Viele Deutsche vertrauen auf private Altersvorsorge – ob Riester-Rente, Basis-Rente, betriebliche Altersvorsorge oder reine Privatvorsorge. Doch was als solide Absicherung für das Alter gedacht ist, entpuppt sich zunehmend als unsicherer Hafen. Stiftung Warentest warnt: „Viele Versicherer haben in der Vergangenheit oft Zusagen gemacht, die sie nun nicht mehr einhalten können.“
Der Grund? Eine nachträgliche Senkung des Rentenfaktors, der für Sparer massive Rentenkürzungen von mehreren tausend Euro bedeutet. „Eine Reduzierung des Rentenfaktors führt (…) zu erheblichen Einbußen bei den monatlichen Rentenzahlungen und wirkt sich direkt auf die finanzielle Sicherheit im Alter aus“, erläutert Rechtsanwalt Dr. Ralf Stoll.
Rentenkürzung: Was passiert, wenn der Rentenfaktor sinkt?
Was ist der Rentenfaktor? Er bestimmt, wie viel von Ihrem angesparten Guthaben monatlich ausgezahlt wird – ein entscheidender Wert, der pro 10.000 Euro angespartem Guthaben festgelegt wird. Nehmen wir an, Sie haben über Jahre hinweg in Ihre private Rentenversicherung eingezahlt und ein Kapital von 100.000 Euro angesammelt. Mit einem ursprünglich vereinbarten Rentenfaktor von 35 hätten Sie eine monatliche Rente von 350 Euro erwartet – ein wichtiger Baustein Ihrer Altersvorsorge.
Doch was passiert, wenn der Versicherer den Rentenfaktor plötzlich auf 20 senkt? Anstelle der erwarteten 350 Euro monatlich erhalten Sie nur noch 200 Euro. Ihr angespartes Guthaben von 100.000 Euro bleibt zwar unverändert, doch Ihre monatlichen Auszahlungen sinken drastisch. Das bedeutet: Eine Reduzierung des Rentenfaktors führt dazu, dass Ihnen im Ruhestand mehrere tausend Euro entgehen – eine bittere Nachricht für viele Sparer.
Gerichtsurteil des LG Köln stärkt Versicherte: Ein wichtiger Sieg gegen Rentenkürzungen
Doch ist es überhaupt erlaubt, dass Versicherungen den einmal festgelegten Rentenfaktor absenken? Ein wegweisendes Urteil des Landgerichts Köln (LG Köln, 08.02.2023, Az. 26 O 12/22) bringt in dieser Frage Klarheit und könnte weitreichende Auswirkungen für viele Versicherte haben.
In diesem Fall hatte die Zurich Versicherung den Rentenfaktor eines fondsgebundenen Riester-Vertrags während der Ansparphase um ganze 25-Prozent gesenkt. Das Gericht entschied jedoch, dass eine solche nachträgliche Senkung des Rentenfaktors unzulässig ist – besonders dann, wenn sie, wie in diesem Fall, mit der Niedrigzinsphase begründet wird. Die Richter stellten klar: Versicherer dürfen nach § 163 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) den Rentenfaktor nicht einseitig senken, wenn die erzielten Kapitalerträge niedriger ausfallen als ursprünglich geplant.
Diese Entscheidung sollte Versicherungsnehmer hellhörig machen, denn viele Versicherer haben in der Vergangenheit genau aus diesem Grund den Rentenfaktor in zahlreichen Verträgen herabgesetzt. Laut Rechtsanwalt Stoll stärkt das Urteil des LG Köln „die Rechte der Versicherten erheblich“ und setzt „ein wichtiges Signal für die gesamte Branche.“ Besonders Kunden mit einer fondsgebundenen Rentenversicherung der Zurich können nun aktiv gegen die Herabsetzung ihrer Rente vorgehen.
Gemischte Signale: Wie Gerichte unterschiedlich über Rentenfaktoren entscheiden
Auch andere Gerichte haben bereits zugunsten der Versicherten entschieden. So erklärte das Amtsgericht Reinbek in einem Fall die Kürzung des Rentenfaktors für unzulässig. In diesem Verfahren hatte die Allianz den Rentenfaktor gleich zweimal gesenkt – zuerst von knapp 36- auf 30,44-Prozent und anschließend auf 27,93-Prozent. Die Klage des Versicherten war erfolgreich!
Es gibt jedoch auch gegenteilige Urteile: So klagte die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gegen die Allianz wegen der Senkung des Rentenfaktors in einem Riester-Vertrag. Das Landgericht Stuttgart entschied im Juli 2023 zugunsten der Allianz und erklärte die entsprechende Vertragsklausel für rechtmäßig. Dieses Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig (LG Stuttgart, 10.07.2023, Az. 53 O 214/22) und die Verbraucherzentrale hat bereits Berufung eingelegt. Fakt ist: Der Kampf gegen Rentenkürzungen ist noch lange nicht entschieden. Während das Urteil aus Köln die Position der Versicherten stärkt und Hoffnung gibt, sorgt das Urteil aus Stuttgart für Unsicherheit.
Ihre Rechte kennen: So reagieren Sie auf Kürzungen des Rentenfaktors
Was bedeutet das für Sie als Kunde? Es ist entscheidend, die aktuellen Gerichtsurteile zum Rentenfaktor genau zu verfolgen. Sollte eine Absenkung erfolgen, ist es wichtig, sofort zu reagieren und gegebenenfalls rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen. Überprüfen Sie zunächst Ihren Vertrag und die Begründung der Versicherung für die Absenkung. Vergleichen Sie die neue Rentenberechnung mit den ursprünglichen Vertragsbedingungen und kontrollieren Sie, ob die Berechnungen korrekt durchgeführt wurden. Fordern Sie eine detaillierte Aufstellung der Rentenberechnung an und lassen Sie diese von einem unabhängigen Experten überprüfen.
Wurde der Rentenfaktor aufgrund der Niedrigzinsphase gekürzt, können Sie sich auf das Urteil des OLG Köln berufen und die Rücksetzung auf den ursprünglichen Rentenfaktor verlangen. Befinden Sie sich noch in der Ansparphase, sollten Sie die Wiederherstellung des garantierten Rentenfaktors fordern – dies sichert Ihre zukünftigen Ansprüche. Wird Ihre Rente bereits ausgezahlt und fällt sie durch die Kürzung geringer aus, haben Sie Anspruch auf Nachzahlungen. Achten Sie dabei auf die Verjährungsfrist von drei Jahren.
Mit dieser Vorgehensweise können Sie Ihre Rechte aktiv verteidigen und sicherstellen, dass Sie im Ruhestand die Ihnen zustehenden Leistungen erhalten. Auch die Verbraucherzentralen bieten wertvolle Unterstützung durch kostenlose oder kostengünstige Rechtsberatung an.