leichter mit der Rohrartillerie und auf größere Entfernungen von deutlich mehr als 30 km möglich und fügte den russischen Kräften schwere Verluste zu, ohne viel Munition dafür zu verbrauchen. Dazu trugen die gelieferten Panzerhaubitzen 2000 aus Deutschland genauso bei, wie die amerikanischen Feldhaubitzen M777, die französische CEASAR und andere Artilleriesysteme westlicher Bauart. Die Trefferquoten bei Artilleriegranaten des amerikanischen Typs Excalibur oder der deutschen SMArt 155mm Munition lagen bei deutlich über 90 Prozent, was die neue ukrainische Artillerie zu einem gefährlichen Instrument auf dem Gefechtsfeld werden ließ.

Die russischen Streitkräfte beantworteten dies mit meist einem starken Trommelfeuer aus sehr vielen Geschützen, um durch massives Feuer, die ukrainischen Stellungen buchstäblich zu zerschlagen. Dieser erhoffte Erfolg blieb aber bei dieser russischen Taktik völlig aus.

DWN: Der Munitionsmangel der Artillerie in der Ukraine scheint aber das Kampfgeschehen stark zu beeinflussen…

Thomas Meuter: Endphasengelenkte 155m Munition aus NATO-Beständen ist mit rund 8.500, - Euro pro Schuss recht teuer. Hinzu kommt, dass in Deutschland die Produktion dieses Munitionstyps bisher auf Sparflamme läuft und die Artillerie der Bundeswehr auf ein unverantwortliches Maß und aus politischen Gründen verkleinert wurde. Dies bedeutete auch eine deutliche Verkleinerung der Munitionsbestände der Artillerie in Deutschland. Die deutsche Industrie kann nicht den Bedarf der ukrainischen Artillerie an 155mm Munition decken, auch wenn die Anfragen danach immer wieder gestellt werden.

Auch die europäische Industrie kann dies nicht, da die Produktionsvoraussetzungen nicht gegeben sind. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 4.000 bis 6.000 Schuss am Tag, werden pro Monat zwischen 120.000 und 180.000 Schuss benötigt. Das ist meiner Meinung nach schon sehr moderat gerechnet. Dies betrifft alle Kaliberbereiche einschließlich der verwendeten russischen Kaliber. Bei der Mehrzahl der verschossenen Granaten handelt es sich um klassische Sprenggranaten mit Splitterwirkung, die ungelenkt ins Ziel fliegen und dort detonieren. Diese Granaten kosten nur rund 3.500, - Euro das Stück und sind deutlich billiger als gelenkte Artilleriemunition. Die Mehrzahl der Granaten, die in diesem Krieg verschossen werden, sind deshalb ungelenkt, da diese leichter zu beschaffen und herzustellen sind. Mit Hilfe von Aufklärungsdrohnen, die über dem Zielgebiet kreisen und von dort in Echtzeit ein Bild an die Gefechtsstände der Artillerietruppe übermitteln, damit diese gegebenfalls Zielkorrekturen ausführen kann, um Ziele mit normaler Munition besser zu treffen und somit den Munitionsaufwand zu optimieren, ist die gängige Praxis im Artilleriekampf. Dies ist aber nicht immer der Fall.

Oft wird ohne Echtzeitaufklärung auf vermutete Ziele geschossen und damit mehr Munition verbraucht als es nötig ist. Um den Munitionsverbrauch einmal deutlich werden zu lassen: Die Panzerhaubitze 2000 kann 12 Schuss in einer Minute abgeben, da diese einen automatischen Lader hat. Dies ist eine sehr hohe Feuergeschwindigkeit. Nicht selten verschießt die hochmobile deutsche Panzerhaubitze 2000 100 oder mehr Schuss am Tag, was ein sehr hoher Verbrauch ist. Das Feldartilleriegeschütz M777 aus den USA kann sechs bis sieben Schüsse pro Minute abfeuern, da es manuell geladen werden muss. Dies entspricht einem international üblichen Standard bei Feldgeschützen mit dem Kaliber 155mm. Hinzu kommt die Länge der Front in der Ukraine und da ist der Verbrauch von ca. 4.000 bis 6.000 Artilleriegranaten noch eher als durchschnittlich zu sehen. Im Krieg wird auch viel Munition verschossen, um den Gegner nicht nur entscheidend zu treffen, sondern auch gezielt niederzuhalten oder Infrastruktur zu zerstören. Das kostet viel Munition und dies ist immer besser als viele Soldaten bei Kämpfen verlieren zu müssen. Der Verbrauch an Artilleriemunition ist in jedem Fall höher als man es vor dem Ukrainekonflikt vermutet hatte.

