Politik

Baerbock unter Druck: UN-Sonderberichterstatterin kritisiert Selbstbestimmungsgesetz scharf

Die UN-Sonderberichterstatterin Reem Alsalem kritisiert das Selbstbestimmungsgesetz und äußert Bedenken bezüglich des Schutzes von Frauen. Sie nennt in diesem Zusammenhang außerdem erhebliche Risiken für den Kinderschutz. Die Bundesregierung bleibt zurückhaltend in ihrer Reaktion, im Fokus der Kritik steht Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
13.08.2024 16:57
Lesezeit: 3 min
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Reem Alsalem, UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen und Mädchen, warnt in einem Schreiben an Baerbock vor möglichen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere für Frauen und Mädchen, sobald das Selbstbestimmungsgesetz im November 2024 in Kraft tritt.

In dem Schreiben, das WELT vorliegt, äußert Alsalem Besorgnis darüber, dass das Gesetz in seiner aktuellen Form internationalen Menschenrechtsverpflichtungen nicht ausreichend gerecht werde, insbesondere gegenüber Frauen und Mädchen. Sie erinnert Deutschland an seine Verpflichtungen als UN-Mitglied, geschlechtsbezogene Gewalt zu bekämpfen und Diskriminierung von Frauen zu verhindern. Staaten seien verpflichtet, „Diskriminierung und Gewalt aufgrund des Geschlechts“ zu verhindern und Unterschiede, die sich aus biologischen Gegebenheiten ergeben, zu berücksichtigen. Frauen müssten „in jedem Fall ein Leben frei von jeglicher Gewalt führen können“, so Alsalem. Sie fordert die Bundesregierung auf, innerhalb von 60 Tagen Stellung zu beziehen.

Baerbocks Gesetzentwurf berücksichtigt nicht die Bedürfnisse von Frauen

In ihrer Kritik betont Alsalem, dass das Gesetz die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen, insbesondere derer, die Opfer männlicher Gewalt sind, unzureichend berücksichtigt. Schutzmaßnahmen gegen möglichen Missbrauch durch Sexualstraftäter seien im Gesetzentwurf nicht vorgesehen.

Zudem habe sie „beunruhigende Berichte über mutmaßliche Fälle sexueller Gewalt“ gegen Frauen erhalten, die von Personen verübt wurden, die sich als Transgender oder nicht-binär identifizierten. Obwohl sie betont, dass Transgender-Personen keine Bedrohung darstellten, weist Alsalem darauf hin, dass die Mehrheit der Sexualstraftäter männlich sei. Das neue Gesetz könnte diesen Tätern „Zugang zu Räumen ermöglichen, die aus Sicherheitsgründen Frauen vorbehalten sind“. Sie warnt davor, dass sich solche Gewalttaten mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Selbstbestimmung noch häufen könnten.

Besonders kritisiert Alsalem den vereinfachten Prozess zur Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister, der „ausschließlich auf der Erklärung des Antragstellers basiert“. Dies stehe im Widerspruch zu internationalen Normen, die getrennte Einrichtungen für Männer und Frauen, etwa in Haftanstalten, unterstrichen.

Zudem verweist sie auf Probleme bei der Auslegung des Hausrechts im Kontext des Selbstbestimmungsgesetzes. Ihrer Ansicht nach könnten Personen basierend auf ihrem Geschlechtseintrag Zugang zu Frauen- und Mädchenräumen, wie Toiletten und Umkleidekabinen, verlangen. Sie nennt Berichte von Frauen in Deutschland, die in Damentoiletten auf Männer gestoßen seien.

Erzwungenes Teilen von Schutzräumen erhöht Trauma-Risiko

Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, berichteten von psychischen Problemen aufgrund der Tatsache, dass Frauen-Schutzräume nun auch von gebürtigen Männern betreten werden könnten. Diese Entwicklungen könnten sich negativ auf das Sicherheitsgefühl von Frauen und Mädchen auswirken, so Alsalem.

Sie betont, dass das „erzwungene Teilen sehr privater Räume“ wie Umkleidekabinen oder Frauenhäuser für weibliche Gewaltopfer erhebliche negative Folgen haben und erneute Traumata auslösen könne. Deutschland müsse sicherstellen, dass „geschlechterspezifische Angebote und Schutzmaßnahmen“ für Gewaltopfer bereitgestellt würden.

Selbstbestimmungsgesetz: Kinder besonders gefährdet

Scharfe Kritik übt Alsalem auch an den medizinischen Maßnahmen zur Geschlechtsanpassung. Insbesondere bei Kindern stelle das Gesetz eine Gefahr dar, da therapeutische Begleitung etwa bei Brustamputationen oder Hormontherapien nicht mehr vorgeschrieben sei. Minderjährige und ihre Familien müssten „die teils irreversiblen Auswirkungen vollständig verstehen“. Sie verweist auf den britischen Cass-Report und betont: „Die Folgen einer medizinischen Geschlechtsumwandlung für die Gesundheit von Kindern sind erheblich und sollten nicht unterschätzt werden.“ Dass Jugendliche ab 14 Jahren das Einverständnis der Eltern nicht mehr benötigen, stehe im Widerspruch zum Kindeswohl, da dies medizinische Eingriffe nach sich ziehen könne.

Laut Alsalem stellt das Gesetz „erhebliche Risiken für den Kinderschutz“ dar, da es keine Regelungen gegen Missbrauch vorsieht. Besonders jüngere Kinder könnten durch das Machtungleichgewicht zwischen ihnen und Erwachsenen in Gefahr geraten, im Personenstandsregister instrumentalisert zu werden.

Sanktionen könnten Auswirkungen auf Frauenrechte haben

Alsalem warnt auch vor den möglichen Folgen von Geldbußen, die verhängt werden könnten, wenn jemand das biologische Geschlecht einer Person offenlegt, die ein anderes angibt. Dies könnte „schwerwiegende Auswirkungen auf die Rechte von Frauen und Mädchen“ haben, etwa bei der Belegung von Quotenplätzen oder im Frauensport. Zudem könnten Meinungsfreiheit sowie Gedanken- und Religionsfreiheit eingeschränkt werden.

Die Antwort der Bundesregierung auf Alsalems Kritik fällt knapp aus. In einem Schreiben, das auf den 5. August 2024 datiert ist und WELT vorliegt, weist das Büro für Ständige Vertretung des Auswärtigen Amtes für die UN die Vorwürfe zurück. Das Selbstbestimmungsgesetz basiere „auf menschenrechtlichen Standards“ und schütze die „Geschlechtsidentität einer Person im Einklang mit dem Persönlichkeitsrecht“, so die Verfasserin.

Man betont, dass ein Hauptanliegen des Gesetzes sei, geschlechtsspezifische Räume, wie Frauenhäuser, „tatsächlich sicher“ zu halten. Gewalt gegen Frauen, insbesondere durch Cis-Männer, sei Realität. Der Frauenhausverband setze sich dafür ein, dass „Frauen in all ihrer Vielfalt“, auch Trans-Personen, Schutz erhielten. Auch das Kindeswohl werde berücksichtigt, da Kinder und Jugendliche mit Störungen der Geschlechtsidentität unter „psychischem Stress und sozialen Herausforderungen“ litten. Abschließend verweist man auf vereinfachte Verfahren zur Geschlechtsänderung in 28 weiteren Ländern.

Das Selbstbestimmungsgesetz sieht vor, dass ab dem 1. November Menschen per Erklärung beim Standesamt ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern können. Eine ärztliche Bescheinigung oder ein Gutachten ist dabei nicht notwendig.

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