Politik

Kämpfe im Gebiet Kursk - Kiew setzt Moskau unter Druck

Die Russen, von einem durch Propaganda geleiteten Fernsehen irregeführt, spüren, dass ihr Land mitten in einem realen Krieg mit der Ukraine steckt. Die vermeintliche Spezialoperation Putins ist ein Chimäre. Egal, wie weit die Ukraine bei ihrer Expedition ins Ungewisse vorstößt, die Verunsicherung der russischen Bevölkerung wird nicht mehr zu revidieren sein.
11.08.2024 16:49
Lesezeit: 3 min

Die von Russland angegriffene Ukraine setzt Moskau mit einer Offensive ihrer Truppen auf russischem Territorium unter Druck. Zehntausende Menschen ergriffen im Gebiet Kursk die Flucht. Der geschäftsführende Gouverneur Alexej Smirnow sprach von einer schwierigen Lage angesichts des Beschusses mit Raketen, Drohnen und Artillerie. Auch in der Gebietshauptstadt Kursk wurde ein Wohnblock von Trümmern einer ukrainischen Rakete getroffen. Mindestens 15 Menschen wurden Behörden zufolge verletzt. Die russischen Streitkräfte erhielten nach Angaben des Verteidigungsministeriums weitere Verstärkung, um die ukrainischen Truppen zurückzuschlagen.

Nach Angaben des russischen Zivilschutzministeriums wurden mehrere grenznahe Ortschaften evakuiert; 76.000 Menschen seien in andere Regionen gebracht worden. Die Lage im Gebiet Kursk ist unübersichtlich. Die Behörden warnten vor Panik und forderten die Menschen auf, Ruhe zu bewahren. Vielerorts war Luftalarm zu hören, wie aus offiziellen Videos aus der Region hervorging.

Nach Einschätzung von Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) verlangsamte sich der ukrainische Vormarsch angesichts der russischen Truppenkonzentration. Trotzdem hielten die ukrainischen Streitkräfte zuvor gemeldete Stellungen nahe der Grenze. Teils hätten sie sich auch etwas weiter vorwärts bewegt, teilte das Institut unter Berufung auf russische Militärblogger und die Auswertung von Geodaten veröffentlichter Videos mit.

Russland setzt Angriffe auf Ukraine fort - aber auch Tote nahe Kiew

Ungeachtet der Kämpfe im eigenen Land setzte Russland seinen seit fast zweieinhalb Jahren andauernden Angriffskrieg gegen die Ukraine mit unverminderter Härte fort. Bei einem neuen Luftangriff starben in der Nähe von Kiew laut Behörden ein Vierjähriger und sein Vater. Ein zwölf Jahre alter Junge sei verletzt worden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteilte den neuen "absichtlichen Terrorschlag". Es werde untersucht, ob der Angriff diesmal mit einer nordkoreanischen Rakete erfolgt sei.

Selenskyj beklagte, Russland habe allein in der vergangenen Woche 30 Raketen und 800 Gleitbomben auf die Ukraine abgefeuert. Die Ukraine sei zwar dankbar für die westliche Hilfe bei der Flugabwehr. "Aber, um den russischen Terror wirklich zu stoppen, brauchen wir nicht nur eine vollumfängliche Flugabwehr, die all unsere Städte und Gemeinden schützt, sondern auch starke Entscheidungen von unseren Partnern - Beschlüsse, die die Einschränkungen für unsere Verteidigungsaktionen beenden", meinte Selenskyj.

Selenskyj: Westen muss Beschränkungen für Waffen aufheben

Die Ukraine hofft auf eine baldige Erlaubnis westlicher Verbündeter für den Einsatz von Raketen mit größerer Reichweite gegen russisches Gebiet, für die bisher Beschränkungen gelten. Demnach erwartet Selenskyj entsprechende Entscheidungen dazu in den USA, Großbritannien und Frankreich. Wenn die Ukraine die Raketen mit größerer Reichweite unbegrenzt einsetzen könne, sagte Selenskyj weiter, werde der Krieg beendet. Zuletzt hatte das Land durch die Eigenproduktion von Drohnen und Raketen die Angriffe auf Russland deutlich ausgeweitet.

Kiew: Russlands militärische Infrastruktur zerstören

Die Ukrane will vor allem Russlands militärische Infrastruktur dauerhaft vernichten. Um das Sterben von Zivilisten zu stoppen, sei es nötig, Russland die Fähigkeit zum Töten zu entziehen, sagte der Leiter des Präsidentenbüros, Andrij Jermak. "Es ist notwendig, seine militärische Infrastruktur zu zerstören, weil der Feind andere Argumente nicht akzeptiert", sagte Jermak über den russischen Angriffskrieg.