DWN: Ist es überhaupt möglich, die Ukraine mit ausreichend westlicher Artilleriemunition zu versorgen?

Thomas Meuter: Zunächst muss dabei folgendes berücksichtigt werden: Der Bedarf an 155mm Munition ist sehr hoch und kann nicht allein von der europäischen Verteidigungsindustrie gedeckt werden. Die großen deutschen Munitionshersteller Rheinmetall und Diehl können nur einen Teil der geforderten Granaten für Kiew herstellen. Deren neue Produktionskapazitäten müssen erst einmal aufgebaut werden, was mehr als zwei Jahre dauern dürfte. Die bisher gelieferte Munition aus Beständen der Bundeswehr reicht auf Dauer nicht und muss schnell ergänzt werden, damit hier keine weitere Fähigkeitslücken entstehen, die schon ohnehin da und gravierend sind. Der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, sprach zu Beginn des Kriegs in der Ukraine von der Tatsache, dass er „blank“ auf der Hand sei. Deutschland ist heute genauso wenig verteidigungsbereit oder -fähig wie zu Beginn des Kriegs in der Ukraine. Hinzu kommt die deutsche Munitionsabgabe, die bis heute nicht kompensiert wurde. Die Bundeswehr kann heute mit den vorhandenen Artilleriemunitionsbeständen keine zwei Tage Kampf im Krieg bestreiten.

Die europäische Munitionsindustrie versucht mit Hochdruck, ihre Kapazitäten hochzufahren, aber dies geht nicht von heute auf Morgen, denn es ist in den letzten Jahren zu viel an Produktionsmöglichkeiten für Munition abgebaut worden. Das wieder aufzubauen, dauert viele Jahre. In ganz Europa ist der Munitionsmangel in den Streitkräften unfassbar groß. Ähnliches gilt für die USA. Das Pentagon will bis 2025 30 Prozent aller 155mm Granaten von der türkischen Rüstungsfirma Repkon herstellen lassen. Damit wird die Türkei einer der Schlüssellieferanten der USA für 155mm Artilleriegranaten. Erst Anfang März 2024 sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Ankara in dieser Angelegenheit vor, um neue Munition zu beschaffen. Die Türkei hat in Europa die zweitgrößte Armee in der NATO und verfügt über sehr große Bestände an Munition, wie Griechenland auch. Europa stellte für Kiew 180.000 Artilleriegranaten bis zum Sommer in Aussicht und darüber hinaus nochmals weitere 100.000 Stück bis zum Herbst. Dieser Vorrat reicht aber nur für maximal drei Monate Kampf. Die Lieferung von über 800.000 Schuss, sagten in diesem Jahr tschechische Diplomaten in Kiew zu. Ob diese alle geliefert werden können, ist sehr fraglich.

Die NATO versucht auf allen Wegen, Munition aufzutreiben und der Ukraine zu liefern, ohne die eigenen Bestände noch weiter zu minimieren. In diesem Zuge gab Dänemark alle seine CAESAR-Haubitzen aus französischer Produktion und seine gesamten Vorräte an 155mm Artilleriegranaten an Kiew ab. Es ist ein schwerer beschaffungspolitischer Weg, der aber geleistet werden kann, wenn alle Partner an einem Strang ziehen und dies scheint möglich zu sein.

DWN: Stichwort Zielgenauigkeit der endphasengelenkten Munition. Ist diese Eigenschaft nicht im Rahmen des elektronischen Kampfes zu unterbinden?

Thomas Meuter: In der Tat ist dies ein heikles und brisantes Thema. Die Russen lernen schnell und haben sich in der elektronischen Kampfführung in allen Ebenen schon erheblich verbessert, was Nachrichtendienste bestätigen. Derzeit können intelligente 155mm Munitionstypen mit Hilfe von elektronischen Störern auf dem Gefechtsfeld im Anflug daran gehindert werden, ein Ziel zu treffen. Mit Hilfe von russischen GPS-Störern, die derzeit in Masse eingesetzt werden, sank die Zahl der Ersttreffer von endphasengelenkter Artilleriemunition des Typs Excalibur von ca. 96 auf unter 6 Prozent. Das ist ein schwerer Schlag für den Einsatz dieser speziellen US-Munition.

