Die Krise bei der Münchner BayWa-Gruppe ist offenbar existenzbedrohender als zunächst angenommen. Mitte Juli gab das Unternehmen bekannt, dass ein Sanierungsgutachten in Auftrag gegeben wurde, um die angespannte Finanzlage zu bewerten. Die Folgen dieser Ankündigung waren gravierend: Innerhalb weniger Tage verlor die BayWa-Aktie rund 38 Prozent ihres Wertes.
Mindestens genauso schwer wiegt die Schuldenlast des Konzerns, die sich derzeit auf 5,8 Milliarden Euro belaufen soll. Das sorgt für erhebliche Unsicherheit bei Investoren und Aktionären und wachsende Kritik an der Unternehmensführung von BayWa-Chef Marcus Pöllinger.
Schwere Vorwürfe gegen BayWa-Chef Pöllinger
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erhebt der bis April 2023 amtierende ehemalige Vorstandsvorsitzende Klaus-Josef Lutz schwere Vorwürfe gegen seinen Nachfolger Marcus Pöllinger. Lutz bekräftigt darin, dass die aktuelle Misere der BayWa nicht auf seine Führung zurückzuführen sei. Stattdessen kritisiert er das aktuelle Management scharf. Vor allem am Liquiditätsmanagement des Unternehmens lässt der ehemalige BayWa-CEO kein gutes Haar. Zwar musste die Finanzchefin der Energietochter BayWa r.e., Michaela Seidl, Ende Juli ihren Hut nehmen. Doch diese Personalie sorgte nur für zusätzliche Unruhe.
Bauern bangen: Rettungspaket in der Schwebe
Während die internen Konflikte weiter schwelen, bangen die deutschen Landwirte um die Bezahlung ihrer Getreidelieferungen. Auch nach intensiven Gesprächen mit Großbanken und Großaktionären wie der Bayerischen Raiffeisen-Beteiligungsgesellschaft (BRB) und der österreichischen Raiffeisen Agrar Invest AG ist weiterhin unklar, ob das angestrebte Rettungspaket von über 400 Millionen Euro ausreicht, um die BayWa zu stabilisieren.
Ein so genannter verlängerter Eigentumsvorbehalt, wie er von beteiligten Juristen vorgeschlagen wurde, könnte eine Lösung bieten, aber ob dies ausreicht, ist fraglich. Mit dieser Regelung würden Landwirte das Eigentum an ihren gelieferten Ware behalten, bis die BayWa den Kaufpreis vollständig bezahlt hat. Dies würde im Falle einer Insolvenz der BayWa verhindern, dass die gelieferte Ware in die Insolvenzmasse fällt und den Landwirten einen besseren Schutz vor Zahlungsausfällen bieten.
Die BayWa – Deutschlands größter Agrarakteur
Die Bedeutung der BayWa für die deutsche Landwirtschaft ist immens, denn sie ist einer der größten Abnehmer von Getreide und anderen Agrarprodukten und spielt damit eine zentrale Rolle in der Versorgungskette der deutschen Landwirtschaft. So ist der Konzern maßgeblich an der Bereitstellung von Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln beteiligt, beliefert landwirtschaftliche Betriebe mit wichtigen Betriebsmitteln und übernimmt den Handel und die Lagerung von Getreide und anderen Agrarrohstoffen.
Insolvenzgefahr: Banken und Investoren zögern
Um eine Insolvenz des Agrar-Giganten zu verhindern, steht auch ein Verkauf von Anteilen an der Bayerischen Raiffeisen-Beteiligungs-Aktiengesellschaft (BRB) im Raum, was dem Unternehmen rund 100 Millionen Euro in die leeren Kassen spülen könnte. Doch das würde nur einen Bruchteil des benötigten Kapitals abdecken, denn kurzfristig benötigt der angeschlagene Konzern 500 bis 600 Millionen Euro, um seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen und eine Insolvenz abzuwenden.
Außerdem soll das defizitäre Solarhandelsgeschäft verkauft werden, um mit dem Erlös die Schulden zu senken. Allerdings erscheint es in der aktuellen Situation der Solarbranche mehr als fraglich, einen Käufer zu finden, der bereit ist, die vom Vorstand geforderten 1,3 Milliarden Euro für die Sparte zu zahlen.
Hilfe vom Freistaat: Springt Söder ein?
Auch die bayerische Staatsregierung beobachtet die Situation aufmerksam. Angesichts der möglichen Gefährdung von 8.000 Arbeitsplätzen fordert etwa die Bayern-SPD eine Rettung der BayWa sowie einen Schutz für Landwirte. „Ein Zusammenbruch der BayWa hätte nicht nur fatale Auswirkungen auf die Konzernbeschäftigten, sondern würde auch die landwirtschaftliche Versorgungskette im Freistaat empfindlich stören“, schreibt der SPD-Landtagsabgeordnete Harry Scheuenstuhl in einem Brief an Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU).
Zwar hat das Kaniber-Ministerium bisher eine Stellungnahme abgelehnt. Experten können sich jedoch vorstellen, dass die Staatsregierung der BayWa und den Bauern beispielsweise mit Garantien beispringen könnte, sollte sich die Lage weiter zuspitzen. Bayern hat bereits in der Vergangenheit in Krisenzeiten finanzielle Unterstützung geleistet, wie zum Beispiel bei der Bayerischen Landesbank im Jahr 2008. Eine ähnliche Intervention könnte auch der BayWa helfen, die Krise zu meistern und Arbeitsplätze zu sichern.
Kritik am Risikomanagement der BayWa
Damit dies nachhaltig gelingen kann, müsse die BayWa ihr Risikomanagement und ihre Krisenfrüherkennung jedoch deutlich verbessern. “Das Unternehmen hat bisher zu wenig auf Rating-Risiken und deren Auswirkungen auf die Liquidität reagiert”, bemängelte etwa die Vizepräsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Daniela Bergdolt, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Die hohe Verschuldung der BayWa sei ein sehr ernstes Problem, das nicht ausreichend berücksichtigt worden sei, so Bergdolt weiter.
BayWa-Krise ist nicht branchenspezifisch
Zwar stehen auch andere große Agrarhändler wie Agravis und Raiffeisen Waren vor erheblichen Herausforderungen, doch diese sind weder hausgemacht noch existenzbedrohend. Vielmehr leidet die Branche unter den extremen Witterungsbedingungen und deren Auswirkungen auf die Ernten, dem Preisverfall bei Düngemitteln und russische Getreideimporte sowie der nachlassenden Nachfrage im Bausektor aufgrund gestiegener Zinsen. Die BayWa scheint davon besonders betroffen, da sie zusätzlich mit einer verfehlten Expansionsstrategie und einer hohen Verschuldung zu kämpfen hat.