Selenskyj will Russland mit Kursk-Offensive unter Druck setzen

Nachdem sich Präsident Selenskyj tagelang nur indirekt zur Kursk-Offensive geäußert und erklärt hatte, das Nachbarland solle nun auch den Krieg spüren, äußerte er sich am Wochenende erstmals direkt zu dem Vorstoß. Er habe sich mehrfach vom Oberkommandierenden Olexander Syrskyj über das Vordringen des Krieges auf das Gebiet des Aggressors informieren lassen. Er dankte den Soldaten, die das möglich machten. Zugleich kündigte er eine Initiative an, Moskau noch die letzten Einflussmöglichkeiten in der Ukraine zu nehmen. Erwartet wird in Kürze ein Verbot der ukrainisch-orthodoxen Kirche, die aus Sicht Selenskyjs von russischen Agenten durchsetzt ist. Die Kirche weist eine Verbindung zum Moskauer Patriarchat zurück.

Experten: Russland spielt Ernst der Lage in Kursk herunter

Nach Einschätzung der Militärexperten beim ISW spielt der Kreml den Ernst der Kursk-Offensive herunter. Die Region an der Grenze zur Ukraine sei nur zu einer Zone für Anti-Terror-Operationen und nicht zu einem Kriegsgebiet erklärt worden, um womöglich Panik zu verhindern, hieß es in der Analyse. Kremlchef Wladimir Putin scheue die Ausrufung des Kriegszustandes, weil er um die Stabilität im Land fürchte.

Russland hatte die Grenzgebiete Kursk, Belgorod und Brjansk in der Nacht zum Samstag zu Zonen für Anti-Terror-Operationen erklärt. Damit bekommen das Militär und andere Teile des Sicherheitsapparats deutlich mehr Befugnisse, Personal, Ausrüstung und Mittel. Das gilt als eine Vorstufe zur möglichen Verhängung des Kriegsrechts.

Putin-treues Nachbarland Belarus verlegt Panzer an ukrainische Grenze

Nach dem ukrainischen Einmarsch in Russland zeigt sich auch das benachbarte Belarus alarmiert. Machthaber Alexander Lukaschenko beklagte zunächst, dass ukrainische Drohnen in den Luftraum des Landes eingedrungen seien und ordnete eine Verstärkung der Truppen im Grenzgebiet an. Das Verteidigungsministerium in Minsk verlegte nach eigenen Angaben Panzer auf einen Schienentransport für einen möglichen Einsatz an die Grenze.

Auch die Flugabwehr sei in volle Bereitschaft versetzt worden, weil etwa zehn Flugobjekte aus der Ukraine in den Luftraum im Osten des Landes eingedrungen seien, sagte Lukaschenko. Das Außenministerium teilte mit, dies sei ein "gefährlicher Versuch, die derzeitige Konfliktzone in unserer Region auszuweiten". Auch ballistische Raketen vom Typ "Iskander" sowie "Polones"-Raketenwerfer würden in die Region verlegt.

Belarus unterstützt Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine. Schon zu Kriegsbeginn hatte das Land sein Gebiet russischen Truppen zur Verfügung gestellt, um von dort in den Norden der Ukraine einzumarschieren.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Social Travel: Hostelworld will Facebook des Reisens werden – mit Milliardenpotenzial
28.06.2025

Hostelworld will nicht länger nur Betten vermitteln, sondern das führende soziale Netzwerk für Alleinreisende werden. Warum der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nvidia-Aktie mit Rekordhoch: Geht die Aufwärtsrally weiter?
27.06.2025

Trotz Handelskrieg und wachsender Konkurrenz feiert die Nvidia-Aktie ein Rekordhoch nach dem anderen. Experten sprechen von einer...

DWN
Politik
Politik Bas überzeugt, Klingbeil verliert Ansehen: SPD-Parteitag bestimmt neues Führungsduo
27.06.2025

Auf dem SPD-Parteitag wurde nicht nur gewählt, sondern auch abgerechnet. Während Bärbel Bas glänzt, kämpft Lars Klingbeil mit einem...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Neobroker Trade Republic: Wie ein Berliner Fintech den Kapitalmarkt für alle geöffnet hat
27.06.2025

Büroräume in Berlin-Kreuzberg, drei Gründer mit einer Vision und eine App, die Europas Sparer an die Börse gebracht hat: Trade Republic...

DWN
Politik
Politik Bundestag stellt Weichen neu: Familiennachzug vorerst gestoppt
27.06.2025

Der Bundestag hat den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte gestoppt – ein umstrittener Schritt in der deutschen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Occidental Petroleum-Aktie: Warren Buffett setzt auf US-Ölgiganten – Risiko oder Chance?
27.06.2025

Warren Buffett stockt seine Beteiligung an der Occidental Petroleum-Aktie weiter auf – während grüne Fonds schließen. DWN zeigt, was...

DWN
Politik
Politik Mindestlohn 2026: Anstieg bis 2027 auf 14,60 Euro geplant
27.06.2025

Der Mindestlohn in Deutschland soll in zwei Schritten weiter steigen – doch der Weg dorthin war steinig. Arbeitgeber, Gewerkschaften und...

DWN
Politik
Politik Bundeskabinett: Bauturbo, Bahnflächen, Mietpreisbremse und was sonst noch kommt
27.06.2025

Im Juni 2025 hat sich das Bundeskabinett getroffen, um Parameter für die kommende Legislaturperiode festzulegen – ganz sportlich einen...