Die russischen Streitkräfte haben konsequent und richtig gehandelt, um dieser Bedrohung entgegenzutreten und um eigene Verluste zu minimieren. Dies gelang den Russen auch gegenüber der US-Raketenartillerie von Typ HIMARS, die als sehr treffsicher galten und auf Entfernungen von 70 km wirkten. Auch hier kam es zu erfolgreichen elektronischen Störungen, damit diese Lenkwaffen nicht ins Ziel gelangten. Dies wiederum bedeutet, dass diese Waffensysteme gegen elektronische Störungen zusätzlich gehärtet werden müssen. Dies gilt es rasch technisch umzusetzen, damit die Wirksamkeit wieder hergestellt werden kann, die es nun nicht mehr gibt. Artillerieschläge der ukrainischen Truppen gegen Hochwertziele im Hinterland des Gegners sind nun schwerer geworden.

DWN: Es heißt, Russland verfüge auch nicht über genügend Artilleriemunition, obwohl die russischen Kapazitäten viel größer als die der Ukraine sind. Was hat es damit auf sich?

Thomas Meuter: Russland hat in vielen Konflikten in den vergangenen 30 Jahren auch eine Menge an alten Munitionsvorräten verschossen und nicht ergänzt. Da die russische Artillerie immer gleich von der Truppe eingesetzt wird, in dem diese Unmengen an Munition in ein Zielgebiet schießt, um dort einen Gegner zu bekämpfen, sind deren Vorräte auch ziemlich geschrumpft. Dennoch hat Russland deutlich mehr an Artilleriemunition als der ganze Westen bzw. die NATO zusammen. Aber die Russen kämpfen mit gravierenden Qualitätsproblemen in diesem Bereich. Die Munition ist oft mehr als 40 Jahre alt, hat zahlreiche technische Unzulänglichkeiten und versagt schon beim Abschuss oder produziert oft Blindgänger, die nicht im Ziel detonieren. Alles technische Probleme, die nie in der Roten Armee behandelt und ausgemerzt worden sind.

Zu Beginn des Ukrainekonflikts verschossen russische Streitkräfte bis zu 60.000 Artilleriegeschosse allen Kalibers auf ukrainische Stellungen - und dies pro Tag. Diese Munitionsmassen müssen aber erst zu den Einsatzgebieten herangeschafft und an die Truppe verteilt werden. Eine ungeheure logistische Aufgabe, die erst einmal bewältigt werden musste. Da aber die russische Wirtschaft nicht so schnell fertigen kann, wie Munition an der Front benötigt wird, hat die russische Truppe teilweise starke Engpässe in der Versorgung. Russland beschaffte in den letzten Monaten auch benötigte Artilleriemunitionen aus Staaten wie Nordkorea oder China, die die gleichen Kalibergrößer, wie sie in Russland verwendet werden, produzierten. Diese mindere Munition erwies sich aber als nicht immer voll gefechtstauglich, denn die Versagerquote war recht hoch. Teilweise explodierten die Geschosse in den Kanonenrohren der russischen Artillerie und setzen damit das Geschütz außer Gefecht.

Aber trotz dieser Probleme hat die Russische Armee im Vergleich zu den ukrainischen Streitkräften aber immer noch mehr Munition. Zum Vergleich: Die russische Industrie stellt rund 250.000 Artilleriegranaten aller Kaliber im Monat her. Damit ist der monatliche Mindestbedarf der Artillerietruppe an zu verschießbaren Granaten völlig gedeckt. Aber wenn mehr verschossen als logistisch nachgeführt werden kann, ist dies ein ernstes Problem. Ferner ist Russland sehr groß und der Munitionsnachschub muss sehr weite Strecken zurücklegen, um an die ukrainische Front zu kommen. Das dauert seine Zeit und ist logistisch, materiell sowie personell sehr aufwendig.

DWN: Was wird die Industrie zukünftig entwickeln müssen, um den Streitkräften eine moderne Artillerie zur Verfügung zu stellen?

Thomas Meuter: Die Zukunft der Artillerie geht bereits in Richtung unbemannte und autonome Systeme. Das deutsch-französische Unternehmen KNDS hat dies kürzlich in einer eindrucksvollen Vorführung der Fachpresse gezeigt, wie eine solche Entwicklung mit Namen RCH 155 funktioniert, die bereits von Kiew und der Bundeswehr in beachtlichen Stückzahlen bestellt ist. Diese mobilen Artilleriesysteme sind sehr schnell, da diese radgestützt und hoch automatisiert sind. Ferner können diese Ziele aus einer Entfernung von 50 km mit unterschiedlichen Munitionstypen bekämpfen.

Gleichwohl ist die einfache Artilleriegranate, welche hoch explosiv ist und über eine hohe Splitterwirkung verfügt, gegenüber einem endphasengelenkten Geschoss in der reinen Wirkung, der Zerstörung eines Ziels, als gleichwertig zu betrachten. Es kommt aber darauf an, was ich missionsspezifisch brauche, um unterschiedliche Ziele wie beispielsweise Panzer, Bunker, Feldstellungen oder Nachschubkolonen wirkungsvoll in der Fläche oder punktgenau bekämpfen zu können. Dies entscheiden die militärischen Beschaffer für sich. Der massive Artillerieeinsatz in der Ukraine belegte bisher, wie wichtig dieses Waffensystem immer noch auf einem modernen Gefechtsfeld ist und auch zukünftig bleibt. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich nun beide Kräfte an den Frontlinien tief eingegraben haben, um sich gegen Beschuss zu schützen, was stark an das Kriegsbild des Ersten Weltkriegs von 1914-1918 erinnert. Diese sind aber militärische Erkenntnisse, die meist nur in Kriegen gemacht werden und so nicht immer vorhersehbar sind. Moderne Artilleriesysteme benötigen unabdingbar die Fähigkeit einer Vernetzung mit luft- oder bodengestützten Aufklärungs- und Führungssystemen, um in einen Gefechtsverbund wirkungsvoll eingebunden werden zu können. Dabei spielen neuerdings autonome Systeme, die aber auch im Bedarfsfalle „bemannt“ werden können, wie die neue RCH 155, eine nicht unerhebliche Rolle.

In Deutschland ist die Zukunft der Artilleriesysteme bereits beispielhaft umgesetzt worden. Die deutsche Panzerhaubitze 2000 und das Nachfolgesystem RCH 155mm sind heute schon in der Lage, einem anrückenden Feind bis zu 70 Prozent Verluste auf Entfernungen von 50 km bei Beschuss zuzufügen, bis dieser seine angestrebten Kampfräume überhaupt erreicht hat. Die moderne Raketenartillerie wie die HIMARS kann dies schon auf Entfernungen von 300 km. Diese zugefügten Verluste sind für keine Armee der Welt schnell auszugleichen. Die moderne Rohr- und Raketenartillerie hat einen erheblichen Zuwachs in den letzten beiden Jahren erfahren. Dies wird nun in der NATO beschaffungspolitisch mit neuen Artilleriesystemen technisch umgesetzt. Die Bundeswehr gehört zu den ersten Streitkräften innerhalb der NATO, die dies in der Ausrüstungspolitik auch konsequent umsetzt. Dies ist eine direkte militärische Folge und Notwendigkeit, die aus dem Ukrainekrieg hervorgegangen ist. Die Artillerie wird als Waffengattung in den kommenden 50 Jahren auch weiterhin Bestand haben und eine wichtige militärische Aufgabe als Unterstützungswaffe innehaben.

DWN: Herr Meuter, herzlichen Dank für das Gespräch!

Info zur Person: Thomas Alexander Meuter (61) ist seit rund 35 Jahren wehrtechnischer Journalist und beschäftigt sich mit militärischen Fragen und Ausrüstungen von Streitkräften. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der weltweiten Luftwaffen- und Heeresrüstung und militärische Analysen von Konflikten und Technologien, die dort zum Einsatz kommen. Das Thema Altmunition, Landminen und militärische Altlasten bearbeitet er redaktionell. Er ist erfolgreicher Fachbuchautor und Chefredakteur des Verlags MD&Partner in Meckenheim bei Bonn. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Thomas Meuter mit dem Aufspüren und der Entsorgung von Altmunitionen in vom Krieg betroffenen Ländern.



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